Baden
Stadtammann Schneider: «Ich bin auch als Coach gefordert»

Seit genau 100 Tagen regiert Markus Schneider die Stadt. Über die Stimmung in der Verwaltung, seine Visionen für die Region und wie er es trotz langer Tage und voller Agenda schafft, Zeit für Privates zu finden.

Martin Rupf
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Markus Schneider
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Schneider ist seit 100 Tagen im Amt – und hatte nicht wirklich Zeit, sich in Ruhe einzuarbeiten.
Schneider im Interview.

Markus Schneider

Alex Spichale

Das Gespräch mit dem Badener Stadtammann Markus Schneider (CVP) findet in seinem Büro statt. Auffälligste Veränderung zu seinem Vorgänger Geri Müller: Der grosse – aufgeräumte – Bürotisch steht nicht mehr im rechten Winkel zu den Wänden, sondern schräg im Raum. «Ich wollte den Raum etwas luftiger einrichten», sagt Schneider. Bevor das Gespräch beginnt, bittet er seine Assistentin noch, den nächsten Termin um 10 Minuten nach hinten zu verschieben. «Wenn sich nur ein Termin am Morgen um fünf Minuten verspätet, holt man das den ganzen Tag nicht mehr ein», sagt Schneider.

Markus Schneider, vor 100 Tagen nahmen Sie als Stadtammann auf diesem Stuhl zum ersten Mal Platz. Haben Sie diesem Moment bewusst wahrgenommen?

Markus Schneider: Erst wartet man auf den Moment, endlich anfangen zu können. Doch dann hat man eigentlich gar keine Möglichkeit, in diesem Amt bewusst anzukommen, denn es geht alles so schnell. Ich hatte auch nicht wirklich Zeit, mich in Ruhe einzuarbeiten, sondern das ist ein Prozess, der täglich passiert. Was es mir eventuell etwas einfacher gemacht hat, war der Umstand, dass ich als Stadtrat und Bauvorsteher bereits Einblicke in grosse, komplexe Projekte hatte und insofern nicht bei null anfangen musste ...

... was aber nichts daran ändert, dass Sie seit Anfang Jahr Chef dieser Stadt sind und auf der Strasse auch als solcher wahrgenommen werden?

Das stimmt. Auf der Strasse oder an öffentlichen Anlässen suchen viele Menschen das Gespräch und den Austausch mit mir als Badener Stadtammann. Das ist natürlich ein schönes Gefühl, ich schätze das sehr und das war immer einer der Motivationsgründe, dieses Amt anzustreben. Ich habe immer gesagt, es gibt keinen tolleren Job als diesen, und ich empfinde das jetzt auch tatsächlich so.

Besteht da nicht die Gefahr, abzuheben wenn man von allen Seiten umgarnt wird?

Wer mich kennt, weiss, dass ich nicht Gefahr laufe, die Bodenhaftung zu verlieren. Als Stadtammann muss ich mir bewusst sein, dass ich nur ein Teil des gesamten Stadtrats bin. Man darf als Stadtammann nicht das Gefühl haben, man wisse und könne alles und man müsse zu allem etwas zu sagen haben. Vielmehr ist entscheidend, dass jedes einzelne Stadtratsmitglied im Gremium seine Verantwortung wahrnimmt und ich dies als Stadtammann auch ermögliche.

Wie nehmen Sie die Stimmung im Gremium denn wahr, das sich aus zwei neuen Stadträten zusammensetzt?

Wir sind sehr offen und konstruktiv gestartet. Neue Personen bedeuten auch neue Ideen und Ansätze. Wir alle wollen etwas bewegen und anpacken. Natürlich gibt es immer mal wieder intensive Diskussionen innerhalb des Gremiums, doch das soll auch so sein. Ich glaube, dass wir nach aussen hin als geschlossenes Gremium wahrgenommen werden, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. Wir sind uns bewusst, dass wir diese Stadt nur gemeinsam und mit der Verwaltung weiter bringen können.

Sie sagen, es gibt keinen tolleren Job als diesen. Gar keine negativen Aspekte oder Überraschungen, mit denen Sie so nicht gerechnet hätten?

Von bösen Überraschungen würde ich nicht sprechen, eher von Herausforderungen, die mich beschäftigen.

Konkret?

Ich denke dabei zum Beispiel an die heftige Budget-Debatte von letztem Herbst, die in der Verwaltung Spuren hinterlassen hat. Weil die Verwaltung den Spardruck spürt, bin ich als Ammann auch als Coach und Motivator gefordert, indem ich versuche, die Mitarbeitenden trotz schwierigen Bedingungen zu motivieren. Das ist der grosse Unterschied zum Amt eines Stadtrates. Als Stadtammann bin ich täglich hier und spüre den Puls der Verwaltung sehr gut. Führen heisst nicht nur entscheiden und sagen, wo’s langgeht, sondern vor allem auch zuhören können und spüren, wo die Mitarbeitenden der Schuh drückt.

Und wo drückt er?

Grundsätzlich nehme ich die Stimmung in der Verwaltung als positiv wahr. Man arbeitet gerne für die Stadt. Gleichzeitig spüre ich aber auch, dass die Mitarbeitenden Wertschätzung brauchen für die Dinge, die sie gut machen – und das sind sehr viele Dinge.

Haben Sie eigentlich Kontakt mit Ihrem Vorgänger Geri Müller? Haben Sie ihn schon um Rat gefragt, wenn Sie nicht mehr weiter wussten?

(lacht) Nein, um Rat habe ich Geri noch nie angefragt. Aber klar tauschen wir uns hin und wieder aus, wenn wir uns auf der Strasse sehen. Einmal hat er mich noch hier im Büro besucht und wir haben zusammen einen Kaffee getrunken.

Apropos Vorgänger. Geri Müller verdiente pro Jahr rund 270'000 Franken, Sie kommen immer noch auf rund 230'000 Franken. Würden Sie nach 100 Tagen sagen, der Aufwand und die Belastung rechtfertigen dieses Salär?

Die Präsenzzeit ist schon sehr hoch; die Tage sehr lang und mit vielen Sitzungen ausgefüllt. Manchmal frage ich mich, wann ich überhaupt all meine Mails beantworten soll, weil der Tag – wie zum Beispiel auch heute – derart durchgetaktet ist. Letztlich geht es bei der Lohndiskussion immer darum, ob die Leistung das investierte Geld wert ist oder nicht. Und: Nur weil ich jetzt weniger verdiene als Geri Müller, heisst das nicht, dass ich weniger arbeite als er.

100 Tage arbeiten Sie nun schon als Stadtammann. Wie fällt Ihre persönliche Zwischenbilanz aus?

Absolut! Ich spüre dabei sehr viel Goodwill aber auch eine grosse Erwartungshaltung mir gegenüber, sei es seitens anderer Gemeinden oder seitens Kanton wie auch von der Bevölkerung und der Verwaltung. Auch bin ich überzeugt, dass gewisse Projekte, die ins Stocken geraten sind, mit mir wieder neuen Schwung aufnehmen können und ich als Katalysator wirken kann.

Einen guten Katalysator scheint es zurzeit zwischen Baden und Wettingen zu brauchen. Zuletzt sorgten etwas gekürzte Kulturbeiträge aus Wettingen für Dissonanzen. Wie würden Sie das Verhältnis der beiden Gemeinden beschreiben?

Roland Kuster, der Wettinger Ammann, und ich sprechen nach wie vor miteinander und haben unverändert ein gutes Einvernehmen. Auch haben wir gemeinsame Berührungspunkte und Projekte wie etwa die Prüfung der Zusammenarbeit der Polizeikorps. Aber am Schluss ist halt auch jede Gemeinde mit sich selbst beschäftigt. In dem Moment, in dem es mit den Finanzen eng wird, ist jedem sein eigenes Hemd am nächsten.

Das bedeutet dann im Umkehrschluss wohl, dass die Zeichen für eine Regionalstadt schlecht stehen?

Ich bin überzeugt davon, dass wir uns in der Region grösser machen müssen, um auch das entsprechende Gewicht im Kanton zu erhalten. Als Zentrumsgemeinde und Wirtschaftsmotor müssen wir unsere Rolle stärker spielen können. Dieses Bestreben wird sicher auch in irgendeiner Form in den Legislaturzielen abgebildet, die wir ausgearbeitet haben und dem Einwohnerrat im August vorlegen werden. Ich spüre von vielen Partnergemeinden auch ganz deutlich, dass man erwartet, dass Baden hier den Lead übernimmt. Und hierfür bin ich auch bereit.

Sie sprechen die Sorgen und Nöte der einzelnen Gemeinden an. In Baden sind das unter anderem die Finanzen. Im Herbst muss der Stadtrat ein Budget vorlegen mit 1,5 Millionen Franken weniger Aufwand. Hierfür ist eine Begleitkommission ins Leben gerufen worden, die ihre Arbeit bereits aufgenommen hat. Ist man auf gutem Weg?

Ja, wir sind auf dem Weg. Am Schluss entscheidet der Stadtrat, welche Massnahmen er umsetzt. Für die betroffenen Abteilungen ist das natürlich ein aufwendiger Prozess. Das Ziel erreichen wir nur, wenn wir am gleichen Strick ziehen und wenn das gegenseitige Vertrauen da ist.

Selbst wenn das Ziel erreicht wird, werde man um eine Steuerfuss-Diskussion nicht herumkommen, heisst es im linken Lager. Ihre Einschätzung?

Will die Stadt Baden weiter attraktiv bleiben, muss sie weiter investieren. Wenn gleichzeitig die Steuern nicht mehr im gleichen Mass reinkommen wie in der Vergangenheit, dann muss man den Steuerfuss prüfen. Vor ein paar Jahren, als der Steuerfuss gesenkt wurde, haben wir ja festgehalten, dass vielleicht wieder einmal andere Zeiten kommen und man dann den Steuerfuss anschauen muss. Mir ist wichtig, dass wir weiterhin das Potenzial haben zu investieren, um die Stadt weiterzubringen.

Zur Attraktivität einer Stadt gehört sicher auch ein attraktiver Ladenmix. Doch zurzeit stehen viele Geschäfte leer in der Stadt, was nicht gerade attraktiv ist. Kaufen Sie selber noch in Baden ein?

Selbstverständlich, Baden als Einkaufsstadt hat nach wie vor viel zu bieten. Ich stelle fest, dass die Menschen gerade am Samstag von ringsum nach Baden kommen, um auf dem Markt einzukaufen und zu flanieren, weil sie hier in Baden eine Einkaufsatmosphäre erleben, wie sie es kein Shoppingcenter bieten kann. Natürlich ist es kein schöner Anblick, wenn an zentraler Lage wie zum Beispiel in der Badstrasse Geschäfte leerstehen. Aber man muss die Relationen wahren: Zurzeit stehen 6 von 200 Läden leer, was nicht sehr viel ist. Entscheidend ist letztlich, dass der Konsument das Angebot in der Stadt auch nutzt. Nur so können die Detaillisten überleben.

Sie haben die volle Agenda und die vielen Termine angesprochen. Wo ziehen Sie die Grenze?

Ich muss mich bei jedem Anlass fragen, ob ich nur hingehe, damit ich dort gewesen bin oder ob ich auch einen Beitrag leisten kann. Da muss ich klar Prioritäten setzen, denn ich könnte die ganze Zeit irgend einer Einladung folgen. Und nochmals: Auch die anderen Stadtratsmitglieder sollen Anlässe besuchen und Grussbotschaften überbringen – es muss nicht immer der Stadtammann sein.

Wie schalten Sie ab und sorgen für genügend Freiraum in Ihrem Privatleben?

Ich versuche, mich viel zu bewegen; gehe am Morgen auch mal zu Fuss von Dättwil in die Stadt. Zudem kann ich auch gut zusammen mit meinen Kindern abschalten. Mit ihnen kann man ja schlecht nur die ganze Zeit über Politik sprechen (lacht). Das gibt mir auch viel Kraft und Energie.