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Aus der ABB-Turboladersparte soll ein eigenständiges Unternehmen werden. Laut Verwaltungsratspräsident Peter Voser wird es mehr Jobs in Baden geben. «Bei allem Optimismus, den die Aussage weckt: Die Identität des Unternehmens verschwindet immer mehr», sagt Peter Wollschlegel, Präsident des Vereins Industriewelt Baden.
«Ausverkauf der Kronjuwelen» oder «ABB verkauft sein Tafelsilber», lauteten die Schlagzeilen vor einigen Tagen: Das Unternehmen will das Turbolader-Geschäft abstossen. Begründung: Es passe nicht mehr zur Strategie. Das sorgt am Standort Baden für Kopfschütteln – denn die Sparte wirft mehr Gewinn ab als der Durchschnitt der anderen Divisionen.
Verwaltungsratspräsident Peter Voser betont aber im Interview mit der AZ, was ABB vorhabe, sei das Gegenteil einer Schliessung: «Eine der Möglichkeiten, die wir prüfen, ist eine Verselbstständigung des Geschäfts, und dann bringen wir es an die Schweizer Börse.» Peter Voser prognostiziert einen Job-Ausbau: «Diese selbstständige Firma wird Leute brauchen, weil sie alles selber machen muss: Risikoanalyse, Marketing, Branding und so weiter.»
Was bedeuten die Nachrichten der letzten Tage für Baden? Ist die Hoffnung berechtigt, dass es nicht zu einem Stellenabbau kommt? «Ja, absolut», sagt Peter Wollschlegel. Er war sein ganzes Berufsleben mit dem Industriestandort verbunden, absolvierte eine Mechanikerlehre bei der BBC, ehe er Karriere machte bei BBC/ABB und Alstom. 2018 übernahm er das Präsidium im neugegründeten Verein «Industriewelt Baden», der sich mit der Industrievergangenheit und den Zukunftschancen der Region Baden befasst.
Wollschlegel ist überzeugt: «Wenn aus der Turbolader-Sparte ein eigenständiges, neues Unternehmen wird, dann wird sich für den Wirtschaftsstandort Baden nicht viel ändern. Der Turbolader-Bereich ist Weltmarktführer.» Er arbeite stabil und effizient, sei weltweit an über 70 Standorten präsent, und es mache für ein neues auf Turbolader fokussiertes Unternehmen keinen Sinn, einen alternativen Hauptstandort aufzubauen.
Wollschlegel erklärt: Wenn ein Turbolader beispielsweise in einem riesigen Frachtschiff kaputt gehe, müsse innerhalb von kürzester Zeit ein Ersatz geliefert werden können. «Mit der Infrastruktur, dem Know-how und der internationalen Ausrichtung in Baden ist dies möglich.» Falls aus der Turbolader-Sparte aber kein eigenständiges Unternehmen würde, sondern eine andere Firma sie übernimmt, hätte dies für Baden Folgen, glaubt Wollschlegel: «Bei einer Übernahme würde sich viel verändern, nicht nur der Standort.»
In gewisser Weise sei der Entscheid der Unternehmensspitze nachvollziehbar. «ABB konzentriert sich nun auf die Wachstumsbranchen wie Digitalisierung und Automatisierung.» Gegen das Image der Turbolader spreche unter anderem, dass sie derzeit noch fast ausschliesslich in Anwendungen mit fossilen Brennstoffen eingesetzt werden, beispielsweise in Schiffen, Dieselkraftwerken oder Gasmotorenantrieben.» Mit synthetischen Brennstoffen werde sich dies aber ändern.
Bei allem Optimismus, den die Aussagen von Peter Voser wecken, sei die Abspaltung der Turbolader-Sparte mit Blick auf die Industriegeschichte schon ein Wermutstropfen. «Die ABB verliert ein weiteres ihrer Gene, und die DNA, die Identität des Unternehmens, verschwindet immer mehr», kommentiert Wollschlegel. Das erste Gen, das verkauft wurde, sei die Transportsparte an Adtranz gewesen, die schliesslich an Bombardier ging.
«Dann wurde die Kraftwerkssparte an Alstom verkauft, die später an General Electric und Ansaldo ging.» Die Hochspannung, «ein Gen der ersten Stunde von BBC», wurde kürzlich an Hitachi verkauft. Wollschlegel: «Mit der ursprünglichen BBC/ABB hat das heutige Unternehmen immer weniger zu tun. Aber der Trend ist weltweit derselbe: Unternehmen werden schlanker, fokussierter und effizienter. Konglomerate werden je länger je mehr aufgespaltet.»