Baden
Scientology ignoriert «Stopp-Werbung»-Kleber: So rechtfertigt sich die umstrittene Organisation

Jürg Stettler, Präsident der Scientology Kirche Zürich, nimmt Stellung zur unerwünschten Flyer-Verteilung und Religionswissenschafter Georg Otto Schmid erklärt, warum der Kanton Aargau für die Organisation so wichtig ist.

Pirmin Kramer
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In Badener Briefkästen landeten vor wenigen Tagen Flyer von Scientology – trotz Aufklebern, die Werbung verbieten. (Archivbild)

In Badener Briefkästen landeten vor wenigen Tagen Flyer von Scientology – trotz Aufklebern, die Werbung verbieten. (Archivbild)

Felix Gerber

In Badener Briefkästen landeten vor wenigen Tagen Flyer von Scientology – trotz Aufklebern, die Werbung verbieten. Auf dem Zettel preist die umstrittene Organisation ihre App sowie ihren eigenen TV-Sender an.

Jürg Stettler, Präsident der Scientology Kirche Zürich, nimmt Stellung: «Wenn Leute keine Werbung erhalten möchten, respektieren wir diesen Wunsch normalerweise. Wir erteilten diesmal einer externen Firma den Auftrag, die Flyer zu verteilen. Diese Firma hat sie dann wohl zusammen mit anderem Werbematerial in die Briefkästen gelegt.»

Religionswissenschafter Georg Otto Schmid beobachtet Scientology seit Jahren. «Immer wieder hören wir davon, dass sich Scientology-Verteiler um ‹Stopp-Werbung›-Kleber an Briefkästen foutieren. Darauf angesprochen, kommt von offizieller Stelle gern eine Entschuldigung, ehe dann doch wieder auf diese Weise Werbung gemacht wird.» Eine Behauptung, die Jürg Stettler so nicht stehen lassen will: «Dieser Vorwurf ist schlicht nicht zutreffend.»

«Wenn Leute keine Werbung erhalten möchten, respektieren wir diesen Wunsch normalerweise.» Jürg Stettler Präsident Scientology Kirche Zürich

«Wenn Leute keine Werbung erhalten möchten, respektieren wir diesen Wunsch normalerweise.» Jürg Stettler Präsident Scientology Kirche Zürich

ZVG

Die Meinungen von Stettler und Schmid betreffend Scientology könnten kaum weiter voneinander entfernt sein. Der Religionswissenschafter bezeichnet Scientology als «eine der umstrittensten Organisationen überhaupt». Schmid: «Viele ehemalige Scientologen berichteten davon, finanziell und psychisch unter Druck gekommen zu sein.» Stettler wiederum bezeichnet Schmid als einen der letzten übrig gebliebenen Gegner von Scientology.

Schmid sei als Sektenbeauftragter der evangelischen Kirchen beileibe kein neutraler Religionswissenschafter. Dass Scientology als Sekte bezeichnet werde, missfällt Stettler: «Sekte ist für Minderheitsreligionen ein Schimpfwort, das nur der Ausgrenzung dient – in der Geschichte der Menschheit ging es vielen neuen Religionen so.»

Weiter sagt Stettler: «Wir gehen ja inzwischen in Richtung Mainstream-Religion.» Erstaunlicherweise sind sich die beiden in einem Punkt aber einig: Der Aargau ist bei Scientology verhältnismässig gut vertreten.

Georg Otto Schmid sagt dazu: «Dass in Baden mit Flyern um Aufmerksamkeit für Scientology TV geworben wird, ist kein Zufall. Der Aargau ist für Scientology wichtig.» Einige Gründungsmitglieder des Schweizer Ablegers der Sekte stammten aus dem Kanton, und auch heute noch ist der Aargau bei Scientology verhältnismässig gut vertreten.»

«Dass in Baden mit Flyern um Aufmerksamkeit für Scientology TV geworben wird, ist kein Zufall.» Georg Otto Schmid, Religionswissenschafter

«Dass in Baden mit Flyern um Aufmerksamkeit für Scientology TV geworben wird, ist kein Zufall.» Georg Otto Schmid, Religionswissenschafter

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Schmid schätzt, dass rund 150 aktive Scientology-Mitglieder im Kanton Aargau wohnen. In den Neunzigerjahren hätten rund 350 Scientology-Mitglieder im Aargau gelebt. Auch Stettler sagt: «Ja, es stimmt, viele unserer Mitglieder leben im Aargau.»

Er spricht von rund 300 bis 400 Aargauer Scientologen, wobei nicht alle aktive Mitglieder seien. «Gleichzeitig ist aber eine Tatsache, dass es wichtigere Kantone gibt, Zürich oder Basel, wo unsere grössten Kirchen stehen.»

Schweizweit gebe es rund 5000 Scientologen, 2500 davon seien regelmässig aktiv.» Schmid hingegen schätzt, dass Scientology nur noch rund 600 bis 700 aktive Mitglieder in der Schweiz habe.

Zuletzt stellt sich noch die Frage, ob der in Baden verteilte Flyer seinen Zweck überhaupt erfüllt. Denn der Slogan klingt kryptisch: «Das Einzige, was interessanter ist als das, was Sie gehört haben, ist das, was Sie nicht gehört haben.» Scientology-Präsident Stettler räumt ein: «Ich musste den Text auch zweimal lesen, bis ich ihn verstand, er macht aber Sinn.»