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Mit einer Hirnerschütterung, einer gebrochenen Nase und Prellungen endete der brutale Angriff auf einen Badener Anwalt vor vier Jahren. Der erste Prozesstag ist vorbei. Er zeigte, wie eine eskalierte Freitagnacht sieben Männerleben verändert hat.
Mittwoch kurz nach 8.30 Uhr, Bezirksgericht Baden, grosser Saal: Sechs junge Männer treten ein. Jeder hat seinen eigenen Verteidiger, seine eigene Verteidigerin dabei. Die Männer sind so gut gekleidet wie ihre Anwälte: Hemden, Vestons, Halbschuhe. Sie treten ein und wissen: Heute müssen sie geradestehen – für eine brutale Tat.
Vor vier Jahren, am 26. Februar 2011, waren die sechs gemeinsam im Ausgang. Es ist ein Freitagabend. Die sechs Männer absolvieren zu der Zeit ihre Lehre. Gussformer, Polymechaniker, Lüftungsanlagenbauer. Am Freitag nach Schichtende tauschen sie ihre Sicherheitsschuhe gegen Sneakers, die Arbeitshosen gegen Jeans. Es ist der letzte Feierabend der Woche – und der will gefeiert werden. Die sechs kennen sich, wohnen in Nussbaumen, Ennetbaden, Suhr. Ihr Treffpunkt: Die «Nouba-Lounge» in der Badener Altstadt. Ihr Ziel: Spass haben – sprich: sich betrinken.
Alkohl als Freizeitsport
«Der Alkohol war damals in unserer Gruppe eine Art Freizeitsport», sagt einer der Angeklagten. Die Männer trinken Bier, bestellen Longdrinks, rauchen Zigaretten. Gegen Mitternacht entschliessen sie sich, ein Haus weiterzuziehen. Sie wollen ins Kulturlokal Merkker. Und entdecken auf dem Weg dahin in der Oberen Gasse etwas, das nach Vergnügen aussieht: bereitgestellte Altpapierbündel.
Die jungen Männer sind sportlich und haben eine Idee. Sie nutzen den Altpapierstapel spontan als Katapult. Drei von ihnen steigen hinauf und springen akrobatisch herunter. Dabei verliert Luka* seinen Autoschlüssel. Mit zweien seiner Begleiter beginnt er, nach dem Schlüssel zu suchen. Er muss irgendwo zwischen die Altpapierbündel gefallen sein. Die Männer werfen einige Bündel zur Seite auf die Gasse. Die drei anderen Kameraden warten weiter unten bei einem Sportgeschäft.
Dieser Freitagabend ist auch für zwei Badener Rechtsanwälte der letzte Feierabend der Woche. Ihr Treffpunkt: Die «Unvermeidbar», nur wenige Schritte von der «Nouba-Lounge» entfernt. Ihr Ziel: den Winterabend nach einem gemeinsamen Nachtessen gemütlich an der Bar ausklingen lassen. Gegen Mitternacht entschliessen sie sich, nach Hause zu gehen.
Sie wollen zur Bushaltestelle «Weite Gasse». Und entdecken auf dem Weg dahin eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher, die Altpapierbündel herumschmeissen. Der 31-Jährige und der 37-Jährige bleiben ein paar Meter davon entfernt stehen. Rufen den Suchenden zu, sie sollen damit aufhören. Fordern sie auf, das Papier wieder zu ordnen. Doch das haben die jungen Männer – obschon sie den Autoschlüssel inzwischen gefunden haben – nicht im Sinn. Sie laufen weg. Der 37-jährige Marcel M.* ruft ihnen nochmals hinterher, sie sollen aufräumen.
Zigarette und Fäuste ins Gesicht
Ein Streit entbrennt. Die jungen Männer bauen sich in einem Halbkreis um die zwei Herren auf. Luka spickt einen glimmenden Zigarettenstummel in Richtung Marcel M.* – und trifft ihn mitten ins Gesicht. Der Anwalt packt Luka am Kragen. Gibt ihm zu verstehen, dass er dies nicht akzeptiere. Jetzt eskaliert die Situation: Danijel* will seinen Cousin Luka «verteidigen», wie er aussagt.
Danijel weiss, dass er sich besser heraushalten würde: Erst ein halbes Jahr ist es her, seit er wegen einfacher Körperverletzung verurteilt wurde, weil er einen Zeitungsverträger geschlagen hatte. Doch Danijel schlägt erneut zu: Mit der Faust trifft er Marcel M. hart an der Schläfe. Marcel M. schwankt, Luka setzt nacht, Faust gegen Nase, M. taumelt, ein Dritter schubst ihn, M. will sich mit einem Fusskick wehren.
Ein Vierter will den Fusskick abwehren, Schienbein gegen Schienbein, M. geht zu Boden. Der Fünfte der Gruppe tritt ihm in den Rücken. Jetzt greift auch der Sechste noch in die Schlägerei ein: Milo, ein guter Fussballer, nimmt zwei Meter Anlauf, wie bei einem Freistoss. Der Kopf wird zum Ball, schlägt gegen die Hauswand, M. wird bewusstlos. Milo beugt sich dennoch über ihn und versetzt ihm einen letzten Faustschlag ins Gesicht.
M.s Kollege versucht, die Angreifer wegzuziehen, schreit um Hilfe. Passanten schreiten ein, die Schläger fliehen und werden Tage später dank des Videos einer Überwachungskamera aus der Badener Tunnelgarage gefasst.
Mehrjährige Strafen gefordert
Heute Mittwoch sprechen die Angeklagten von einem «einmaligen Fehltritt», von «jugendlichem Leichtsinn». Sie sind sich einig: Was sie getan haben, sei nicht zu entschuldigen. Könnten sie, würden sie es sofort rückgängig machen. Einige von ihnen haben sich inzwischen persönlich bei Marcel M. entschuldigt. Dieser ist am Mittwoch vor Gericht nicht anwesend. Nach der Attacke musste er mehrmals operiert werden und seine Arbeit auf der Kanzlei teilweise unterbrechen.
Die Staatsanwaltschaft fordert für die zwei Haupttäter Danijel und Milo unbedingte Freiheitsstrafen von 18 Monaten respektive zweieinhalb Jahren. Luka soll eine bedingte Freiheitsstrafe von 15 Monaten und ein Busse von 500 Franken erhalten. Für die drei Mittäter sind jeweils einjährige bedingte Freiheitsstrafen gefordert. Die meisten Verteidiger anerkennen die Schuld ihrer Mandanten an – aber nicht alle. Sie sagen teilweise: Marcel M. habe auch provoziert, etwa gesagt, Lukas Auto sei «sicher geleast».
Die Urteilsverkündung ist für Donnerstagnachmittag angekündigt.
*alle Namen geändert