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Am Sonntag ist Benjamin Steiner in den Badener Stadtrat gewählt worden. Wie will er sich für die Stadt einsetzen? Welches ist sein Wunschressort? Die Antworten im Porträt, das vor dem 1. Wahlgang in der Aargauer Zeitung erschienen ist.
Benjamin Steiner ist kein fanatischer Linker oder Grüner. «Als Start-up-Unternehmer weiss ich, wie wichtig es ist, sparsam mit Geld umzugehen», sagt er. «Aber man kann eben auch allzu sparsam sein.» Der 40-Jährige tritt am 27. September für das Team Baden zur Ersatzwahl in den Stadtrat an. «Die Attraktivität der Stadt kostet etwas. Eine lebenswerte Stadt bringt aber auch grosse Mehrwerte», sagt er. Wir treffen Benjamin Steiner an einem sonnigen Spätsommertag bei ihm im Garten auf der Allmend. Fast ein bisschen wie im Tessin fühlt man sich hier: Hortensien blühen, ein Magnolienbaum und eine Linde spenden Schatten, der Feigenbaum trägt noch grüne Früchte. Es ist ruhig, man hört den Wind in den Blättern, in der Ferne brummt ein Rasenmäher. Unter der alten, hohen Buchshecke gackern und glucken die Hühner.
Von der Hirschlistrasse ist Benjamin Steiner mit seiner Familie vor ein paar Jahren hierher in ein Haus in der Nähe des Belvédères gezogen. Seine drei Kinder (vier, sieben und zehn Jahre alt) haben sich die Hühner zusammen mit den Nachbarskindern gewünscht, erzählt er. «Sie kümmern sich selbstständig um sie. Das funktioniert sehr gut.» Jede der fünf Hennen legt ein Ei am Tag. Ein Hahn ist keiner in der kleinen Schar: «Ein krähender Güggel wäre mitten im Quartier eher schwierig», fügt er an und schmunzelt.
Am 27. September findet der erste Wahlgang für ein neues Mitglied im Badener Stadtrat statt. Es kandidieren Stefan Jaecklin (FDP), Benjamin Steiner (Team Baden) und Luzi Stamm, der für das Komitee B. Jäger antritt. Frei wird der Sitz durch den Rücktritt von Sandra Kohler (parteilos).
Mit Tieren kennt sich Steiner aus: Er hat in Zürich Tiermedizin studiert und 2004 mit dem Doktorat abgeschlossen. «Ich hatte schon immer ein Herz für Nutztiere: Rinder, Rösser, Schafe», erzählt er. Er ging nach dem Studium als Assistenztierarzt in eine Praxis in Langnau im Emmental, wo er vor allem in der Landwirtschaft im Einsatz war. Danach war er als Zivildienstleistender in Mali, wo er in ei-nem Projekt zur Rindertuberkulose forschte. Nach der Rückkehr aus Westafrika führte ihn sein Weg erneut in eine Tierarztpraxis, nach Scuol ins Unterengadin.
«Das war eine sehr schöne Zeit», erzählt Steiner. «Ich war bald auf mich alleine gestellt, habe operiert und mich um alle möglichen Tiere gekümmert.» Als seine Frau mit dem ersten Kind schwanger wurde, kehrte Steiner ins Unterland zurück und ging für sechs Jahre zum Pharmahersteller Pfizer in Oer- likon, bei dem er für die Einführung eines Impfstoffs zuständig war. «Das war auch eine sehr spannende Erfahrung, aber nicht meine Welt.»
Steiner hält grüne Werte hoch, ohne dabei extrem zu sein. 2017 machte er sich als Unternehmer selbstständig. Er führt seither die weltweit erste biozertifizierte Insektenzucht. Die Hausarbeit und die Kindererziehung teilt er sich mit seiner Frau Nicole. Sie ist Personalchefin bei ABB Schweiz. Über seine Frau sei er erst so richtig ins politische Fahrwasser gekommen, sagt er. Sein Schwiegervater Peter Kamm prägte das Team Baden während Jahrzehnten. Aber auch Steiners Mutter war ein politisches Vorbild: Sie war als Parteilose in den Achtzigerjahren die erste weibliche Gemeinderätin in Endingen. «Sie musste sich als Frau am Anfang vie-les erkämpfen», erzählt er. «Für die zweite Legislatur wurde sie dann mit dem besten Resultat aller Gemeinderäte wiedergewählt.»
Im Badener Einwohnerrat, in dem er für das «Team» seit sieben Jahren politisiert und in dem er derzeit als Vizepräsident amtet, fällt Benjamin Steiner immer wieder mit prägnanten Voten auf. Er ist wortgewandt und nimmt kein Blatt vor den Mund. Das Amt als Stadtrat reize ihn sehr, sagt er. Sein Wunschressort wäre Planung und Bau. Dieses wird seit dem Rücktritt von Sandra Kohler interimistisch von Stadtammann Markus Schneider (CVP) geführt. Die Stadt müsse man nicht neu erfinden, findet Steiner. «Baden ist sehr gut, so wie es ist. Aber Planung und Bau ist das Ressort, das langfristig das Gesicht der Stadt bestimmt.»
Angesprochen auf seine Wünsche für das Badener Stadtbild, sagt Steiner: «Die Stadt soll für die Menschen da sein, sie soll zu Fuss und mit dem Velo gut erreichbar sein.» Er wolle den motorisierten Verkehr nicht aus der Stadt verbannen, aber den Verkehr in der Innenstadt verlangsamen. Wichtig sei ihm auch, alte Bausubstanz zu erhalten und nicht zu viele Flächen zu versiegeln. «In Zeiten des Klimawandels und von zunehmenden Hitzestaus in den Städten braucht es kluge Lösungen», sagt er. So müsse man etwa abwägen, wo Fotovoltaik auf den Dächern sinnvoll ist, und wo es mehr Begrünung braucht. «Diese Dinge beissen sich manchmal, aber es braucht eben beides.»
Neben einem lebendigen Kulturleben sei ihm deshalb Grün im doppelten Sinne wichtig: eine grüne Wirtschaft und mehr Grün in der Stadt. Eine grosse Herzensangelegenheit sei ihm auch die anstehende Revision der Bau- und Nutzungsordnung. «Dieses Thema kann man fast nicht überschätzen. Es betrifft alle. Für mich ist es extrem wichtig, dass wir das gut und richtig machen», sagt Steiner.
Bei seiner Nominierung zum Stadtratskandidaten, die im Juni per Videokonferenz stattfand, sagte Steiner scherzhaft, er sei als Landei aufgewachsen. «Mittlerweile bin ich durch und durch Städter und fühle mich voll und ganz als Badener.» Trotzdem habe er immer noch gewisse «Landqualitäten», fügt er hinzu: Er sei ehrlich, bodenständig und aufrichtig. Ein bisschen Landluft schnuppert er im Alltag immer noch. Seine Insektenzucht führt er in Endingen, wo er aufgewachsen ist, in der umgebauten Scheune seines Elternhauses.
Er und seine beiden Angestellten mussten vieles von Grund auf ausprobieren und ganz neu denken. Die Zucht sei sehr herausfordernd, und auch immer wieder sehr lehrreich. Gefüttert werden die Mehlwürmer mit Rübenkraut, Weizenkleie und Biertreber. Produkte, die es im Überschuss gibt und die sonst im Abfall landen würden. Die Insekten sind schliesslich als ressourcenschonende und proteinreiche Burger oder Meatballs im Detailhandel zu kaufen. Nachhaltigkeit sei für ihn in allen Lebensbereichen zentral, sagt Steiner.
Zu seinen zwei Gegenkandidaten habe er ein sehr entspanntes Verhältnis. Lachend sagt er: «Ich frage mich nur manchmal, ob ich nicht von den beiden links überholt werde.» Wird der Stadtrat nach links rücken, falls Benjamin Steiner gewählt wird? «Ich glaube, im Stadtrat spielt die Frage nach Links und Rechts gar keine so grosse Rolle», sagt er. Es brauche in der Exekutive keine Parteisoldaten, sondern Persönlichkeiten, die unkonventionell denken, auch einmal Allianzen schmieden und etwas umsetzen können. «Das kann ich gut, glaube ich.»
Die politische Erfahrung sei dabei nicht zu unterschätzen. Und während er die Hühner aus dem Gehege holt und sie auf den Rasen rennen, betont Steiner: «Wir stossen an die Grenzen unseres Wachstums. Ich möchte meinen Kindern später ins Gesicht sehen und sagen können, dass ich etwas für die Umwelt und für eine lebenswerte Stadt getan habe.»