Kantonsschule Baden
Unkonventionell, locker, schülernah - der etwas andere Rektor legt sein Amt nieder

Hans Rudolf Stauffacher, der vierte Rektor in 55 Jahren, gibt sein Amt ab. Seit 1980 unterrichtete er bei der Kanti Baden und hält das Rektoramt seit 2001 inne.

Hans Fahrländer
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«Ich übergebe die Schule meinem Nachfolger in gutem Zustand», sagt der abtretende Rektor Hans Rudolf Stauffacher. «Nun freue ich mich auf mehr Lebensgestaltungs-Raum.»

«Ich übergebe die Schule meinem Nachfolger in gutem Zustand», sagt der abtretende Rektor Hans Rudolf Stauffacher. «Nun freue ich mich auf mehr Lebensgestaltungs-Raum.»

Mario Heller

Nein, auf die Tischkante setzen mag er sich nicht, als ihn der az-Fotograf für ein Abschiedsporträt ablichten will. Der Name Hans Rudolf Stauffacher ist ja in der Lehrer- und Rektorenlandschaft gleichbedeutend mit: unkonventionell, locker, schülernahe. Locker ist der Demissionär auch beim Abschiedsgespräch, aufgeräumt im doppelten Wortsinn. Aber das Tischkanten-Cliché zum Schluss nochmals befeuern – das will er dann doch nicht.

Ursprünglich auf Abschussliste

Der gebürtige Glarner, der Geschichte und Theologie studiert und seit 1980 an der Kanti Baden unterrichtet hat, wurde 2001 als vierter Rektor nach Fritz Schaufelberger, Guido Bächli und Edgar Knecht an die Spitze der zweitgrössten Aargauer Mittelschule gewählt. Das war nicht selbstverständlich. Elf Jahre zuvor sah es für ihn noch nicht gut aus.

Der bekennende Sozialdemokrat («Ich bin länger in der SP als Peter Bodenmann!») war kurz nach der Wende ins Visier von kalten Kriegern innerhalb und ausserhalb der Schule geraten. Der Anlass war ein Projekt, das Geschichtslehrer Stauffacher mit einer Klasse über Baden und die Schweiz im Zweiten Weltkrieg durchführte. Dabei stellten die Schüler durchaus kritische Fragen, die sich auch bei der Gestaltung eines Schaukastens niederschlugen. Dies bestätigte die Rechtsbürgerlichen in ihrem Verdacht: Dieser linke Lehrer hetzt die Schüler gegen die Weltkriegsgeneration und die Armee auf. Auch das «Badener Tagblatt» liess sich für diese Kampagne einspannen und publizierte einen ziemlich einseitigen Artikel.

«Es war eine klassische Intrige»

Und so kam es, wie es kommen musste: Der Regierungsrat verweigerte dem Hilfslehrer Stauffacher die Beförderung zum Hauptlehrer. Noch heute verdüstert sich in der Erinnerung seine Miene. «Die Anprangerung traf mich wie ein Hammer, es war eine klassische Intrige, aufgebaut auf Verdächtigungen.»

Doch der Kalte Krieg ging mit etwas Verzögerung auch im Aargau zu Ende: Fünf Jahre später ging die Wahl zum Hauptlehrer problemlos über die Bühne – und nach abermals fünf Jahren, 2001, wählte ihn der Regierungsrat zum Rektor. Auch politisch hatte er inzwischen Karriere gemacht. So präsidierte der in Kirchdorf wohnhafte Stauffacher 1997/98 den Einwohnerrat Obersiggenthal.

Unterstützen statt disziplinieren

Vier Jahre nach seiner Wahl erhielten die aargauischen Mittelschulen ein neues Führungsmodell. Die Aufsichtskommission fiel weg, ebenso die Wahl der Hauptlehrer durch den Regierungsrat, der Rektor und seine Prorektoren erhielten viel mehr Verantwortung, unter anderem die gesamte Personalkompetenz. «Es war eine radikale, aber eine konsequente, gute Lösung», urteilt Stauffacher im Rückblick.

«Aarau» war jetzt weit weg, vor allem in der Kanti Baden. «Eine Wahl zum Hauptlehrer war früher fast gleichbedeutend mit einer Heiligsprechung; viele Hilfslehrer waren nur mit Jahresverträgen angestellt. Seit die Anstellungskompetenz beim Rektor liegt, hat die Mehrheit der Lehrkräfte einen unbefristeten Vertrag.»

Woher stammt eigentlich der Ruf des «etwas anderen» Rektors? Stauffacher baute nie eine auf Autorität des Amtes basierende Distanz zu den Schülerinnen und Schülern auf. Er unterstützte sie, wo er konnte, besonders wenn sie in Schwierigkeiten gerieten. Ein ehemaliger Schüler bekennt: «Wäre Stauffi nicht gewesen, hätte ich die Matur vergessen können. Er hat sich persönlich für mich eingesetzt und hat mir eine zusätzliche Chance gewährt, weil er an mich geglaubt hat.» Der Ehemalige hat inzwischen sein Studium mit sehr guten Noten abgeschlossen.

Doch Stauffacher war keineswegs nur der Kumpel der Schüler. Seine Kolleginnen und Kollegen erkannten mit zunehmender Amtsdauer: Da setzt sich einer für uns ein. Der Rektor hatte auch den Mut, ungenügenden Lehrkräften zu kündigen und sie durch gute zu ersetzen – das war im früheren Regime mit der Regierungswahl praktisch unmöglich – und formte so einen Lehrkörper von hoher Qualität.

Rektor Stauffacher überliess den Lehrkräften einen grossen Spielraum. «Wer an einer Mittelschule unterrichtet, braucht nicht ständig einen Kontrolleur. Ist sein Unterricht schlecht, kommt das ohnehin schnell aus.» Dringt da auch Kritik an aktuellen Standardisierungen und an der Einheitsmatur durch? «Ja, ich habe stets die individuelle Unterrichtsführung und Prüfung verteidigt.»

Die Schule ist gut aufgestellt

Was zieht der Demissionär für eine Bilanz über seine Amtszeit? «Ich übergebe meinem Nachfolger die Schule in gutem Zustand.» Besonders schöne Erinnerungen hat er an die 50-Jahr-Feier der Kanti anno 2011. «Da spürte man, wie viel Potenzial und positive Energie in der Schülerschaft und im Lehrkörper dieser Schule stecken.»

Stauffacher ist überzeugt, dass der Aargau die neue Maturitätsordnung mit der Unterteilung in zwei Jahre Grund- und zwei Jahre Aufbaustudium optimal umgesetzt hat. Und was hält er von Vorwürfen, heutige Maturandinnen und Maturanden hätten in Kernfächern Lücken? «Nicht viel. Bildungsstand und Persönlichkeit kann man nie exakt messen. Auch ein Maturzeugnis ist immer nur eine Momentaufnahme.»

Wie sind sie denn, die jungen Menschen, verglichen mit früher? Tatsächlich angepasst und auf Karriere bedacht? «Nein. Sie sind breit interessiert und engagiert, sie wissen mindestens so viel und anderes als wir vor gut 40 Jahren. Einzig – das gibt mir als Geschichtslehrer etwas zu denken: Das Politische liegt den meisten nicht sehr nahe.»

Und was folgt jetzt, Hans Rudolf Stauffacher? Die grosse Leere? «Nein! Erstens gebe ich noch ein Jahr, bis zur Erreichung des Pensionsalters, ein paar Lektionen Geschichtsunterricht. Und zweitens freue ich mich auf mehr Lebensgestaltungs-Raum. Ich muss deswegen nicht durch die ganze Welt jetten, dazu ist meine Abstammung wohl zu bäuerlich. Lieber denke und lese und arbeite ich in unserem abgelegenen Rustico im Tessin.»