Spreitenbach
«Ich bin fast in Ohnmacht gefallen»: Deutliche Kritik am geplanten Wechsel der E-Mail-Adressen

Bisher trat die Gemeinde dank eines eigenen Kommunikationsnetzes auch als Netzbetreiberin auf. Viele Einwohner besitzen deshalb E-Mail-Adressen mit der Endung flashcable.ch. Ab November sollen diese verschwinden und das Kommunikationsnetz ausgelagert werden. Das sorgte an der Gmeind für heftigen Widerstand.

Claudia Laube
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«Nicht der übliche Einheitsbrei»: Auch ein Neuzuzüger zeigte sich enttäuscht über den gemeinderätlichen Entscheid.

«Nicht der übliche Einheitsbrei»: Auch ein Neuzuzüger zeigte sich enttäuscht über den gemeinderätlichen Entscheid.

Claudia Laube

Nach acht Traktanden war die eigentliche Gemeindeversammlung in Spreitenbach nach gut einer Stunde bereits wieder vorbei. Die 79 Anwesenden (von 4737 Stimmberechtigten) nickten alle Anträge ab – darunter die Rechnung 2021 mit einem Überschuss von fast 10 Millionen Franken und den Kredit über 3,14 Millionen Franken zum behindertengerechten Ausbau von 20 Bushaltestellen.

Unter dem letzten Punkt «Verschiedenes» kam dann aber zum Vorschein, was vielen Stimmberechtigten wirklich auf dem Herzen lag: Der auf 1. November angekündigte Wechsel von der Firma GIB-Solutions, die bisher das Signal für das Kommunikationsnetz der Gemeinde lieferte, zu Sunrise/UPC. Dies hat zur Folge, dass die in der Gemeinde beliebte Endung der E-Mail-Adressen, flashcable.ch, verschwindet.

Für rund 6000 Kabelnetzanschlüsse hat sich Spreitenbach seit mehreren Jahren auch als Netzbetreiberin betätigt und ein Angebot für Internet und Telefonie wie auch E-Mail-Adressen zur Verfügung gestellt. Diesem System will der Gemeinderat nun den Rücken kehren. Er hatte deshalb das eigene Kommunikationsnetz zur Übernahme öffentlich ausgeschrieben.

Dabei habe Sunrise/UPC das vorteilhafteste Angebot eingereicht, schrieb der Gemeinderat im Vorfeld der Gmeind in einer Mitteilung. Inzwischen wurde dem bisherigen Signallieferanten gekündigt, eine Vertragsunterzeichnung mit Sunrise/UPC steht aber noch aus.

Kosten würden sich verdoppeln

Die Gemeinde wolle sich wieder auf ihre Kompetenzen zurückbesinnen und nicht mehr als Provider auftreten, erklärte Gemeindepräsident Markus Mötteli (Die Mitte) an der Versammlung. Es wurde deshalb entschieden, das Kommunikationsnetz zu vermieten.

Doch mit dem starken Widerstand, der ihm nach seinen Ausführungen entgegenschlug, hatte Markus Mötteli wohl eher nicht gerechnet. Die Stimmberechtigten wie auch die Geschäftsprüfungskommission (GPK) sind mit diesem Systemwechsel alles andere als glücklich und zeigten das offen. Weil die Entscheidung allein der Gemeinderat getroffen hatte, stellte die GPK einen Überweisungsantrag und forderte, dass die Gmeind an der nächsten Versammlung über den Vertrag abstimmen kann.

Deren Mitglied Marcel Suter erklärte – mit fortschreitender Diskussion sichtlich genervter –, dass mit dem Wegfall der E-Mail-Endung nicht nur alle Computer und Mobiltelefone angepasst sowie Konten bei Banken und Versicherungen geändert werden müssten. Nebst einem viel kleineren Angebot an Fernseh- und Radiosendern würden sich auch die Kosten zwölf Monate nach Vertragseintritt verdoppeln.

Aktuell koste ein Anschluss 40 Franken pro Monat, mit Sunrise/UPC würden die monatlichen Kosten nach zwölf Monaten auf 99 Franken steigen. Zudem wolle man gerne wissen, ob es nicht eine andere Lösung gebe, damit man flashcable.ch behalten könnte. Und sowieso, solche Verträge müssten seiner Meinung nach auch gemäss Gemeindegesetz an der Gmeind vorgelegt werden.

Kommunikationspanne zwischen Verwaltungsleiter und Ammann?

Mötteli zeigte sich überrascht, woher er, Suter, diese Zahlen hatte. Dass das Angebot nachher kleiner sei, das stimme schlichtweg nicht. Und dass nach zwölf Monaten der doppelte Preis bezahlt werden müsse, das sei nicht klar und müsse erst noch verhandelt werden. Ausserdem liege diese Angelegenheit in den Kompetenzen des Gemeinderats, weshalb er nicht auf den Antrag eingehen könne, dass der Vertrag der Gmeind vorgelegt werden müsse.

Wie er zu diesen Zahlen kam, das konnte Suter aber kurz danach genau beantworten: «Ich habe dem Gemeinderat eine Liste mit 23 Fragen zukommen lassen, die von Michael Grauwiler beantwortet wurden.» Dieser ist seit Februar der erste Verwaltungsleiter der Gemeinde.

Mit so viel Widerstand hatte der Spreitenbacher Gemeinderat wohl nicht gerechnet.

Mit so viel Widerstand hatte der Spreitenbacher Gemeinderat wohl nicht gerechnet.

Claudia Laube

Grauwiler habe gesagt, er solle auf der Sunrise-Website nachschauen, dann erfahre er die Preise: «Das günstigste Angebot nach zwölf Monaten ist 99 Franken.» Und Verträge, welche die Einwohner finanziell belasten würden, seien zwingend an der Gmeind zu behandeln, legte Suter nach.

Mötteli schien konsterniert und erklärte, dass Ausgaben, welche die Gemeinde zusätzlich belasten, von den Stimmberechtigten abgesegnet werden müssten. «Wir werden hier aber keine zusätzlichen Ausgaben, sondern mit dem Systemwechsel Einnahmen generieren.» Deshalb falle das auch nicht unter die Bestimmungen des Gemeindegesetzes.

Josef Bütler ist alt Gemeindeammann von Spreitenbach und alt Grossrat. Heute wirkt er als Präsident der Spreitenbacher FDP.

Josef Bütler ist alt Gemeindeammann von Spreitenbach und alt Grossrat. Heute wirkt er als Präsident der Spreitenbacher FDP.

zvg (2016)

Das rief Josi Bütler, seines Zeichens Spreitenbacher FDP-Präsident, auf den Plan. «Wir sprechen von Kostenoptimierung innerhalb der Gemeinde. Die Kosten tragen alle Kunden des Kommunikationsnetzes», also die Spreitenbacherinnen und Spreitenbacher. Er wisse nicht, ob das tatsächlich Sinn und Zweck davon sei.

Er sei damals zu flashcable.ch gewechselt, weil er der Überzeugung war, dass die Gemeinde ein verlässlicher Vertragspartner sei.

«Heute wurde ich eines anderen belehrt. Ich bin überrascht, dass man eine Cashcow zur Schlachtbank führt.»

Es brauche nicht so viel Intelligenz, um herauszufinden, «dass wir in einem Jahr das Dreifache von heute zahlen. Für mich ist es ein Abbau des Service public», doppelte Bütler nach. Nach seinem Votum erhielt er Applaus, den Mötteli aber rasch unterband.

Einem weiteren Votanten ging es weniger um die Kosten als um den neuen Anbieter: «Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, als ich gehört habe, an wen die Gemeinde das Kommunikationsnetz auslagert.» Er kenne die Branche und Sunrise/UPC sei der letzte Partner, den man dafür habe auswählen können. «So läuft Spreitenbach in eine Katastrophe.» Wer ein Problem habe, müsse bei Sunrise wahrscheinlich bedeutend länger warten, «bei GIB-Solutions haben wir immer schnell Hilfe erhalten».

Ein Neuzuzüger meldete sich ebenso zu Wort und lobte das jetzige System: «In Spreitenbach befindet man sich nicht im üblichen Einheitsbrei, was das Internet betrifft», er fände es super, dass es hier ein eigenes Netz mit eigenem Provider gebe. «Einer der Vorteile, den ich im Moment habe, ist, dass ich wählen kann. Das geht leider verloren.»

Die Stimmberechtigten verlangten, dass der Vertrag vorerst nicht unterschrieben wird. Mötteli lenkte ein und schlug vor, weil er über den Überweisungsantrag der GPK in dieser Form nicht abstimmen lassen könne, dass die Fragen, die sich aufgetan hätten, nun erst einmal geklärt würden. «Wir prüfen alle Anliegen, die aufgebracht wurden, und gehen noch einmal über die Bücher», erklärte er. Das Geschäft gehe zurück in den Gemeinderat und der informiere dann darüber, wie es weitergeht.

Wurde von Gemeindepräsident Markus Mötteli (l.) verabschiedet: Gemeindeschreiber Jürg Müller an seiner letzten Gmeind in Spreitenbach – er wechselt nach 35 Jahren nach Neuenhof.

Wurde von Gemeindepräsident Markus Mötteli (l.) verabschiedet: Gemeindeschreiber Jürg Müller an seiner letzten Gmeind in Spreitenbach – er wechselt nach 35 Jahren nach Neuenhof.

Claudia Laube