Interview
Simon Libsig: «Ich bin quasi ein Literarzt»

Simon Libsig über sein «Aargauer-Sein», seinen berühmten Doktor-Vater und seine verändertes Leben seit der Geburt seines Sohnes vor gut sieben Monaten.

Nora Marte
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Je nach Situation: Simon Libsig ist mal Badener, mal Aargauer, mal «Zürcher».

Je nach Situation: Simon Libsig ist mal Badener, mal Aargauer, mal «Zürcher».

ZVG

Simon Libsig und ich haben uns in Baden verabredet. Er sitzt schon an einem kleinen Fenstertischchen als ich ins Café Himmel eintrete. Vertieft in die Arbeit an seinem zweiten Roman. Unser Gespräch beginnt dann aber mit einem Text, den er bereits veröffentlicht hat...

Usem Aargau: "Würklech, die händ s’Gfühl, nume will ich usem Aargau chume, häig ich voll Rohr nume Sulz im Chopf. [...] Mer bruched eifach e gueti Aargauer Mischig wiene Rüeblitorte, öpper zwüsched Kunschtwärch und Chraftwärch, eine, wos ABB, äh, s ABC beherrscht, eine, wo weiss, s’Wichtige find nie im Chopf, das find immer im Leibstadt, eine, wo cha sim Herznach, und das söll er nöd nur, das Moslerau. [...]"

Je nach Situation: Simon Libsig ist mal Badener, mal Aargauer, mal «Zürcher».

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Trotzdem: Sind Sie gerne Aargauer?

Simon Libsig: Ehrlich gesagt, sage ich selten, ich sei Aargauer, sondern bezeichne mich eher als Badener, - wobei ich genau genommen aus Ennetbaden stamme. Aber es kommt natürlich auch darauf an, wer mich nach meiner Herkunft bzw. meinem Wohnort fragt: Je weiter weg ich von Baden bin, desto ungenauer antworte ich. Im Ausland bin ich Europäer, Schweizer oder auch mal Zürcher.

Was für Erfahrungen haben Sie mit diesem Text gemacht?

Es ist ein Text, den ich halt nur im Aargau erzählen kann... Aber hier kommt er gut an. Witzig ist, dass die Menschen vor allem immer genau die Orte aus dem Text herauszuhören pflegen, an denen sie aufgewachsen sind, gerade wohnen oder einen sonstigen Bezug dazu haben. Und jene, die ihre Wohngemeinden und Bezugsorte nicht zu hören bekommen, weil ich einfach nicht alle Ortschaften in den Text mit einbeziehen konnte, kommen dann nach einer Vorstellung oft zu mir und machen mich darauf aufmerksam. Die Menschen identifizieren sich eben mit ihrer Gemeinde respektive ihrer Stadt.

Gibt es innerhalb von Baden Orte, an denen Sie sich ganz speziell gerne aufhalten, wenn Sie schreiben?

Ich schreibe an den unterschiedlichsten Orten. Oft entscheidet meine Stimmung an welchem genau. Ich habe zum Beispiel mein Büro im Merker-Areal, schreibe aber auch viel und gerne in Cafés, z. Bsp. im „Café Himmel“. Darüber hinaus bin ich auch häufig an der Limmat anzutreffen oder auf der Ruine Stein. Ich muss mich bewegen, um in Schreibfluss zu kommen.

Gerade in Baden ist auch Ihr Vater, Dr. Bruno Libsig, eine bekannte Persönlichkeit. Bestimmt werden Sie von den Menschen auch immer mal wieder in Verbindung miteinander gebracht. Wie ist oder wie war das vielleicht auch als Jugendlicher für Sie?

Das ist irgendwie noch lustig: Früher war es oft so, dass ich meinen Namen genannt habe und die Leute mich daraufhin fragten, ob ich der Sohn des Doktors sei. Heute geschieht es immer häufiger, dass die Leute meinen Vater fragen, ob er der Vater von mir sei. Auch ich wollte früher eigentlich immer Arzt werden und einmal meinem Vater in seinen Berufsstand folgen. Daraus ist nichts geworden. Dennoch versuche ich mit meinen Geschichten Ähnliches zu bewirken wie mein Vater mit der Medizin, ich bin quasi ein "Literarzt".

Das Schreiben ist eine einsame Tätigkeit – das nehmen zumindest eine Vielzahl von Autorinnen und Autoren so wahr. Die Bühne ist das komplette Gegenteil. Den Wechsel vom einen ins andere stelle ich mir spontan so vor wie einen Sprung ins kalte Wasser. Jedes Mal wieder. Brauchen Sie diesen Wechsel als eine Art innere literarische Zirkulation?

Ja, den brauche ich unbedingt. Ich bewege mich tatsächlich innerhalb eines Kreislaufs, den man salopp gesagt in etwa die Phasen „Bewegung und Ideensuche“, „Sprechimprovisation“, „Schreibprozess im stillen Kämmerlein“, „Korrektur und Umformung“ und schliesslich „Präsentieren und Erzählen“ einteilen könnte. Die letzte Phase ist mir vor allem deshalb wichtig, weil ich auch die Reaktionen auf meine Texte mitbekommen und herausfinden möchte, ob die Texte funktionieren oder eben nicht. Das Schreiben selber nehme ich aber nicht unbedingt als eine einsame Tätigkeit wahr. Wenn ich schreibe, ergeht es mir meist wie einem Kind, das beim Spiel sowohl die Zeit als auch sich selbst komplett vergisst. Und in dieser Welt, in der ich spiele, bin ich ja nicht alleine: Ich habe meine Figuren, mit denen ich lachen kann und bei denen ich mich aufgehoben fühle. Und auch meine Orte. Einsam und hilflos fühle ich mich nur dann, wenn ich unter Zeitdruck stehe und mit einem Text nicht weiterkomme.

Vor gut sieben Monaten sind Sie Vater geworden. Wie hat die Vaterschaft nebst all den anderen Veränderungen, die sie für gewöhnlich mit sich bringt, Ihr literarisches Schaffen beeinflusst?

Ich habe natürlich weniger Zeit und bin auch viel öfter müde, - ein Umstand, der es mir erschwert, mich beim Schreiben zu konzentrieren. Dafür inspiriert mich mein Sohn aber auch enorm und schenkt mir total viele neue Ideen. Gerade auch wenn ich ihn mitten in der Nacht herumtrage, weil wir beide nicht schlafen können ... Und ich frage mich oft Dinge wie: Wird meinem Sohn dieser Text einmal gefallen? Wird er ihn lustig finden? Und dann freue ich mich natürlich auch schon riesig auf die Geschichten, die er mir mal erzählen wird. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass ich seit seiner Geburt jegliche Emotionen nochmals eine Spur intensiver erlebe.

Im Rahmen Ihrer Schreibförderungs- und Storytelling-Workshops arbeiten Sie ja oft mit Kindern und vor allem auch mit Jugendlichen zusammen. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig bzw. worauf achten Sie ganz speziell?

In diesen Workshops geht es mir eigentlich in erster Linie darum, bei den Jugendlichen die Freude an der Sprache zu wecken und ihnen zu zeigen, was man alles mit dieser machen kann. Dabei ist es mir wichtig, dass die Arbeit mit der Sprache auf eine spielerische Art und Weise vonstattengeht. Am meisten berührt es mich jeweils, wenn eine Schülerin oder ein Schüler ihre bzw. seine Geschichte den anderen vorliest und diese plötzlich alle ganz still werden - inklusive Lehrer.

Und was für eine Aufgabe stellen Sie den Schülerinnen und Schülern zum Beispiel während eines solchen Workshops?

Wir schreiben zum Beispiel zusammen kleine Alltags-Horrorgeschichten, die aus drei Sätzen bestehen. Das funktioniert so, dass jedes Kind einen Satz mit fünf Worten aufschreibt, beispielsweise „OH GOTT, KEIN AKKU MEHR!“ Dann reicht es diesen an die Sitznachbarin bzw. den Sitznachbarn weiter. Dieses Kind fügt dann einen Satz aus vier Worten zu dem ersten hinzu und das nächste wiederum einen aus drei Worten. Und schon ist die Geschichte fertig. Ich arbeite aber auch viel mit Bildern, Wortspielen, Erinnerungen oder Zeitungsschnipseln.

Worauf legen Sie innerhalb Ihrer literarischen Tätigkeiten denn aktuell den Fokus?

Gedanklich vor allem auf meinem zweiten Roman. In der Praxis kann ich mich damit aber aus zeitlichen Gründen weniger beschäftigen, zumal ich mir mein Geld vor allem mit Auftritten verdiene. Nebst den Auftritten, den Kolumnen, die ich regelmässig schreibe, und der bereits erwähnten Arbeit an meinem zweiten Roman bin ich darüber hinaus noch an einem neuen Programm für die Bühne, das nächstes Jahr uraufgeführt werden soll.

Sie schreiben sowohl auf Mundart als auch auf Schriftdeutsch. Aufgrund welcher Kriterien entscheiden Sie sich für das eine bzw. das andere?

Das entscheide ich prinzipiell aufgrund des Themas, des Publikums und des Gefühls. Für mein letztes Kinderbuch "Postfächli" hatte ich zum Beispiel schon zu Beginn das Gefühl, dass es auf Mundart erscheinen müsse. Man riet mir zwar vehement davon ab, sagte mir der Markt sei zu klein, aber schlussendlich ist es jetzt trotzdem ein Erfolg geworden. Es gibt glaube ich aktuell auch einfach nicht allzu viel Kinderliteratur in Dialekt. Aber zurück zur Frage: Manchmal lasse ich mich einfach von den Worten leiten; durch ihren blossen Klang. Wenn ich auf Mundart schreibe, verwende ich dabei durchaus auch Worte aus anderen Dialekten als dem Aargauischen. Das ist manchmal ganz praktisch für den Reim.

Vielleicht eine etwas provokative Frage: Mich dünkt, dass man als Poetry Slammer schon irgendwie relativ cool sein muss, gerade auf der Bühne. Mitunter werden einzelne Slammerinnen oder Slammer ja auch total ausgebuht vom Publikum. Wie gehen Sie damit um?

Ich habe irgendwie keine Angst vor dem Publikum. Im Gegenteil: Ich freue mich darauf, ihm etwas erzählen zu dürfen. Und ich glaube der Schlüssel dazu, die Bestandesprüfung auf der Bühne zu absolvieren, liegt auch darin, nicht cool sein zu wollen. Ich versuche eigentlich immer einfach mich zu sein. Klar hatte auch ich schon Angst, aber mit der Zeit lernt man, dass einem Fehler in der Regel grosszügig verziehen werden. Ein Fehler in der Aussprache hier oder ein Versprecher dort ist ja auch viel menschlicher, als wenn einer auf der Bühne die perfekte Show abliefert und aalglatt daherkommt. Wichtig ist, dass man die Verbindung zwischen dem Publikum und sich selbst spürt, denke ich.

Zu welcher Tageszeit sind Sie am kreativsten?

Grundsätzlich am Morgen früh. Der Tag ist dann noch frisch und ich auch.