Baden
Verhandlungen mit Scheichs, Diebstähle in Russland: Der Chef der Badener Taxi blickt auf ein bewegtes Leben zurück

Heute hat Roland Wunderli seinen letzten Arbeitstag als Chef der Badener Taxi. Als Bestattungschef macht er weiter. Ein Porträt über einen Mann, der einst lieber Priester werden wollte.

Max Dohner
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Roland Wunderli vor dem Kloster Wettingen: Man kann es sich kaum vorstellen, aber er wollte einst Priester werden.

Roland Wunderli vor dem Kloster Wettingen: Man kann es sich kaum vorstellen, aber er wollte einst Priester werden.

Barbara Scherer

Ein Leben auf mehrfacher Bahn: So scheint das Leben verlaufen zu sein von Roland Wunderli. Inklusive eines zeitweiligen Wunsches, darunter gäbe es auch eine Rennbahn. Und eine Zelle fürs Gebet. Und eine Schlachtkapelle für die Heirat. Gleichwohl blieb im Wesentlichen alles konstant. Phasenweise wurde daraus gar eine «goldene Zeit».

Man versetze Charon – jenen Altgriechen, der die Seelen übersetzte am Fluss des Vergessens – ins dritte Jahrtausend. Nähme er heute nicht eher das Taxi? Anders gefragt: Gibt es zwischen Taxi- und Bestattungsdiensten womöglich Parallelen?

Vielleicht nicht überall oder generell, bestimmt aber in Baden. Da war der gleiche Mann, Roland Wunderli, Geschäftsführer der Badener Taxi AG wie auch der Badener Bestattungen. Abgesehen davon, dass einer seiner Taxifahrer aushilfsweise früher als Bestatter tätig war.

«Das habe ich versprochen»

Als Chef über fünfzig Taxi-Chauffeusen und -Chauffeure hört Wunderli heute auf, nach sechzehn Jahren. «Ich hasse es, im Dunkeln aufzustehen. Nun werde ich etwas länger liegen bleiben.» Weiter macht der 72-Jährige als Leiter beim Bestattungswesen – und als Hausmann. «Das habe ich versprochen», sagt Wunderli, «ich werde meiner Frau im Haus helfen.» Ausserdem habe er auch mehr Zeit fürs Golfspiel, «mit der Absicht, mein Golf-Handicap zu verbessern».

Das Rotary-Emblem am Revers seines Blazers zeigt, woher er gerade kommt: von einem Treffen der Rotarier Wettingen Heitersberg, District 1980, dessen «Governor» Wunderli 2018/19 war. Immer im Blick stehen uns aber auch die Muttergottes und die Begründer des Zisterzienser-Ordens, der heilige Bernhard und Robert de Molesme. Gegenüber dieser Figurengruppe über dem Portal der Wettinger Klosterkirche sitzen wir während des Gesprächs – im Garten des «Sternen». Das ist zwar zufällig – oder rotarierbedingt – und dennoch nicht ohne Bedeutung. Wunderli selber weist ironisch darauf hin: Als Jugendlicher hatte er den Wunsch, Priester zu werden.

Man kann es sich kaum vorstellen, hört man dem vielfach tätigen, auch vielgereisten Geschäftsmann zu. In rascher Diktion und griffiger Darstellung der Themen, ohne Fisimatenten, als wäre im Kopf alles längst geklärt, vielleicht darum auch mit latenter Ungeduld beim Zuhören, erzählt Wunderli von seinem Leben. Es führte ihn an verschiedene Stationen, verlief aber offensichtlich in geraden Bahnen. Mit zwei festen Komponenten: Autos und Fussball. Daraus machte er viel – pragmatisch, diesseitig, säkular. Autorennfahrer wurde er nicht, obwohl das auch mal ein Wunsch gewesen war. Und Klosterbruder?

«Die Beschränkungen der Kirche waren zu gross»

Wunderlis Antwort zeugt erneut von realistischer Zuordnung der Dinge: «Plötzlich», erzählt er aus seiner Zeit im katholischen Internat von Neuchâtel, «habe ich Kirchenmänner nicht immer nur schwarz gekleidet gesehen, sie spielten mit uns sogar Fussball.» Wunderli wurde dann eher Ordensbruder des Letzteren: «Die Beschränkungen der Kirche waren zu gross.» Das Tagebuch aus jener Zeit hat Wunderli noch; aus der Kirche auszutreten, wäre ihm nie eingefallen: «Ich glaube an Gott.»

Fussball war für Jahrzehnte aber auch gottähnlich, ein Fixstern. Wunderli spielte 1968/1969 beim FC Baden Fussball, bis ihn eine Meniskusoperation zum Abbruch zwang. 1985 stieg er trotzdem auf mit dem Klub in die Nationalliga A als dessen Präsident. Ein Abenteuer, das den Verein nicht in Millionenschulden stürzte, anders als den FC Grenchen, der mit Baden auf- und wieder abgestiegen war.

1968/69 – war da nicht auch zünftig Bewegung neben dem Sportplatz? «Davon bekam ich kaum etwas mit», sagt Wunderli; zeitlebens sei er ein unpolitischer Mensch geblieben. Trotz Präsenz in der Öffentlichkeit (unter anderem Spanischbrödlizunft und Rotarier) habe ihn ein politisches Amt nie inte­ressiert: «Ich bin nicht diplomatisch genug.» Politik sei «ein Monkey-Business: Man kann selten sagen, was man denkt.» Im Unterschied zum Geschäftsleben, wo es «einer gewissen Schlitzohrigkeit bedarf». Und die wäre ehrlicher als Politik? «Ja», sagt Wunderli, ohne im Mindesten «diplomatisch» zu zögern.

Seit 42 Jahren ist das Ehepaar Wunderli verheiratet

Etwas anderes kehrt mehrmals wieder in Wunderlis Biografie: das Wörtchen «golden». Von der «goldenen Epoche» des FC Baden sprachen wir schon («Heute haben die Leute beim Fussball nur noch eins im Kopf: Chölle.»). Mitten in der «goldenen Zeit der Bäder», deren letzter Blüte, wuchs Wunderli auf. Seine Mutter führte da eine florierende Papeterie.

Der Vater, leidenschaftlicher Fussballer auch er, arbeitete vier Jahrzehnte in der BBC. Beide wurden alt. Von ihnen erbte Wunderli wohl die Gesundheit: «Ich hatte nie Kopfweh, nahm auch noch nie Medikamente.» Seit 42 Jahren ist das Ehepaar Wunderli verheiratet; geheiratet hatten sie in der Schlachtkapelle Sempach, nicht Winkelrieds, sondern des romantischen ­Ortes wegen – Ironie schwingt bei der Anekdote trotzdem mit...

Alles scheint gut angeschlagen zu haben, was Wunderli auch unternahm, wo er auch war: als KV-Stift in einer Badener Schreinerei. Anderthalb Jahre in Lausanne. Vertreter für Chrysler, Porsche, Valiant in Schinznach (heute fährt Wunderli Mercedes). Geschäftsführer der beiden Tankstellen und der Autoshops am «Fressbalken» in Würenlos. Dann die Mietwagenbranche bei Welti-Furrer, Europcar, Avis, bei den Pneus von Continental und so weiter.

Kein sentimentaler Superlativ, sondern statistischer Fakt

«Die beste Zeit» – bei Wunderli klingt das nicht als sentimentaler Superlativ, sondern als statistischer Fakt – habe er in Paris erlebt. Paris, klar – wer hat da... «Nein, nicht wegen Paris», sagt Wunderli. 150-mal sei er geflogen in jener Zeit. Das ganze Baltikum, Russland, Arabien habe er erschlossen für Mietwagen – «und noch alles ohne Handy!».

Da sprudeln Anekdoten in noch rascherem Tempo aus dem Mann heraus, und man ahnt: Abendfüllend könnte Wunderli weitererzählen von Verhandlungen mit Wüstenfüchsen und Scheichs, von Diebstählen des gesamten Wagenparks in Russland, samt verschwundenem Wächter – «Steckte er unter einer Decke mit der Bande?

Wurde er in der Wolga ertränkt?» –, wortreich und erschöpfend wie jeweils ein Spaziergang mit seiner Grossmutter gewesen sein muss im kleinen Bergflecken San Marino, wo sie herkam: «Für 500 Meter benötigten wir zwei Stunden, weil alle sie kannten, weil alles gründlich beredet werden musste.» Nie habe sich das Leben jemals angefühlt, als bewege er sich im Hamsterrad.

«Es braucht auch physisch mitunter viel Kraft»

Veränderte ihn das Bestattungswesen zuletzt? Wunderli antwortet ganz nach seiner Art. Zum einen erwähnt er die positiven geschäftlichen Parameter, «auch wenn man das in dem Bereich kaum erwähnen darf». Dann berichtet er realistisch, nie aber pietätlos von Einzelheiten: «Es braucht auch physisch mitunter viel Kraft: Einen 140-Kilo-­Mann im Sarg trägt man nur mit Mühen ohne Lift vom vierten Stock ausser Haus.»

Man spürt, obwohl man es in dem Zusammenhang wohl auch «nicht erwähnen darf»: Selbst das Bestattungswesen scheint Roland Wunderliin dem zu bestärken, zu beleben, was er als seine Maxime nennt: «Carpe diem.» Nichts mit im Dunkeln aufstehen: Geniesse den Tag.