Soziale Arbeit
Badener Verein übernimmt Poststelle im Berner Mattequartier – und bietet Langzeitarbeitslosen so eine Stelle

Nachdem der Verein Charôtel eineinhalb Jahre lang ein Bed&Breakfast betrieben hatte, startet er im Frühling nun ein neues Projekt. Damit will er Arbeitslosen den Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtern.

Sarah Kunz
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Diese Poststelle im Berner Mattequartier wird ab Anfang Mai vom Badener Verein Charôtel betrieben.

Diese Poststelle im Berner Mattequartier wird ab Anfang Mai vom Badener Verein Charôtel betrieben.

Bild: zvg

Wer lange ohne Arbeit ist, hat Mühe, wieder ins Berufsleben hineinzufinden. Vor allem Menschen ab 50 tun sich schwer damit. Sven Fäh stösst dieser Umstand sauer auf. Der 46-jährige Bieler hat lange in Baden gewohnt und dort den Verein Charôtel ins Leben gerufen. Ziel des gemeinnützigen Vereins ist, Langzeitarbeitslosen den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu ermöglichen.

Sven Fäh setzt sich mit seinem Badener Verein Charôtel für Langzeitarbeitslose ein.

Sven Fäh setzt sich mit seinem Badener Verein Charôtel für Langzeitarbeitslose ein.

Bild: zvg

«Menschen, die über eine längere Zeit keiner Arbeit nachgehen, haben kaum Möglichkeiten, sich wieder zu integrieren», sagt Fäh am Telefon. Wer über 50 Jahre gearbeitet habe, falle durch die zunehmende Veränderung der Berufsbilder aus dem Raster. «Und das, weil sie halt Erfahrung statt Social-Media-Kompetenzen mitbringen», sagt Fäh. «Das finde ich falsch.» Er setzt sich deshalb dafür ein, Arbeitslose im Berufsalltag zu engagieren und ihnen so die Möglichkeit zu bieten, wieder Anschlussfähigkeiten zu erhalten.

2015 hat Fäh also den Verein Charôtel mit der Absichts ins Leben gerufen, ein Bed&Breakfast zu übernehmen. Für den Betrieb sollten Arbeitslose eingestellt werden, damit sie nach der langen Zeit ohne Beruf wieder einer regelmässigen Beschäftigung nachgehen können. Gleichzeitig sollte das Bed&Breakfast Menschen mit knappem Budget eine Übernachtungsmöglichkeit bieten. Lange blieb die Suche nach einer geeigneten Liegenschaft jedoch erfolglos. Bis Fähs Partnerin schliesslich auf einen Facebook-Post stiess. Dort hiess es, die ehemaligen Besitzer eines Bed&Breakfasts in Bern wollten verkaufen. «Wir sind schnell mit ihnen ins Gespräch gekommen, konnten ihnen das Mobiliar abkaufen und den befristeten Mietvertrag übernehmen», sagt Fäh.

Die Startgebühr für den Verein und für den Kauf des Mobiliars stammte von Fähs Fundraising-Firma Glücksfäh. «Da ich mich erfolgreich selbstständig gemacht habe, konnte ich durch diese Spende die Anschubfinanzierung sicherstellen», sagt er. Danach sei das Projekt selbsttragend durch die Einnahmen aus dem Betrieb, die wiederum in die Vereinskasse fliessen.

Ab Anfang Mai übernimmt der Verein eine Poststelle

2019 und 2020 betrieb der Verein also das Bed&Breakfast «Im Klee» in Bern. Als «lässige Geschichte» bezeichnet Fäh das Projekt heute und sagt:

«Fünf Menschen konnten dank uns wieder eine Arbeit finden.»

Jetzt ist das Bed&Breakfast aber geschlossen, weil die Räumlichkeiten umgebaut werden. Dafür startet der Verein Charôtel demnächst ein neues Projekt.

Per Anfang April übernimmt er eine Poststelle im Berner Mattequartier. Diese wurde auf das Jahresende hin geschlossen und wird derzeit umgebaut. «Für die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers an der Aare bedeutete das eine grosse Einschränkung, weil sie ab diesem Zeitpunkt zum Versenden von Paketen hoch in die Stadt gehen mussten», sagt Fäh. «Die Poststelle wird schmerzlich vermisst.» Das weiss auch die Post selbst – und suchte deshalb nach neuen Betreibern, damit das Angebot im Mattequartier weiterhin bestehen kann. Die Anfrage ging an alle Anwohnerinnen und Anwohner, auch an Fähs Partnerin und dadurch an ihn selbst.

So kam der Verein Charôtel letztlich zu den neuen Räumlichkeiten. Die Übergabe ging laut Fäh «schnell und schmerzlos» über die Bühne. Ab Mai wird sein Verein also im Auftrag der Post Geschäfte abwickeln. Dafür erhalten die Mitglieder eine Schulung des Auftraggebers. Gleichzeitig verkauft der Verein in den Räumlichkeiten das antike Mobiliar des ehemaligen Bed&Breakfasts. Als «Matte-Post-Brocki» bezeichnet Fäh das Projekt. Und als gute Chance für alle.

Arbeitslose werden dem Verein von einer Fachstelle vermittelt

Sind die Vereinsmitglieder erst einmal am neuen Ort eingespielt, werden Langzeitarbeitslose das Team ergänzen und im Idealfall in einem kleinen Stellenpensum angestellt. «Es ist wichtig, dass wir ihnen eine gut strukturiere Situation bieten können», sagt Fäh. Denn viele seien nur bedingt belastbar. Die Leute, die für den Verein arbeiten, werden ihm von der Arbeitslosen-Fachstelle der Stadt Bern, dem Kompetenzzentrum Arbeit, vermittelt. Danach wird eine Vereinbarung aufgesetzt, in der Lernziele festgelegt werden.

«Eigentlich bietet wir ihnen ein Praktikum», sagt Fäh. «Nachdem sie bei uns Erfahrungen gesammelt und ihre Fähigkeiten verbessert haben, fällt es ihnen meistens einfacher, wieder eine Stelle zu finden.» Weil sie dann eben nicht nur von Sozialhilfe leben würden, sondern unter Beweis gestellt hätten, dass sie doch noch etwas leisten könnten.