Baden
Stadträtin Sandra Kohler: «Politische Spielchen sind nichts für mich»

Mit einem offensiven Wahlkampf schaffte sie es in den Stadtrat, seither ist es um Sandra Kohler ruhig geworden. Im Interview spricht sie über die Stimmung im Kollegium, Grossratsambitionen und weshalb sie über einen Parteibeitritt nachdenkt.

Frederic Härri
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«Wenn einem etwas nicht passt, soll er es sagen.» Sandra Kohler (38) eckt mit ihrer Art auch an, was sie aber «total okay» findet.

«Wenn einem etwas nicht passt, soll er es sagen.» Sandra Kohler (38) eckt mit ihrer Art auch an, was sie aber «total okay» findet.

Sandra Ardizzone

Seit eineinhalb Jahren sitzt Sandra Kohler im Badener Stadtrat. Nach einem äusserst direkt und medienwirksam geführten Wahlkampf setzte sich die politische Newcomerin im Herbst 2017 völlig überraschend gegen die erfahrenen Karin Bächli und Andrea Libardi durch. Am Wochenende wurde bekannt, dass Kohler das Präsidium des kantonalen Netzwerks Frauenaargau übernimmt. Doch innerhalb der Stadtgrenzen ist erstaunlich wenig von ihr zu hören. Zeit für die Aargauer Zeitung, Sandra Kohler zum Gespräch zu treffen. Im Scandinavian Deli in der Unteren Halde trinkt Kohler Früchtetee, danach posiert sie fürs Foto auf der Schlossruine Stein. Hier, hoch über der Stadt, finde sie den Ausgleich zu ihrem Arbeitsalltag, sagt die 38-Jährige.

Im Wahlkampf waren Sie medial sehr präsent. Heute wirken Sie im Vergleich dazu erstaunlich passiv. Man fragt sich: Sind Sie überhaupt noch im Stadtrat?

Sandra Kohler: Ja, natürlich. Dass die Öffentlichkeit nicht so mitkriegt, was im täglichen Geschäft läuft, sagt man ja nicht nur über mich, sondern über den gesamten Stadtrat. Eigentlich habe ich den Eindruck, dass ich sehr aktiv bin. Ich bin fast jeden Tag in der Stadt und suche das Gespräch mit den Menschen. Auch den direkten Kontakt in den sozialen Medien pflege ich regelmässig.

Richtig, auf Facebook sehen wir Sie täglich am Kochen, in der Natur oder beim Abfall sammeln. Hierfür müssen Sie aber nicht Stadträtin sein. Gibt es Stimmen, die sagen: «Schön und gut, aber konzentrieren Sie sich doch besser auf Ihr Amt?»

Nein, diesen Vorwurf habe ich noch nie gehört. Ich bin ja trotzdem auf meine Arbeit fokussiert. Natürlich gibt es immer diejenigen, die finden, das sei nur Selbstvermarktung. Aber das ist mir egal. Ich mache das, weil es mir wichtig ist und ich es inspirierend finde, wenn sich Menschen die Zeit nehmen und sich gemeinnützig betätigen.

Auf Social Media sind Sie also sehr aktiv, als Stadträtin aber noch nicht gross in Erscheinung getreten. Woran liegt das?

Dass ich nicht in Erscheinung getreten sei, sehe ich anders. In Meetings, Sitzungen oder an Anlässen als Vertreterin des Stadtrates bin ich ständig präsent. Das ist auch meine Aufgabe. Aber es stimmt: Vergleicht man den Wahlkampf mit heute, war ich öffentlich in letzter Zeit zu ruhig.

Haben Sie sich auch bewusst zurückgenommen?

Gegen aussen ja. Ich habe am Anfang Zeit gebraucht, um mich in die Dossiers einzuarbeiten. Ich wollte zuhören und lernen. Mit dem Amt habe ich eine grosse Verantwortung übernommen, vor der ich viel Respekt habe. Trotzdem muss ich mir treu bleiben.

Ich handle beherzt, dabei trete ich auch in Fettnäpfchen. Das ist das Risiko, wenn man etwas bewegen will.

Wie bleiben Sie sich denn treu?

Indem ich intern deutlich sage, was ich denke, Dinge kritisch hinterfrage oder eigene Ideen öffentlich ausspreche.

Sagen, was man denkt: Kommt diese Art bei Ihren Kolleginnen und Kollegen im Stadtrat an?

Für mich ist es keine Frage von ankommen oder nicht. Ich wurde als Stadträtin gewählt, also setze ich mich auch für meine Ziele ein. Das machen alle, und das ist in meinen Augen auch richtig. Entscheidend ist die Art und Weise.

Wie wurden Sie als Neueinsteigerin im Stadtrat aufgenommen?

Ich handle beherzt und reagiere allergisch auf «verhockte» Strukturen. Dabei trete ich auch in Fettnäpfchen. Das ist das Risiko, wenn man etwas bewegen will. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich, und das ist total okay. Wie auch immer: Gegenseitiger Respekt und Wertschätzung stehen über allem und sind mir sehr wichtig.

Wie ist die Stimmung im Stadtrat: Kämpft jeder für sich oder kann man wirklich von einem Kollegium sprechen?

Wir haben uns nicht gegenseitig ausgesucht, sondern sind gewählt worden. Wenn ganz unterschiedliche Menschen mit verschiedenen Zielen zusammen kommen, führt das unweigerlich zu Diskussionen. Alleingänge sind nicht möglich, da wir immer Mehrheiten finden und Entscheide als Gremium fällen und vertreten müssen.

Sprechen wir über Ihr Ressort Planung und Bau. Was steht aktuell an?

Das Sekundarstufenzentrum Burghalde und das Kurtheater sind unsere zwei grössten Projekte. Daneben sind die Arbeiten für den Kindergarten im Graben im Gange, der im Sommer bereit sein muss. Kürzlich wurden die Container angeliefert. Von Rütihof aus zügeln wir zudem ein Provisorium in den Meierhof, wo wir mehr Klassenzimmer erhalten. Die neuen Schülerprognosen sind auch eingetroffen. Die müssen wir analysieren und schauen, was das für unsere Schulraumplanung bedeutet.

In der Stadtentwicklung zentral sind die Bäder. Einige haben sich geärgert, dass die Thermalbad-Baustelle nicht offen zugänglich ist. Sollte die Allgemeinheit nicht teilhaben können?

Ich muss sagen, dass ich da zu weit weg bin. Das Bäderprojekt ist komplett bei Stadtammann Markus Schneider. Die Stadt kann anregen und mitdiskutieren, der Entscheid liegt letztlich aber bei der privaten Bauherrschaft. Ich selbst war nie an solchen Gesprächen dabei, darum wäre es anmassend, mich dazu zu äussern.

Ein weiteres Dauerthema: In der Stadt hat es zu wenige Veloparkplätze. Auf dem Gleis 1 ist es regelrecht chaotisch bei so vielen Velos.

Ja, definitiv. Und auch gefährlich, wenn das ganze Perron mit Velos überstellt ist. Wir sind mit den SBB schon lange in Verhandlungen für neue Abstellplätze. Zurzeit sieht es aber nicht gut aus. Das Problem ist, dass beim Gleis sehr wenig Platz zur Verfügung steht. Auch deshalb suchen wir nach alternativen Lösungen, um die Situation zu entlasten.

Geschäfte wie die Veloabstellplätze werden von aussen an Sie herangetragen, Sie bringen aber auch eigene Inputs ein. Letztes Jahr mussten Sie Kritik einstecken für Ihre Idee, in Baden eine Lokalwährung einführen zu wollen. Lassen Sie es künftig mit kontroversen Vorschlägen sein bei solchen Reaktionen?

Auf keinen Fall. Solange du niemanden verletzt und die Absicht hast, etwas anzuregen, dann darf und soll es unbedingt kontrovers sein. Es ist klar, dass es nie allen gefallen wird. Wenn einem eine Idee nicht passt, soll er es sagen.

Politik wirkt oft schwerfällig. Täuscht der Eindruck?

Nein, die Schwerfälligkeit ist definitiv etwas, womit ich am meisten hadere. Gewisse Dinge gehen lange, und manchmal kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, warum. Aber klar: Die Beteiligten finden ein Thema nicht immer gleich wichtig oder haben andere Projekte auf dem Tisch.

Sie waren vor Amtsantritt gar nicht politisch engagiert. Haben Sie sich den Alltag einfacher vorgestellt?

Ich wusste, dass das System schwerfällig sein kann. Ich ging mit der Hoffnung rein, gewisse Abläufe zu beschleunigen. Die Hoffnung habe ich nicht aufgegeben. Ich bin nach wie vor motiviert, in dieser Hinsicht etwas zu bewirken.

Einige haben wohl gedacht: Die Neue muss nicht denken, sie könne gleich die Welt retten.

Meinen Sie damit Ihre Arbeit innerhalb des Stadtrates?

Unter anderem, ja. Ich bin ein wahnsinnig ungeduldiger Mensch und habe am liebsten alles von heute auf morgen erledigt. Aber dass man nicht immer auf Teufel komm raus etwas durchbringen kann, akzeptiere ich. Es ist auch gut, wenn wir etwas in Ruhe miteinander diskutieren können.

Befürchten Sie, dass Sie nach einigen Jahren in der Politik auch schwerfällig werden?

Nein, das glaube ich nicht. Ich habe den Personen in meinem Umfeld gesagt: Wenn ihr das feststellt, müsst ihr mich kräftig schütteln. Die Gefahr, dass man sich in der Politikblase verlieren kann, besteht. Die Politik ist schon eine eigene Welt mit eigenen Spielregeln.

Fällt es Ihnen schwer, sich an diese Spielregeln zu gewöhnen?

Ich habe mich ja intensiv auf mein Amt vorbereitet. Ich weiss, es gibt gewisse Grundsätze, die gehören dazu, und wenn mir das nicht passt, dann ist das mein Problem. Aber ich stelle bei mir schon fest: An einigen Dingen reibe ich mich sehr stark auf. Und ich arbeite daran, dass ich mich weniger aufreibe.

Was meinen Sie konkret?

Etwa die ganze Taktiererei oder die politischen Spielchen. Wenn es nur um Prinzipien geht, kann ich mich wahnsinnig aufregen. Als ich frisch ins Amt kam, musste ich mir von einigen politischen Vertretern Sprüche anhören. Dass sie meine ersten Anträge sowieso ablehnen werden, aus Prinzip. Wie ernst diese Sprüche gemeint waren, weiss ich nicht.

Hatte das mit Ihrer Parteilosigkeit zu tun?

Nein, das glaube ich nicht. Einige haben wohl gedacht, jetzt kommt eine Neue, die muss nicht denken, sie könne gleich die Welt retten. Es hatte etwas von einem Kräftemessen, so habe ich das interpretiert. Im Stil von: Fang du zuerst mal richtig an, dann können wir miteinander reden. Da musste ich einfach sagen: Macht ihr nur eure Spielchen. Für mich ist das nichts, das widerstrebt mir.

Sie sprechen von einem Kräftemessen: Spüren Sie das noch immer?

Es ist viel besser geworden. Wie gesagt, ich habe übers Zuhören und Zuschauen gelernt und hatte den Anspruch, fachlich schnell in die Dossiers reinzukommen. Wenn man auf Augenhöhe diskutiert, ist es sofort ganz anders. Mir dieses Wissen anzueignen, hatte ich ja selbst in der Hand.

Sie sind parteilos. Würde Ihnen eine Partei im Rücken helfen?

Ich habe zu allen Fraktionen im Einwohnerrat regelmässig Kontakt und suche den Austausch. Mir geht es um sachliche Anliegen. Deshalb kommt ein Parteibeitritt auf dem Platz Baden aktuell nicht infrage.

Auf dem Platz Baden?

Ja. Ich habe über einen Parteieintritt nachgedacht. Mit Blick auf den Grossen Rat ist es fast unmöglich, als Parteilose gewählt zu werden. Kantonale oder irgendwann auch nationale Politik könnte durchaus mal ein Thema werden. Dann müsste ich mich noch einmal mit dieser Frage auseinandersetzen.

Welcher Partei würden Sie sich am ehesten anschliessen?

Mir sind Eigenverantwortung und ökologische Themen sehr wichtig. Mit der GLP und den Grünen habe ich mich am intensivsten befasst. Eine von diesen beiden würde es wohl werden. Aber eben, als Parteilose kann ich zurzeit gut arbeiten, für mich stimmt das so.

Zeit für ein Grossratsmandat hätten Sie ja. Vor Amtsantritt waren Sie Teilhaberin einer PR-Agentur, haben das aber aufgegeben. Was machen Sie heute neben Ihrem 35-Prozent-Pensum im Stadtrat?

Ich hatte noch verschiedene Mandate in der Kommunikation, die ich jetzt aber abgegeben habe. Momentan investiere ich viel Zeit in eigene Projekte und in Weiterbildungen. Einerseits im Privaten, im Bereich Ernährung, Bewegung und Spiritualität. Direkt mit meinem Amt zu tun haben Weiterbildungen im Raumplanungsbereich und zu Themen, die das gesellschaftliche Zusammenleben betreffen. Ich interessiere mich sehr für die Nachhaltigkeit und den Wandel in den Städten, unter dem Begriff «Transition Towns». Die Aufgabe im Stadtrat beschäftigt mich also weit mehr als 35 Prozent.

Reicht die Arbeit als Stadträtin aus, um Ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können?

Inklusive eigener Projekte und bewusstem Fokus darauf, was ich wirklich zum Leben brauche, reicht es, ja. Viele Menschen kommen mit deutlich weniger Geld über die Runden.

2017 sind Sie angetreten, um Frau Stadtammann zu werden. Wollen Sie das immer noch?

Wenn Sie mich jetzt fragen, dann sage ich Ja. Ich würde es nach wie vor sehr gern machen. Die Wahlen sind aber erst 2021, und ich habe gelernt, dass das Leben sehr schnell Wendungen nehmen kann. Bis dahin kann sich noch vieles ändern.