Alstom-Schock
Stadtammann Geri Müller: «Wir haben in Baden viele Trümpfe»

1300 Stellen will General Electric im Aargau abbauen. Wie will Baden darauf reagieren? Stadtammann Geri Müller und Standortleiter Thomas Lütolf antworten.

Martin Rupf und Roman Huber
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Geri Müller: «Wir setzen alles daran, GE davon zu überzeugen, so viele Stellen wie möglich zu erhalten.»

Geri Müller: «Wir setzen alles daran, GE davon zu überzeugen, so viele Stellen wie möglich zu erhalten.»

Alex Spichale

Herr Müller, als letzten Frühling bekannt wurde, dass General Electric (GE) die Energiesparte von Alstom übernimmt, gaben Sie sich noch sehr zuversichtlich. Sie sagten damals, «laut den Informationen, die ich habe, sollen die Arbeitsplätze mehrheitlich verschoben und nicht gestrichen werden». Seit Mittwoch wissen wir: Es kommt doch anders. Wurden Sie über den Tisch gezogen?

Geri Müller: Man wusste schon länger, dass Alstom beziehungsweise GE sich in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld bewegen. GE hat nie irgendwelche Versprechungen gemacht. Wenn zwei Firmen mit gleichem Angebot zusammenkommen, gibt es Überlappungen.

Aber waren Sie und auch Regierungsrat Urs Hofmann nicht blauäugig?

Es war tatsächlich konkret nie von einem Stellenabbau die Rede. Aber es war klar, dass es in irgendeinem Rahmen zu Restrukturierungen und somit auch zu einem Stellenabbau kommen wird.

Sie haben den Stellenabbau und dessen Aussmass auch erst am Mittwochmorgen erfahren. Ihre erste Reaktion?

Die hohe Zahl von 1300 Stellen hat mich schon überrascht und sie tut ganz klar weh. Gleichzeitig war ich natürlich auch erleichtert, dass GE zwei ihrer Hauptsitze nach Baden verlegen will, was auch eine Bestätigung war für die Zeichen, die wir in den letzten Wochen erhalten haben.

Man erhielt in den letzten Tagen den Eindruck, die Politik nehme den Kahlschlag kampflos hin; der Aufschrei blieb aus. Im Gegenteil: Sie sagten auf Anfrage, «solche Zahlen hören sich im ersten Moment natürlich dramatisch an». Mit Verlaub: Diese Zahlen sind dramatisch, Sie verharmlosen die Situation.

Die Entwicklung der Energiebranche ganz generell ist dramatisch. Ich will die Situation überhaupt nicht verharmlosen. Ich gehe aber davon aus, dass GE eine sorgfältige Analyse gemacht. Sie haben eine Vorwärtsstrategie gewählt mit dem Ziel, die gut ausgebildeten Menschen hier in Baden halten zu können.

Stadtammann Geri Müller und Thomas Lütolf, Leiter Standortmarketing der Stadt Baden, wollen die Trümpfe der Stadt Baden ausspielen.

Stadtammann Geri Müller und Thomas Lütolf, Leiter Standortmarketing der Stadt Baden, wollen die Trümpfe der Stadt Baden ausspielen.

Alex Spichale

Trotzdem: Wo bleibt der Aufschrei der Politik?

Wir handeln pragmatisch. Wir setzen alles daran, GE davon zu überzeugen, so viele Stellen wie möglich zu erhalten. Es ist wie bei einem Erdbeben: Im ersten Moment sieht man vor allem die Schäden, doch dann muss man sofort alles daransetzen, diese zu beheben, dass es in Zukunft besser kommt. Nochmals: GE sagt nicht, morgen stehen 1300 Angestellte auf der Strasse. Sondern der Zeithorizont beträgt zwei Jahre, in denen wir jetzt reagieren können. Mir ist eine solche, ehrliche Einschätzung lieber, als wenn GE zuerst sagt, es werden 200 Stellen abgebaut und diese Zahl dann monatlich nach oben korrigiert wird. Jetzt wissen wir wenigstens, was der Tarif ist und wo wir stehen. Jetzt einfach auszurufen, wäre ganz sicher nicht lösungsorientiert.

Sie sagen, es sei aufgrund der angespannten Marktsituation absehbar gewesen, dass es zu Restrukturierungen kommen könne. Man darf also davon ausgehen, dass sich die Stadt Baden auf einen solchen Einschnitt vorbereitet hat?

Thomas Lütolf: Auch wenn wir immer zuversichtlich waren, so waren wir uns immer bewusst, dass auch Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen.

Und was hat man mit diesem Bewusstsein gemacht?

Lütolf: Wir haben das Unternehmen regelmässig und zielgerichtet von den Stärken unseres Standorts zu überzeugen versucht und auf die Vorzüge aufmerksam gemacht. Die Drähte sind heiss gelaufen; der Austausch war intensiv und gut. Ich glaube, gerade die GE-Übernahme hat gezeigt, dass wir gut aufgestellt sind und wir passend reagieren konnten.

Müller: Ich will das absolut bekräftigen. Dass GE zwei Hauptsitze nach Baden verlegen will, ist ein deutliches Bekenntnis zu diesem Standort.

Das Lobbying hat also funktioniert, wie Sie sagen. Gleichwohl wussten Sie um die Möglichkeit von Restrukturierungen. Was haben Sie für Massnahmen getroffen, um deren Auswirkungen abzufedern?

Lütolf: Zusammen mit dem Kanton haben wir frühzeitig die Kontakte und Gespräche mit neuen Unternehmen gesucht. Schon seit zwei Jahren setzen wir uns intensiv mit dem Szenario einer schwächer werdenden Energiebranche auseinander. Auch die Legislaturziele sehen eine Branchendiversifikation vor. Auch haben wir viele interessante Signale aus der KMU-Szene erhalten. Daraus lassen sich spannende, aufstrebende Branchen erkennen, die gut zu Baden passen.

Reden wir von den betroffenen 1300 Stellen. Was kann die Stadt machen, um diesen Abbau so weit als möglich abzufedern?

Müller: Nochmals, diese 1300 Angestellten stehen nicht am Montag auf der Strasse. Auf Stufe Kanton ist ja eine Task-Force ins Leben gerufen worden, die sich jetzt genau mit Fragen wie etwa Kurzarbeit oder Sozialplänen auseinandersetzt. GE hat uns ein plausibles Konzept präsentiert. Unser Ziel wird es in den nächsten zwei Jahren sein, auf dem Platz möglichst viel Transfer von Personal zu ermöglichen.

Ist Baden bei der Task-Force dabei?

Müller: Wir sind im ständigen Kontakt mit dem Kanton. Er ist federführend bei der Bewältigung der konkreten Auswirkungen des Stellenabbaus.

Herr Müller, gestern haben Sie sich mit Paul McElhinney getroffen, dem CEO der neu formierten General Electric Power Service. Kann man schon sagen, wie viele der ankündigten 1300 Stellen auf Baden entfallen?

Lütolf: Bis man weiss, auf welcher Ebene wie viele Stellen betroffen sind, wird es sicher noch ein halbes Jahr dauern. Sicher wäre es jetzt falsch, aus Interpretationen heraus Zahlen zu nennen, die dann zu Gerüchten führen. Das wäre sicher auch für die Angestellten nicht gut.

Müller: Es wurden gestern noch keine detaillierten Zahlen genannt.

Was sagt Ihr Gefühl: Meint es GE wirklich ernst mit dem Standort Baden?

Müller: Ich habe ein sehr gutes Gefühl, zumal wir auch viele Trümpfe wie das viele Know-how, das Forschungszentrum oder die Nähe zum Flughafen ausspielen können.

Lütolf: Die Ernsthaftigkeit, zwei globale Hauptsitze von Atlanta (USA) nach Baden zu verlegen, ist doch ein starkes Bekenntnis zu unserem Standort. Auch wenn es im Moment etwas abstrakt ist: Ich sehe das als grosse Chance für die Entwicklung in Baden. Man darf einfach nicht vergessen, dass wir hier in Baden viele Menschen mit Know-how haben. Die kann man nicht einfach abziehen. GE dürfte zudem die Nähe zur ABB schätzen.

Wird die Stadt Baden selber auch eine Task-Force bilden. Oder anders gefragt: Gehen wir richtig in der Annahme, dass die nächste Stadtratssitzung ganz im Zeichen der GE-Pläne stehen werden?

Müller: In erster Linie kommt die Abteilung Standortmarketing von Thomas Lütolf zum Zug. Weiter werden wir schauen, welche Auswirkungen der Stellenabbau auf einzelne Bereiche wie etwa Schule oder Gewerbe haben könnte.

Lütolf: Auf operativer Ebene müssen wir bei der Suche nach Lösungen zum Beispiel im Bereich Büroflächen vom Maximalszenario von 1300 Entlassungen ausgehen. Kleinere Lösungen lassen sich kurzfristig daraus einfacher ableiten. Und ganz wichtig: Der Austausch zwischen uns, dem Kanton und GE wird weiter sehr intensiv geführt werden.

Müller: Eines möchte ich am Ende auch noch betonen. Die Abbaupläne von GE haben nicht nur Auswirkungen für die Stadt Baden, sondern für die ganze Region, weshalb wir uns auch innerhalb des Planungsverbands Baden Region mit diesem Thema auseinandersetzen werden.