KESD Baden
Reto Bertschi ist seit 20 Jahren Berufsbeistand: «Ohne persönlichen Kontakt geht es nicht»

Reto Bertschi wollte nach zehn Jahren Co-Leitung des KESD Baden in Pension – eigentlich.

Claudia Laube
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Reto Bertschi vor seinem jahrelangen Arbeitsplatz im Gstühl-Center in Baden.

Reto Bertschi vor seinem jahrelangen Arbeitsplatz im Gstühl-Center in Baden.

Severin Bigler

Ende März wollte Reto Bertschi seinen Ruhestand antreten – nach 20 Jahren als Berufsbeistand, davon zehn als Co-Leiter beim Kinder- und Erwachsenenschutzdienst (KESD) der Region Baden. Doch nicht etwa die Coronakrise machte ihm einen Strich durch die Rechnung, sondern viel mehr, dass die neue Beiständin in der Probezeit bereits wieder gekündigt hatte. «Da ich im Moment sowieso keine Zugreisen durch die Schweiz machen kann, helfe ich noch so lange aus, bis ein neuer Beistand gefunden ist», sagt der 65-Jährige.

Die Organisationsform des Verbandes als Co-Leitung hat mit seiner Pension ausgedient: Anfang Februar wurde ein Geschäftsleitungsmodell eingeführt. «Der KESD benötigte sowieso neue Strukturen», sagt Bertschi. «Wir sind in den letzten Jahren stark gewachsen.» Waren es 2014 noch 14, sind es mittlerweile 32 Mitarbeitende. Dies, weil der Verband inzwischen mehr Gemeinden betreut. 2018 ist Obersiggenthal und 2020 Spreitenbach dazugestossen. Nach der Stadt Baden stellen diese beiden Gemeinden die meisten Mandate. Insgesamt sind es nun rund 1100 laufende Fälle aus den 19 Verbands­gemeinden im Bezirk. Die Beistandschaften werden vom Familiengericht Baden angeordnet und vom KESD geführt. Bertschi ist seit 2009 als Beistand in Baden tätig. Damals noch für die Amtsvormundschaft, seit 2013 das neue Kinder- und Erwachsenenschutzgesetz eingeführt wurde, für den KESD.

Bei seiner Tätigkeit war schon immer Fingerspitzengefühl gefragt und kein Fall war – und ist – wie der andere: «Das habe ich an meiner Arbeit immer gemocht, sie ist sehr abwechslungsreich. Immer wieder war ich überrascht darüber, welche Geschichten das Leben schreiben kann.» Bertschi hat gelernt, sich abzugrenzen, würde sich aber niemals als abgehärtet bezeichnen.

Noch macht er sich nicht zu viele Sorgen wegen der Coronakrise. Deren Auswirkungen auf die Arbeit des KESD könne erst in ein paar Monaten abgeschätzt werden. Das grösste Problem aktuell: «Wir können weniger Hausbesuche machen.» Normalerweise unabdingbar für seine Arbeit: «Ich muss meine Klienten in deren Umfeld sehen, um mir ein umfassendes Bild machen zu können.» Ohne persönlichen Kontakt gehe es aber auch in der jetzigen Zeit nicht. So war er erst kürzlich bei einem älteren Ehepaar, er dement, sie gesundheitlich angeschlagen: «Sie brauchen Unterstützung, weil sie einerseits ihre Finanzen nicht mehr selbstständig regeln können, andererseits muss die Hilfe für die medizinische Versorgung der beiden vermittelt und koordiniert werden.»

Von Messies bis zu zerstrittenen Geschiedenen

Bei rund einem Drittel der Mandate sind ältere Menschen betroffen, dabei trifft Bertschi oft auch auf Messies, in deren Wohnungen oder Häusern man kaum einen Schritt machen könne, ohne über etwas zu stolpern: «Man lebt da 60 Jahre am gleichen Ort und kann sich nur schlecht von Dingen trennen, weil diese oft mit einer Erinnerung verbunden sind.» Loslassen falle vielen schwer.

Die meisten anderen Mandate betreffen Familien – ein breites Spektrum. Es geht von Schülern, die den Eltern entglitten sind, bis zu Besuchsrechtsregelungen bei zerstrittenen Geschiedenen: «Meine Tätigkeit war immer auch eine Gratwanderung. Ich vertrete als Beistand das Kind und nicht Mutter oder Vater», doch manchmal sei es schwierig gewesen, nicht Partei zu ergreifen, gibt er freimütig zu.

Wenn ein Fall abgeschlossen ist, hört Bertschi in der Regel nichts mehr von den involvierten Personen. Er erinnert sich aber an eine Oberstufenschülerin, die sich der Schule verweigerte, aus diversen Institutionen verbannt wurde und kaum zu bändigen war. Was aussichtslos aussah, fand ein gutes Ende: «Von ihr habe ich einige Jahre später eine E-Mail erhalten, in der sie sich darüber freute, dass sie eine Ausbildung zur Fachangestellten Betreuung machen kann.»