Bezirksgericht Baden
«Reussbote»-Redaktor verurteilt: Er stellte 78-Jährigen als notorischen Nörgler an den Pranger

Er ist frisch gewählter Gemeinderat von Mellingen und bald pensionierter Journalist beim «Reussboten». Als solcher stand Beat Gomes vor dem Einzelrichter in Baden. Er hatte einen 78-jährigen Bürger wegen seiner Voten an Gemeindeversammlungen als notorischen Nörgler beschrieben.

Rosmarie Mehlin
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Beat Gomes, Journalist und Gemeinderat von Mellingen.

Beat Gomes, Journalist und Gemeinderat von Mellingen.

Chris Iseli

Er sei seit 42 Jahre Journalist, fünf davon beim «Blick», «dass ich je wegen so etwas vor Gericht stehen würde, hätte ich nie gedacht». Solches sagt Beat Gomes, Redaktor bei der Regionalzeitung «Reussbote» mit Sitz in Mellingen. Dort geht der 65-Jährige Ende Monat in Pension; dieser Tage hatte er seine erste Sitzung als frischgewählter Mellinger Gemeinderat. In dieser Funktion wird er mit dem 78-jährigen Albert M. nichts zu tun haben, ist der doch in Stetten daheim. Vor Einzelrichter Daniel Peyer aber traf Gomes als Beschuldigter auf M. als Kläger. Zur Last gelegt war dem Journalisten mehrfache Beschimpfung; zur Debatte stand die Frage, ob «notorischer Nörgler» eine solche sei.

In Zeitung als Nörgeler tituliert

Auf der Frontseite vom «Reussboten» hatte Beat Gomes im November 2016 eine Zusammenfassung von fünf Gemeindeversammlungen verfasst. Unter anderem schrieb er: «Manchmal kommt es auch zu überraschenden Vorkommnissen wie in Stetten, als der notorische Nörgler Albert M. so lange am Zeug des Gemeinderats flickte, bis einigen Stimmberechtigten der Kragen platzte.» Und im Februar 2017 war in einem Grundsatzartikel von Gomes unter dem Titel «M. hats wieder allen gezeigt» zu lesen: «An der letzten Winter-Gmeind brachte M. mit seiner Nörgelei einige Stimmberechtigte regelrecht in Rage.»

Auswahlsendung an Synonymen

Vor dem Richter erklärte Gomes, er habe einen Sachverhalt beschrieben, wie er ihn zur Kenntnis genommen habe, «es war meine persönliche Wahrnehmung». Auf die Frage, was er unter «notorischer Nörgler» verstehe, tischte der Journalist eine ganze Auswahlsendung von Synonymen auf: «Einer der gerne angreift, meckert, queruliert, schimpft, jammert, überall dreinredet.»

Dezidiert hielt er fest, Goethes Faust sei «einer der grössten Nörgler der Geschichte. Er hat an allem etwas auszusetzen, sucht ständig ein Haar in der Suppe.» Dies sei eine Verhaltensweise, die er als Journalist beobachte und beurteile, ohne jemanden beschimpfen zu wollen. «M. will es mir, will es den Medien nun zeigen. Er will den ‹Reussboten› mundtot machen.»

Gomes gab sich selbstbewusst und siegesgewiss: «Ich habe mehreren Leuten auf den Zahl gefühlt und nicht einen gefunden, der notorischer Nörgler als Beschimpfung empfand. Alle waren total ungläubig, dass ich deshalb vor Gericht muss.»

Dass Gomes in beiden Artikeln nicht nur den ganzen Namen von M. veröffentlichte, sondern jeweils auch ein Porträtfoto von diesem dazu stellte, habe, so der Anwalt von M., den verunglimpfenden Aspekt verstärkt. «Gomes ist dermassen von sich überzeugt, dass er nach der Strafanzeige meines Mandanten keine Ruhe gab und mit ‹Nörgelei› in dem weiteren Artikel erneut einen Seitenhieb gegen M. lancierte.»

Der Staatsanwalt beantragte eine bedingte Geldstrafe von 4200 Franken sowie 900 Franken Busse. Der Anwalt von M. forderte Schadenersatz im Umfang von sämtlichen Verfahrens- und Anwaltskosten, die M. entstanden sind.

Auf den Mann gespielt

Einzelrichter Peyer sah das Wort «Nörgelei» im Artikel vom Februar 2017 nicht als Beschimpfung und sprach Gomes in diesem Punkt frei. Schuldig sprach er in hingegen bezüglich dem Bericht von November 2016 . «Notorischer Nörgler ist im vorliegenden Kontext insofern ehrenrührig, wurde in dem Artikel damit doch klar auf den Mann gespielt.

«Sachlich war es nicht nötig, in dieser Weise zu berichten.» Angesichts der bevorstehenden Pensionierung und dem einen Freispruch reduzierte Richter Peyer die Geldstrafe auf 1600 Franken und die Busse auf 400 Franken. Zudem muss Gomes je die Hälfte der Verfahrens- und der Parteikosten tragen.