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Das Theater St. Gallen begeisterte im Kurtheater mit Martin Walsers «Ein fliehendes Pferd». Mit viel Gespür für Tempi und Dramatik, mit raffinierten Einfällen und vier grossartigen Schauspielern hat Regisseur Veit Güssow packendes Theater beschert.
Als Martin Walsers Novelle «Ein fliehendes Pferd» 1978 erschien, war sie rasch zum Beststeller geworden. Nur zwei Jahre zuvor hatte Literaturpapst Marcel Reich-Ranicki Walsers Roman «Jenseits der Liebe» scharf verrissen gehabt. «Ein fliehendes Pferd» hingegen bezeichnete Reich-Ranicki als Walsers «reifstes, schönstes und bestes Buch.»
1985 erstellte der damalige Dramaturg des Stadttheaters Konstanz, unterstützt von Walser, eine Bühnenfassung. Seither wird «Ein fliehendes Pferd» mit Erfolg auf vielen deutschsprachigen Bühnen gespielt und wurde auch zweimal (1986 und 2006) mit namhaften Schauspieler verfilmt. Am Freitag brachte das Theater St. Gallen das Kurtheater-Publikum in den Genuss dieses packenden Werkes.
Faszinierende Dramaturgie
Die Ehe des kontaktscheuen Oberstudienrats Helmut Halm und seiner Frau Sabine ist in Ruhe erstarrt. Gestört wird das von ehealltäglichen Gewohnheiten geprägte Arrangement durch eine zufällige Begegnung mit Helmuts altem Schulfreund Klaus Buch und dessen jungen Frau Helene.
Klaus – dynamisch, sportlich, provokativ – lässt, unterstützt von seiner attraktiven Frau, nichts aus, um Helmut aus der Reserve zu locken. Er überredet ihn zu einem kleinen Segeltörn auf dem Bodensee, wo ein plötzlich aufkommender Sturm verheerende Folgen hat. Der Sturm bringt Lügengebilde zu Einsturz, reisst Masken von Gesichtern – plötzlich ist nichts mehr, wie es war.
Zum Orkan bis in Verzweiflung
Das Stück beginnt gemächlich, steigert sich – äusserlich und innerlich - zum Orkan, endet in stiller Verzweiflung. Die Faszination, die von diesem dramaturgischen Bogen ausgeht, wurde in der St. Galler Aufführung mitreissend umgesetzt. Mit viel Gespür für Tempi und Dramatik, mit raffinierten Einfällen und vier grossartigen Schauspielern hat Regisseur Veit Güssow dem Badener Publikum ein packendes Theatererlebnis geschenkt.
Bruno Riedl gibt den verschlossenen, fast schon misanthropischen Helmut als stillen, intellektuellen Grübler. Überzeugend auch Silvia Rhode als die ihn, trotz allem, liebende und letztlich auch verstehende Sabine an seiner Seite. Matthias Albold trägt die Maske des erfolgreichen und potenten Winners mit Bravour. In der am Meisten fordernden Rolle der Helene glänzt Danielle Green: Ihre wahrlich furiose Verwandlung vom sexy Püppchen zu einer von Lügen und Unterdrückung befreiten Frau ging tief unter die Haut und hinterliess, wie der ganze Theaterabend, bleibende Eindrücke.