Bezirksgericht Baden
Schwuler sucht ersten Sex im Internet – und erlebt ein Trauma

Die Tat wurde erst zweieinhalb Jahre später gemeldet. Nun wurde ein Homosexueller wegen mehrfacher sexueller Nötigung verurteilt.

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Beschuldigt der mehrfachen, teilweise versuchten sexuellen Nötigung, sass der Angeklagt in Baden vor Schranken.

Beschuldigt der mehrfachen, teilweise versuchten sexuellen Nötigung, sass der Angeklagt in Baden vor Schranken.

Walter Schwager

Blass, feingliedrig, blaugraues Hemd, hellbraune Hose, akkurat geschnittenes Haar, der Scheitel wie mit einem Lineal gezogen – Pascal (alle Namen geändert) ist 35, wirkt aber jünger. Beschuldigt der mehrfachen, teilweise versuchten sexuellen Nötigung, sass er in Baden vor Schranken.

Nach einigen Vorbemerkungen von Gerichtspräsident Guido Näf musste Pascal den Saal verlassen, um die Befragung von Kevin über Video in einem Nebenraum zu verfolgen. Auch die Medien wurden ausgeschlossen. In der Befragung des Beschuldigten wurde ersichtlich, dass Kevin vor Gericht haargenau wiederholt hat, was er bei der Polizei und Staatsanwaltschaft ausgesagt hatte.

Der zehn Jahre jüngere Kevin, noch ohne sexuelle Erfahrung, hatte Pascal in einer Online-Plattform für homosexuelle Männer kennen gelernt. Aus einem Mailverkehr zwischen den beiden hatte ein Treffen in Pascals Wohnung resultiert. Dort war nicht lange herumgefackelt worden. Nach gegenseitigem Masturbieren auf dem Sofa im Wohnzimmer, war man ins Schlafzimmer disloziert, wo der Jüngere sich auf Geheiss des Älteren bäuchlings aufs Bett gelegt hatte. Ohne Kondom war Pascal anal in Kevin eingedrungen. Obwohl dieser mehrfach «Stopp, ich will nicht mehr» sagte, hatte Pascal nicht aufgehört. Als Kevin versuchte, seinen Körper wegzudrehen, hatte Pascal ihn aufs Bett gedrückt und den Kopf ins Kissen gepresst, dass Kevin kaum noch atmen konnte.

Aus Angst oral befriedigt

Nach rund zehn Minuten hatte Pascal schliesslich, ohne Samenerguss, aufgehört und Kevin war im Bad verschwunden. Von dort zurückgekehrt, hatte Pascal zweimal verlangt, von ihm oral befriedigt zu werden, was Kevin, wie er aussagte, aus Angst auch tat.

Grundsätzlich bestätigte Pascal das Geschehen, stritt nichts ab, meinte aber: «Dass Kevin ‹stopp, aufhören› gesagt haben will, war mir nicht bewusst. Wenn einer das explizit sagt, höre ich normalerweise auf.» Später räumte der Beschuldigte ein, bei Kevin «ein gewisses Unbehagen» wahrgenommen zu haben. Noch später dann erklärte Pascal, er habe gedacht, das Verhalten von Kevin sei Teil eines Rollenspiels: «Darauf stehe ich und auch auf Gewalt beim Sex.»

Der Staatsanwalt forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren bedingt und 2000 Franken Busse. Dass Kevin erst zweieinhalb Jahre nach dem Vorfall Anzeige erstattet hatte, führte der Ankläger darauf zurück, dass dieser das Erlebnis zunächst verdrängt und sich danach lange nicht hatte überwinden können.

Tatsächlich hatte Kevin nach der – wie er es bezeichnete – «Vergewaltigung» psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen müssen und ist offenbar noch immer nicht über das erlittene Trauma hinweg. Seine Anwältin forderte entsprechend eine Genugtuung von 15 000 Franken für das Opfer. Der Verteidiger, der auf Freispruch plädierte, erwähnte, Kevin sei schon vor dem Vorfall psychisch angeschlagen gewesen, habe sich in den zweieinhalb Jahren bis zur Anzeige aber trotzdem einen Tatablauf festlegen können.

Nicht einstimmig

Das Gericht fällte kein einstimmiges Urteil. Eine Minderheit hätte Pascal freigesprochen, die Mehrheit sprach ihn schuldig und verurteilte ihn zu 18 Monaten bedingt, 1500 Franken Busse und einer Genugtuungszahlung von 4000 Franken an Kevin.

«Es ist dies einmal mehr ein heikler Fall, steht doch Aussage gegen Aussage. Das äussere Geschehen ist unbestritten, die Frage ist, ob es einvernehmlich geschah oder nicht. Die Mehrheit der Richter stellte auf die Glaubwürdigkeit des Opfers ab und auf dessen konstant gleichbleibenden Aussagen», so die Begründung von Richter Guido Näf.