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Ein Vorgesetzter der Regionalpolizei Wettingen-Limmattal musste sich am Donnerstag vor dem Bezirksgericht Baden verantworten. Er wurde vom Vorwurf der Beschimpfung freigesprochen.
Mit Spannung wurde gestern der Fall vor dem Badener Bezirksgericht erwartet: Ein Vorgesetzter der Regionalpolizei Wettingen-Limmattal hat einem seiner Mitarbeiter im Frühling 2017 per Mail eine Collage geschickt, auf der ein nackter Männerkörper mit Geschenkschlaufe und hineinkopiertem Passfoto des Klägers zu sehen war. Brisant: Nur wenige Wochen später wurde der Kläger von der Gemeinde Wettingen freigestellt, wofür die Gemeinde aber teilweise gerügt wurde.
Weil sich Roger (alle Namen geändert) durch die Collage in seiner Ehre verletzt sah, reichte er Anzeige ein. Tatsächlich erliess die Staatsanwaltschaft im Sommer 2018 einen Strafbefehl und verknurrte Felix wegen Beschimpfung zu einer Busse. Weil dieser das Verdikt nicht akzeptierte, hatte das Bezirksgericht Baden unter der Leitung von Gerichtspräsident Peter Rüegg sich gestern noch einmal der Sache anzunehmen. Die Frage, die es vereinfacht zu beantworten galt, lautete: Stellt die Collage wirklich eine Ehrverletzung dar oder viel eher einfach einen geschmacklosen Scherz? Rüegg stellte gleich zu Beginn der Verhandlung klar, wer Chef im Ring ist.
Auf die Bitte von Roger, der Richter möge ihm keine Fragen stellen, die ihn zwingen würden, das Amtsgeheimnis zu verletzen, runzelte Rüegg die Stirn und meinte leicht angesäuert: «Ich stelle hier die Fragen, die mir passen.» Das tat er dann auch. Nach dem Verhältnis zum Vorgesetzten Felix befragt, antwortete Roger: «Wir haben mehrere Jahre zusammengearbeitet. Aber im Frühling 2017 war das Verhältnis eher schlecht und durch verschiedene Vorkommnisse getrübt.» Was Roger denn empfunden habe, als er die Collage erhalten habe? «Ich war geschockt und konsterniert. Ich fühlte mich wie eine männliche Hure, deren Dienste jederzeit käuflich sind. Es war für mich sehr verletzend.» Auch für seine Familie sei das sehr belastend gewesen. «Wenig später bin ich dann auch noch freigestellt worden. Ich musste die Hilfe eines Polizeipsychologen in Anspruch nehmen.» Dieser habe denn auch eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert.
Felix’ Verteidiger wollte wissen, ob Roger nach Erhalt der E-Mail mit dem Absender Kontakt aufgenommen habe. «Nein, ich war total geschockt.» Eine Entschuldigung habe er von Felix auch nie erhalten. Ob Roger später trotz der Mail den privaten Kontakt zu Felix aufrechterhalten habe, wollte der Verteidiger weiter wissen. «Nein», so Roger. Diese Aussage entpuppe sich insofern als nicht ganz korrekt, als der Verteidiger belegen konnte, dass Roger nach dem Vorfall seinem Vorgesetzten wiederholt Whatsapp-Nachrichten geschickt hatte. Roger: «Ja, das ist korrekt und heutzutage völlig normal. Zudem konnte ich gar nicht anders, als mich am Austausch von Nachrichten innerhalb des Korps zu beteiligen, ansonsten ich sehr schnell auf dem Abstellgleis gelandet wäre.»
Dann die entscheidende Frage des Richters an Felix. «Wieso haben Sie dem Kläger die Collage geschickt, was haben Sie damit bezweckt?» Das könne er beim besten Willen nicht mehr sagen. «Ich wollte ihn ganz sicher nicht in der Ehre verletzen oder beleidigen; es war ein Jux.» Anders als Roger bezeichnete Felix ihr Verhältnis auch als gut. «Er war sogar an meine Hochzeitsfeier eingeladen.»
Der Anwalt des Klägers widersprach: «Mein Klient litt, weil er am Arbeitsplatz gemobbt wurde.» Die Collage sei vor diesem Hintergrund zu betrachten. Dem widersprach der Verteidiger: «Nicht jeder Witz auf Kosten von jemand anderem, und der den guten Geschmack vermissen lässt, ist automatisch eine Ehrverletzung.» Man sehe auf den ersten Blick, dass «die schlecht gemachte» Collage kein Abbild der Realität sei. «Mein Mandant wollte den Kläger einfach auf die Schippe nehmen.» Für den Verteidiger war klar, was der eigentliche Grund für die Klage ist. «Der Vorwurf des Mobbings ist in aller Deutlichkeit abzuweisen.» Der SMS-Austausch würde vielmehr einen freundschaftlichen Umgang aufzeigen. «Der Kläger fühlte sich erst in seiner Ehre gekränkt, als er von der Gemeinde freigestellt wurde.»
Nach kurzer Bedenkzeit fällte Rüegg schliesslich sein Verdikt, dass er mit klaren, nicht eben diplomatisch gewählten Worten eröffnete: «Es ist schon unglaublich, mit was für Mist wir uns hier auseinandersetzen müssen.» Der Beschuldigte sei freizusprechen. Seine Begründung: «Nicht jedes geschmacklose und kindische Verhalten überschreitet die Schwelle von strafbaren Handlungen.» Weil das Erstellen der Collage aber zumindest als zivilrechtliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte zu taxieren sei, wurden dem Beschuldigten die Verfahrenskosten aufgebrummt. Somit war der Mist geführt. Roger zog enttäuscht von dannen – er hatte sich mehr erhofft.