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Tausende Aargauer Patienten können nicht mehr zu ihrem Arzt: Sieben «MeinArzt»-Praxen sind zumindest vorübergehend geschlossen.
Die Patienten der "MeinArzt"-Praxis in Niederrohrdorf standen Anfang Woche plötzlich vor verschlossenen Türen. "Der Arzt ist einfach weg", schreibt eine Leserin der AZ. Die Praxis bleibe aus betrieblichen Gründen geschlossen, stand auf einem Zettel an der Praxistür.
Die Schliessung erfolgte so kurzfristig, dass die Patientendossiers nicht mehr abgeholt werden konnten. Hunderte Akten landeten beim Betreibungsamt Heitersberg-Reusstal in Niederrohrdorf. "Wir mussten beim Betreibungsamt die Akten abholen mit ganz vielen anderen Personen", schreibt eine andere Leserin. Die Leute seien dort teilweise Schlange gestanden.
"Manche Leute sind regelrecht schockiert, weil der Arzt gar nicht mehr da ist", sagt Roger Fessler, der Leiter des Betreibungsamt, über die Leute, die ihre Akten abholen. Manche bräuchten die Unterlagen, damit ihnen ein anderer Arzt wichtige Medikamente verschreiben kann.
"Im Kanton Aargau wird gemäss unseren Abklärungen in 7 von 8 'MeinArzt'-Praxen nicht mehr gearbeitet", sagt Michel Hassler, Sprecher des kantonalen Departements Gesundheit und Soziales (DGS).
Geschlossen sind die Praxen in Niederrohrdorf, Bad Zurzach, Staufen und Wettingen, eine in Seon (nicht aber jene von Riccardo Regli an der Talstrasse, der sich von "MeinArzt" längst getrennt hat) sowie jene im Aarauer Telli-Quartier. Eine weitere "MeinArzt"-Praxis am Bahnhof Aarau werde mittlerweile von einem Arzt selbständig geführt. "Die Anzahl der betroffenen Patientinnen und Patienten ist uns nicht bekannt", sagt Hassler. Klar ist aber: Tausende Aargauer Patienten sind betroffen. Allein bei Betreibungsamt in Niederrohrdorf liegen laut Leiter Fessler noch einige hundert Krankenakten.
"Hinsichtlich Krankengeschichten haben wir alle Ärztinnen und Ärzte der 'MeinArzt'-Praxen angeschrieben und sie auf die Aufbewahrungs- und Herausgabepflicht der Krankengeschichten ihrer Patientinnen und Patienten hingewiesen", sagt DGS-Sprecher Hassler. Dazu sind die Ärzte im Rahmen ihrer Berufsausübungsbewilligung, die sie vom DGS erhalten haben, verpflichtet. "Bei der Herausgabe von Krankengeschichten ist teilweise etwas Geduld nötig", so Hassler weiter.
Das DGS habe den Ärztinnen und Ärzten hinsichtlich Aufbewahrung und Herausgabe der Krankengeschichten Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt. "Wir empfehlen Patientinnen und Patienten, sich an ihre Apothekerin ihres Vertrauens zu wenden oder an den Notfallarzt, sollten sie Medikamente benötigen."
Hintergrund der Schliessungen sind finanzielle Probleme der "MeinArzt"-Eigentümer. Die Kette kaufte vor allem Ärzten die Praxis ab, die in Rente gehen wollten und keinen Nachfolger fanden. Für jede Praxis gründete «MeinArzt»-Gründer Christian Neuschitzer, 46, eine GmbH. Die Ärzte in den Praxen sind Angestellte.
Gegen "MeinArzt"-Gründer Christian Neuschitzer, 46, läuft eine Strafuntersuchung. Die Zürcher Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Österreicher wegen des Verdachts auf Vermögensdelikte, wie sie einen Bericht des Portals "Medinside"-bestätigt.
Gegen Neuschitzer wurden schon im Juni Vorwürfe laut wegen falscher Versprechungen, fehlenden Bewilligungen und schlechter Zahlungsmoral, wie die "Rundschau" von SRF berichtete. Auch der Seoner Hausarzt Riccardo Regli hat vor der "MeinArzt"-Kette gewarnt, aufgrund seiner negativen Erfahrungen. Von Unstimmigkeiten in einer Aarauer "MeinArzt"-Praxis berichtete auch schon die AZ. Bei "MeinArzt Schweiz" war niemand erreichbar. Eine schriftliche Anfrage der AZ blieb unbeantwortet.
Wer die Telefonummer der Praxis in Wettingen wählt, erhält vom automatischen Telefonbeantworter die Mitteilung, dass die Praxis "aufgrund unumgänglicher organisatorischer Umstrukturierung bei "MeinArzt" und offener Fragen" bis zum 13. September geschlossen bleibe.
In der "MeinArzt"-Praxis in Bad Zurzach klingt es ähnlich: "Die Praxis bleibt bleibt vorerst bis Ende September geschlossen wegen betriebswirtschaftlicher Gründe." Offenbar ist auch hier eine Wiedereröffnung geplant. "Ab 1. Oktober sind wir wieder für Sie erreichbar", heisst es auf dem Anrufbeantworter weiter.
Vorübergehend geschlossen bleibt auch die Praxis im Hallenbad Seon, wie es auf dem automatischen Anrufbeantworter heisst. Auch bei weiteren Praxen war am Donnerstag niemand erreichbar.