Baden
Stadtratskandidat Jean-Pierre Leutwyler: Spott und Kritik lassen ihn kalt

Die überraschende Stadtratskandidatur von Jean-Pierre Leutwyler ist Hauptgesprächsthema in der Stadt. Der Parteilose wird auch Zielscheibe von unverblümter Kritik. Seine Kandidatur löst aber auch Irritation aus.

Pirmin Kramer
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Jean-Pierre Leutwyler, Stadtratskandidat in Baden: «Wenn eine Kandidatur nicht mehr erlaubt sein soll, dann können wir geradesogut die Demokratie begraben.»

Jean-Pierre Leutwyler, Stadtratskandidat in Baden: «Wenn eine Kandidatur nicht mehr erlaubt sein soll, dann können wir geradesogut die Demokratie begraben.»

Alex Spichale

Jean-Pierre Leutwyler (42, parteilos) hat mit seiner Kandidatur für den zweiten Stadtratswahlgang ganz Baden in Erstaunen versetzt und viele erst einmal sprachlos gemacht. Nachdem fast alle mit dem vorzeitigen Sieg Erich Obrists gerechnet hatten, war die Stimmung in der Stadt in etwa so wie an einer Party, wenn plötzlich ein unbekannter Gast mit Getöse auftaucht und sich einen Augenblick lang alle still anschauen. Obrist, Sieger des 1. Wahlgangs, fand am Abend folgende Worte: «Jean-Pierre Leutwyler hat mich aus der Nach-der-Wahl-Lethargie gerissen.»

Auch Kommentatoren in Online-Foren und auf sozialen Netzwerken hatten inzwischen die Sprache wiedergefunden; viele äusserten Kritik, manche auch Spott an der Kandidatur Leutwylers: «Zwängerei», «hinausgeworfenes Geld», «lächerlich», war zu lesen; daneben wurden aber auch einige unterstützende Voten verfasst: «Zum Glück doch noch ein bürgerlicher Kandidat», «gut so.» Unterstützung erhielt Leutwyler beispielsweise vom Wettinger BDP-Einwohnerrat Michael Merkli, der ihn als «beste Wahl für Baden» empfahl. Für ein ausführlicheres Statement war Merkli gestern aber nicht erreichbar.

Unverblümte Worte fand der ehemalige SP-Grossrat Markus Leimbacher, der in Baden aufwuchs und das Politgeschehen interessiert beobachtet. Erwähnt sei hier, dass er im Stadtratswahlkampf offiziell Erich Obrist unterstützt. «Herr Leutwyler überschätzt sich wieder einmal», twitterte Leimbacher, und weiter: «Reine Geldverschwendung!» Auf Nachfrage führt Leimbacher aus: «Leutwylers politischer Leistungsausweis könnte kleiner nicht sein. Und dennoch glaubt er, die Welt habe auf genau ihn gewartet. Er verspricht, der Retter von Baden zu sein. Kurz: Er überschätzt sich.»

Gleichzeitig warnt Leimbacher davor, Leutwyler zu unterschätzen. «In den letzten Stadtratswahlen hat er kein schlechtes Resultat erzielt.» Leutwyler erhielt 2013 bei den Gesamterneuerungswahlen 1520 Stimmen. Zum Vergleich: Auf den Plätzen unmittelbar vor ihm landeten die offiziellen Kandidaten von SVP und FDP, Serge Demuth und Matthias Bernhard, mit 1704 beziehungsweise 2067 Stimmen.

Leutwyler benutze seine Kandidatur, um Aufmerksamkeit zu generieren, kritisiert Leimbacher. «Er tritt immer und immer wieder zu Wahlen an, und irgendwann kennt man seinen Namen.» Auf diese Weise habe schon einmal ein Politiker in der Region Erfolg gehabt: «Der heutige Stadtammann Geri Müller trat früher auch zu jeder Wahl an», sagt Leimbacher.

«Irrläufer in Schranken weisen»

Auch Kulturschaffende sind irritiert. Der Badener Schriftsteller Markus Bundi meldete sich beim «Badener Tagblatt» mit folgendem kurzen Beitrag: «Wir müssen in unserer Demokratie wohl damit leben, dass Egozentriker und Selbstdarsteller Dinge über Jahre blockieren (da fällt mir grad das Kurtheater Baden ein) oder einfach nur weitere Umtriebe verursachen, wenn doch einer die Wahl schon klar gewonnen hat (jetzt meine ich Erich Obrist als Nachfolger von Daniela Berger im Badener Stadtrat). Da ertappe ich mich manchmal schon beim Gedanken, ob’s nicht besser wäre, wenn es einen effizienteren Mechanismus gäbe, um solche Selbst- und Irrläufer von vorneweg in die Schranken zu weisen – zum Wohle aller.»

Jean-Pierre Leutwyler sagt auf Anfrage, er habe mit Kritik an seiner Kandidatur gerechnet. Zum Vorwurf, er überschätze sich, sagt er: «Jeder darf seine Meinung haben. Das gehört zu einer intakten und gelebten Demokratie.» Leutwyler äussert sich auch zur Aussage von Alt-Stadtrat Reto Schmid, er habe null Wahlchancen und überdies ein Verlierer-Image (az vom 29. Oktober). Dies beschäftige ihn nicht, sagt Leutwyler. «Ich kenne Schmid nicht persönlich. Er ist mir politisch nie allzugross aufgefallen.»

Der Vorwurf, seine Kandidatur sei reine Geldverschwendung, sei deplatziert, sagt Leutwyler: «Wenn eine Kandidatur nicht mehr erlaubt sein soll, dann können wir geradesogut die Demokratie begraben.» Beim Stadtbüro heisst es, die Kosten für den zweiten Wahlgang am 22. November seien nicht allzu hoch, weil gleichentags eine kommunale Abstimmung stattfinde und hierfür sowieso Wahlcouverts verschickt werden.