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Die moderne Inszenierung des Shakespeare-Dramas «Viel Lärm um nichts» an den Klosterspielen Wettingen polarisiert das Publikum.Traditionelle Theater-Freunde sind empört. Einige halten das Stück für «vulgär» und «obszön». Es überspanne den Bogen des Erträglichen.
Die Wettinger Freilicht-Aufführung «Viel Lärm um nichts» nach William Shakespeares zigfach aufgeführtem und mehrfach verfilmtem Drama «Much Ado About Nothing» spaltet das Publikum in zwei Lager.
«Es wird kopuliert, geduscht, gebadet, ejakuliert, Popel abgewischt, aus- und angezogen, geschrien, gesungen, krampfartig geheult und gespuckt», schildert az-Rezensent Christian Berzins in seiner Kritik (az vom 9. Juli).
Was weitere Theaterkritiker als «freches Stück», «deftige Inszenierung», «vergnüglich gelungen und Gratwanderung entlang der Gürtellinie» oder gar «unter die Gürtellinie, ohne brachial zu werden» beschreiben, geht einigen Besuchern zu weit.
«Obszön» und «respektlos»
Der Wettinger Kurt Gähler, Ingenieur und Literaturliebhaber, spricht von einer «vulgären und teilweise perversen Posse». Das möge gefallen oder nicht, «doch ich empfinde es als Respektlosigkeit und Geringschätzung eines Meisters der Weltliteratur», so Gähler.
«Es ist Shakespeare gegenüber nicht fair, wenn man sein Stück derart verhunzt», lautet seine Meinung. Er wie auch weitere kritische Stimmen haben ihrem Unmut in einem Leserbrief Ausdruck gegeben.
Unter dem Decknamen «Kunst» scheine «das Brechen aller Tabus und der zunehmende Wertezerfall salonfähig zu werden», heisst es in einem Leserbrief, während eine andere Stimme das Stück weitgehend als «vulgäre Verarschung von Shakespeare-Stoff» bezeichnet.
Inzwischen äussern sich bereits Personen zu «Viel Lärm um nichts», die das Stück noch gar nicht gesehen haben. Sie werten die kritischen Leserbriefe als «hilfreiche Warnung» dafür, auf einen Theaterbesuch zu verzichten.
von Sabine Kuster
Wenn die Spucke in gesammelter Ladung auf dem roten Teppich landet, zieht man als Zuschauer in der ersten Reihe unwillkürlich die Füsse weg. Man möchte den Blick vom ekligen Schaum lösen — und kann doch nicht. Wenn hingegen ein Schauspieler auf einem Brunnenrohr sitzt, dessen Wasserstrahl überdeutlich einen Orgasmus symbolisiert, traut man sich nicht wegzuschauen, um ja nicht dem Blick eines anderen Zuschauers zu begegnen. Das würde die Peinlichkeit noch steigern. Zu allem Elend fällt wegen eines viel zu kurzen Netzhemdes auch noch der Blick zwischen die Beine des Schauspielers. Auf diese drei Szenen in «Viel Lärm um nichts» an den Wettinger Klosterspielen könnte man verzichten. Das Stück ist auch so eine grandiose Unterhaltung.
Aber ein Verzicht wäre schade! Im Kino oder vor dem Fernseher ekelt man sich nicht ab Spucke und kaum jemand läuft noch rot an vor Scham. Das ist der exklusive Mehrwert im Theater, fast schon seine Daseinsberechtigung: Echtheit, Unmittelbarkeit, das «Live-Erlebnis». Nur Echtheit ist schockierend.
Schockierend könnte man übrigens noch eine andere Szene finden: Jene, wo das Stück plötzlich romantisch wird und zur Schlagerschnulze «Ewigi Liebi» zehn unschuldige Mädchen in weissen Kleidchen auftreten. Zuckersüss! Doch mitten im Entzücken wird dem Zuschauer bewusst, welch böses Spiel der Regisseur mit seinen Gefühlen treibt:
Die Romantik ist gespielt, ist Kitsch. «Viel Lärm um nichts» ist in dieser Regie viel mehr als ein nettes Lustspiel.
«Spielfreude» und «hohe Qualität»
Maja Wanner, Präsidentin des Vereins Klosterspiele, die von der Spielfreude der Profi-Truppe fasziniert ist, zeigt sich ob dieser Reaktionen überrascht: «Für mich ist es wichtig, dass die Aufführung keine Gefühle verletzt, dass es wohl zupackend und feinfühlig ist, jedoch nicht zu weit geht.»
Doch dramatisieren, überspitzen und etwas clownesk auf eine andere Ebene bringen, das gehöre zum modernen Theater und sei darum legitim, sagt Wanner.
«Schliesslich weist die Aufführung dank sehr guter Schauspieler eine hohe Qualität aus», fügt die Präsidentin an.
Mit Stolz verweist sie auf das deutsche Theaterportal Nachtkritik, wo die Inszenierung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson auf dem 6. Platz des deutschsprachigen Theaters liegt.
Auch in SMS wurde die Wettinger Aufführung kommentiert. Ähnliche Kommentare auf dem Onlineportal der az sind bislang ausgeblieben. Daraus lässt sich schliessen, dass es primär ein älteres, traditionsbewusstes Publikum ist, das seinen Unmut äussert.
Die Inszenierung scheint offensichtlich nicht in dieses eher konservative Umfeld zu passen, in dem die Wettinger Klosterspiele gesellschaftlich und auch örtlich stattfinden.
Shakespeare selber war bereits zu seinen Lebzeiten mit seinen Dramen erfolgreich (auch als Schauspieler), was Literaturkenner damit begründen, dass er mit seinen Stücken die breite Masse, also den einfachen Bürger wie den Adel, abzuholen wusste.