Rudolf Ottischnig, alle nennen ihn Ruot, ist einer der eigensinnigsten und erfolgreichsten Künstler der Region. Diese Woche wurde er 80.
Ruot kann über sich selber lachen. Und weil seine Sätze druckreif sind, gesprochen in angenehmem österreichischem Dialekt, hört man ihm richtig gerne zu. «Ich bin abergläubisch», sagt er. «Wenn ich gute Malerei sehe, muss ich dem Bild so nahe kommen wie möglich.» In Madrid, bei den «drei Grazien», löste er dadurch einst Alarm aus, und die Polizei umstellte ihn. Gefällt ihm ein Bild hingegen nicht, verlässt er fluchtartig den Raum. «Weil ich Angst habe, dass es sich auf mich überträgt. Das ist wie ein Wahn.»
Und dann wieder so ein Satz, der hängen bleibt: «Ich bin schon eigenbrötlerisch.» Man glaubt es sofort, wenn man sich in seiner Vierzimmerwohnung im Turgemer Quartier Wil umschaut, die auch als Atelier dient. Dutzende Uhren hängen an den Wänden – alle geben eine andere Zeit an. «Wir gehen alle sorglos um mit der Zeit, dabei ist sie absolut tödlich. Daran erinnern mich diese Uhren.» Diese Woche wurde Ruot, der sich so intensiv mit der der Vergänglichkeit befasst, 80 Jahre alt. Was will er mit der Zeit anfangen, die ihm bleibt? «In einem Gleichmass weitergehen zu können und gesund zu bleiben, das wäre schön.» Und welches war die wichtigste Zeit in seinem Leben? «Klar die Kindheit, sie hat mich geprägt und mit der Schweiz verbunden, für immer.»
Aufgewachsen in der Steiermark, kam er nach dem Krieg im Alter von sechs Jahren als ausgehungertes Kind mit einem Rotkreuztransport zur Erholung nach Elgg im Kanton Zürich. «Das war einschneidend, hier ass ich zum ersten Mal Orangen und Bananen, hier hatte ich zum ersten Mal im Leben keinen Hunger.» Weil es ihm so gut gefiel in der Schweiz, bewarb er sich nach dem Studium, Elektrotechnik in Graz – später auch noch Mathematik in Zürich –, für einen Ferienjob bei der BBC in Baden. «Die hatten das Gefühl, die könnten mich gebrauchen, ich erhielt einen lukrativen Vertrag.»
So landete Ruot in Turgi, wo er bis heute lebt und wo die meisten seiner Bilder entstanden. Einige davon wurden «zusammen mit den ganz Grossen ausgestellt, meine Bilder hingen in Zürich in einem Raum mit Picasso, Renoir und Cézanne. Es gibt wahrscheinlich wenig lebende Maler in der Schweiz, die mit diesen Künstlern ausgestellt worden sind. Das würde ich schon als Erfolg bezeichnen, ebenso, dass meine Bilder in die ganze Welt verkauft worden sind.»
Mit Kunst Geld zu verdienen, sei nie der Antrieb gewesen. «Jeder Maler kann nur für eine einzige Person malen – für sich selbst. Wenn jemand anderer damit in Resonanz kommt, ist das natürlich schön.» Die Malerei sei vielmehr immer sein Überdruckventil gewesen. «Ich halte das Bild zurück, bis ich nicht mehr anders kann, bis ich es malen muss, dann ist das wie eine Explosion, eine Befreiung. Dann verliere ich die Kontrolle und gerate in eine Euphorie.»
Das Handwerk erlernte er bei Studienaufenthalten in Paris und London, auch in Le Havre in der Normandie verbrachte er Zeit, und in Rom. Dort tauschte er sich von Zeit zu Zeit mit Regisseur Federico Fellini aus –«ein sehr guter Zeichner»; zum Beweis legt er ein Foto vor, das die beiden zeigt. Beeindruckt habe ihn auch die kurze Begegnung mit der Schauspielerin Giulietta Masina.
«Frauen brachten mir alles bei»
Über die Frauen sagt Ruot: «Alles, was ich gelernt habe, brachten mir Frauen bei, die Sprachen etwa, Italienisch und Französisch. Es musste nicht immer eine Liebesbeziehung sein.» Ruot war verheiratet, es ging aber nicht so aus wie gewünscht, das Verhältnis zu ihr ist jedoch noch gut, «wir helfen uns gegenseitig».
Die Themen für seine Bilder suche er nicht, sie tauchen einfach auf. Oft malt er Witwen. «Ja, Sie hören richtig, Witwen. Warum? Ich weiss es nicht. Sie werden es nicht glauben, aber diese Bilder verkaufen sich auch noch gut. Die Witwe weiss um die Liebe, sie weiss um den Tod. Und die Witwe, die ich male, hat immer noch erotisches Potenzial. Diese Kombination von Vergänglichkeit und Frauentum, vielleicht ist es das, was mich fasziniert.» Weitere Themen, die Ruot immer wieder malt: Die Normandie – weil er dort lebte. Und Musikbilder, weil es günstiger war, ein Studententicket für die Oper zu kaufen, als seine kalte Grazer Wohnung mit Holzkohle zu heizen.
Im Alter von über 70 wurde Ruot auch noch als Dichter entdeckt. «Ich schreibe schon lange, ohne zu glauben, dass meine Gedichte und Texte auch nur einen Menschen interessieren könnten.» Irgendwann wollte er es aber doch wissen – 2016 erschien «Empfindungsregen», mit Prosa und Lyrik, die er zwischen 1960 und 1970 schrieb. Zum Unterschied zwischen der Malerei und dem Schreiben, sagt Ruot: «Es ändert nur die Technik, die Seelenbotschaften bleiben gleich. Literatur, Malerei und Musik sind Geschwister.»