Bezirksgericht Baden
Sexuelle Handlung in der Therapie? Physiotherapeut wurde freigesprochen

Weil Katarina an Schulterschmerzen litt, suchte sie Physiotherapeut Gabriel auf. Bei den Sitzungen soll es zu sexuellen Handlungen gekommen sein.

Carla Stämpfli
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Sexuelle Belästigung bei der Physiotherapie? (Symbolbidl)

Sexuelle Belästigung bei der Physiotherapie? (Symbolbidl)

Keystone

Sucht eine Person einen Physiotherapeuten auf, muss sie nicht damit rechnen, im Genitalbereich angefasst zu werden. Doch genau das soll Katarina (alle Namen geändert) im Sommer 2013 passiert sein. Deswegen stand Physiotherapeut Gabriel diese Woche vor dem Bezirksgericht Baden. Angeklagt war er wegen mehrfacher Schändung. Diesen Straftatbestand erfüllt, wer «eine zum Widerstand unfähige Person in Kenntnis ihres Zustandes zu einer beischlafähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht».

Doch von vorn: Katarina, eine Mittvierzigerin, litt an starken Schmerzen im Schulterbereich. Ihr Hausarzt überwies sie deshalb an Gabriel, der in der Region Baden eine Physiotherapiepraxis führt. Als er Katarina im März 2013 zum ersten Mal untersuchte, entschied er, sie energetisch zu behandeln. «Wegen den starken Schmerzen konnte ich ihre Schulter nicht anfassen. Eine physiotherapeutische Behandlung machte keinen Sinn», sagte der Angeklagte vor den Bezirksrichtern.

Gabriel wandte in der Folge eine sogenannte Spannungsausgleichsmassage an: Dabei fuhr er mit speziellen Metallstäbchen den Meridianen – den Energieleitlinien – auf Katarinas Körper entlang. Weil er aber nach mehreren Behandlungen festgestellt hatte, dass die Schmerzen kaum nachgelassen haben, schlug er ihr und dem Hausarzt vor, die Therapie vorläufig abzubrechen. «Beide wünschten aber, dass ich die Behandlung fortsetze», sagte er.

«Haben sie daraufhin die Behandlungsform verändert?», fragte Gerichtspräsident Guido Näf. «Ja», sagte Gabriel, der mit weissem Hemd und aufeinandergefalteten Händen im Gerichtssaal sass. Mit ruhiger Stimme sagte er, dass er danach auch den Übergang zwischen Steiss- und Schambein, vom Gouverneurs- zum Konzeptionsgefäss, miteinbezogen habe. Dass er dabei mit den Metallstäbchen in eine heikle Gegend fahren müsse – seitlich am Genitalbereich vorbei – habe er Katarina erklärt. «Das hat sie nicht irritiert», sagte Gabriel rückblickend.

Gegensätzliche Aussagen

Was in den darauffolgenden Behandlungen vorgefallen ist, beschrieben die Zivilklägerin und der Angeklagte gegensätzlich. Katarina, die von der Verhandlung dispensiert wurde, hatte bei den Einvernahmen zu Protokoll gegeben, dass der Physiotherapeut bei mindestens sieben Behandlungen einer oder mehrere seiner Finger in ihre Vagina und ihren After einführte. Dass er diese Absichten hatte, habe sie nicht erkennen können: Sie habe jeweils mit dem Rücken auf dem Behandlungstisch gelegen. Auch fragte sie jeweils nach, ob diese Art von Therapie wirklich nötig sei. Weil Gabriel dies bejahte, vertraute sie darauf, dass er das Richtige tat und die Schmerzen weggehen würden.

Gabriel hingegen wollte von alledem nichts wissen. Er stritt ab, mit seinen Fingern je in ihren Intimbereich eingedrungen zu sein: «Mir ist es absolut unverständlich, warum sie dies sagt.» Ob ihm denn nie aufgefallen sei, dass Katarina die energetische Behandlung unangenehm sei?, fragte der Gerichtspräsident. Nein, sie habe nie eine Bemerkung fallen gelassen, sagte der Angeklagte. Bis zum einem Mal, als sie den Wunsch geäussert habe – «wegen der Menstruation» –, den «energetischen Teil» wegzulassen. Seither habe er sie nur noch physiotherapeutisch behandelt, betonte er.

Carmen Emmenegger, die Rechtsanwältin der Klägerin, führte in ihrem Plädoyer unter anderem aus, dass es Katarina seit den Vorfällen psychisch schlecht gehe. Auch sagte sie, dass sich der Angeklagte in Widersprüchlichkeiten verstricke. Verteidiger Ubald Bisegger brachte wiederum ins Spiel, dass Katarina seit 2011 wegen wiederholten Depressionen in Behandlung war. Sie sei «zweifellos verzweifelt» gewesen, weil er ihr nicht helfen konnte. Vielleicht habe sie den Physiotherapeuten auf diese Weise bestrafen wollen.

Freispruch gefordert

Während die Staatsanwaltschaft eine zweieinhalbjährige Gefängnisstrafe und ein fünfjähriges Berufsverbot forderte, plädierte Gabriels Verteidiger auf Freispruch. Das Gericht konnte sich nicht zweifelsfrei davon überzeugen, dass sich der Sachverhalt gemäss Anklageschrift tatsächlich so ereignet hat. Aus diesem Grund sprach es den Beschuldigten nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» frei.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.