Baden
Sie haben gemordet, um nicht erkannt zu werden

Die beiden Männer, die 2008 in Birmenstorf Fritz S. brutal töteten, standen vor Gericht. Der Staatsanwalt fordert für den einen Angeklagten 17 Jahre Freiheitsstrafe, für den anderen 20 Jahre - und die Verwahrung.

Rosmarie Mehlin
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Wie sehen junge Männer aus, die einen ihnen flüchtig bekannten 65-Jährigen auf brutalste Weise töten? Gestern sassen sie in Baden vor Gericht: der 26-jährige Hüseyin T. wie ein Musterknabe mit modischer randloser Brille, offenem hellblauem Hemd und grauer Strickjacke und der 31-jährige Orham I. im graublauen Pulli mit bravem Hemdkragen und ebenso brav geschnittenem Haar. Während er den Ausführungen einer Psychologin und einer forensischen Psychiaterin finster folgte, schien Hüseyin T. unbeteiligt. Dabei waren die beiden Fachfrauen allein wegen ihm aufgeboten. Denn gemäss dem Staatsanwalt soll Hüseyin verwahrt werden.

Frust entlud sich in Brutalität

Er und Orhan sind angeklagt des Mordes und weiterer gravierender Delikte. Sie bestreiten nichts. Die Luft im Gerichtssaal wurde von Stunde zu Stunde stickiger, das Atmen für die Zuhörer beschwerlicher ob der Schilderungen, was sich im Juli 2008 in einem alten Bauernhaus in Birmenstorf zugetragen hatte. Der 33-jährige A.T. hatte Orham und Hüseyin dorthin geführt und mit Fritz S. bekannt gemacht: Der Geistheiler sollte ausgeraubt werden.

Nach dem Besuch bat A.T. die beiden anderen, bis zum Raub aus Vorsicht zwei Wochen vergehen zu lassen. Hüseyin und Orham aber schritten schon am anderen Abend zur Tat. Die Freude, mit der sie vom homosexuell veranlagten Fritz S. empfangen wurde, wandelte sich rasch in Grauen: die beiden fesselten den Gastgeber, schlugen und knebelten ihn, bis sie im Besitz seiner Kreditkarten mit Pincode und Tresorschlüssel waren. In Letzterem fanden sie nur eine Pistole, mit Ersterem ging Hüseyin schnurstracks zum Bancomaten. Als er nicht mehr als 2000 Franken ziehen konnte, kehrte er sauer zurück.

Dort entlud sich der Frust der erfolglosen Räuber in unbeschreiblicher Brutalität. Orham schlug Fritz S. die Pistole mehrfach wuchtig auf den Kopf, Hüseyin stülpte dem blutüberströmten Opfer Abfallsäcke über den Kopf, Orham schlug weiter zu und band die Säcke um den Hals zu. Fritz S. erstickte. Seine Mörder versuchten ein Feuer zu legen, um ihre Spuren zu verwischen, und machten sich mit dem Pw ihres Opfers aus dem Staub. Knapp zwei Monate später konnten sie in Strassburg verhaftet werden.

Sie gestanden. Hüseyin sagte, der Mord sei für ihn «die Krönung» gewesen. Die «Krönung» einer langen Karriere von Delinquenz. Als Fünfjähriger war er, im Rahmen des Familienzusammenzugs, aus der Türkei hierhergekommen. Mit 14 hatte er mit Alkoholkonsum und extensivem Glücksspiel begonnen. Eine Lehre als Automonteur hatte er abgebrochen. 2001 wurde er eingebürgert.

Er hatte ständig wechselnde Jobs und Frauenbekanntschaften, nahm Drogen, trank. Im Spielcasino habe er über 10000 Franken verloren, in Spielsalons ein Vielfaches. Eine 25 Jahre ältere Frau, deren Liebhaber er vorübergehend war, habe ihm viel Geld zugesteckt. Daneben stahl und raubte er wegen chronischen Geldmangels ebenso chronisch. Unter anderem überfiel er 2007 den Volg in Schinznach-Bad und verprasste die erbeuteten 6000 Franken in den Ferien daheim im türkischen Hinterland. Ebenfalls 2007 schoss er bei einem Überfall auf einen Geldtransporter mehrfach haarscharf an dessen Fahrer vorbei, um dann ohne Beute zu fliehen. «Sie waren bereit, für Geld alles zu tun», so Gerichtspräsident Bruno Meyer. «Ja, ich habe meine Bedürfnisse über alles andere gestellt.»

Sehr hohe Rückfallgefahr

Die Anstaltspsychologin und die Gutachterin sind sich einig, dass Hüseyin an einer Persönlichkeitsstörung leidet, die nur sehr schwer therapierbar ist, und dass die Rückfallgefahr bei ihm sehr hoch ist. Darum will der Staatsanwalt, dass Hüseyin nach Verbüssung der Strafe – 20 Jahre fordert er– verwahrt wird.

Für Orham hingegen beantragt der Staatsanwalt 17 Jahre Freiheitsstrafe und keine Verwahrung. Obwohl Orham am Mord aktiver beteiligt war und ebenfalls viele Vorstrafen aufweist. Er war mit neun Jahren aus Anatolien hierhergekommen. 2000 war sein Vater in den Ferien fälschlicherweise denunziert, daraufhin verhaftet und gefoltert worden. Später hatte er sich das Leben genommen. Orham hatte sich in Drogen und Alkohol geflüchtet, Beschaffungskriminalität war auf dem Fuss gefolgt. «Wir haben Fritz S. nur getötet, weil er uns hätte wiedererkennen können», gab er offen zu. Laut psychiatrischem Gutachten ist Orhams Reue glaubwürdig.

Mit A.T. und einem weiteren 26-jährigen Türken sassen gestern auch noch zwei Nebenangeklagte vor Gericht. Alle Urteile werden am Dienstag publik gemacht.