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Beeindruckend inszeniert Volker Ranisch Heinrich Manns «Professor Unrat» – und wechselt fliessend zwischen den Rollen. Die Satire auf das Spiessertum und die Doppelmoral der Bürger dieser Zeit bringt er im Spielen selbstreflektiv aufs Parkett.
Das Stück spielt wenige Jahre nach der Jahrhundertwende. «Erste Einstellung: Über den Giebeln der Altstadt zeigt uns das Bild ein kleines, ruhiges Städtchen.» Es ist die Geschichte von zwei Welten, die aufeinander prallen. Hier die ruhige, bürgerliche Welt des kleinen Städtchens, dort der Tumult, der Nerventaumel, die Verlockungen des Hafen-Variétés Der blaue Engel, nimmt Ranisch als Erzähler in seinem Prolog vorweg. Gekonnt verwebt der deutsche Schauspieler den Buchklassiker und dessen Verfilmung, die Marlene Dietrich zum weltweiten Durchbruch verhalf, zu einem literarischen Solo der Extraklasse.
Professor Raat, von allen nur «Unrat» genannt, Philister und pädagogischer Tyrann, lebt einsam und zurückgezogen. Er sieht es als seine tägliche Pflicht an, seine verzogenen Schüler zu züchtigen. Als er eines Tages im Aufsatzheft seines grössten Gegenspielers, dem sich der Autorität des alten Herrn widersetzenden, Schülers Lohmann ein Gedicht mit dem Titel «Huldigung an die hehre Künstlerin Rosa Fröhlich» entdeckt, ist er empört: «Lohmann treibt Nebendinge!», ruft Ranisch als Prof. Raat mit verkniffener Miene. Sich selbst einredend, dass es nur um das Wohl seiner Schüler gehe, betritt Unrat deshalb noch am selben Abend das zwielichtige Etablissement. Seine dort anwesenden Schüler werden nach einigen Missgeschicken auf ihn aufmerksam und flüchten. Unrat findet sich plötzlich in der Garderobe von Künstlerin Fröhlich wieder. Raat beschuldigt sie, seine Schüler der Schule abspenstig zu machen. «Sie verführen sie!», fährt er sie an und spricht insgeheim von sich selbst. Die Dinge nehmen ihren Lauf: Unrat verliert sein Herz – und bald sein Amt.
Wenn Volker Ranisch in die verschiedenen Rollen schlüpft, Stimme, Mimik und Gestik der jeweiligen Figuren so schnell und so selbstverständlich wechselt, führt er exemplarisch vor, wie ein Schauspieler mit wohl durchdachten Rollen und kleinen rhetorischen und körperlichen Tricks das Publikum in die komplexe Roman-Welt eines Heinrich Manns eintauchen lassen kann. Sei es, dass Ranisch sich als Rosa, in Marlene Dietrich-Manier singend, behutsam einen Ohrring anlegt, und sich als Unrat dann stets von der Ohrring-losen Seite zeigt. Oder, dass beim Tänzchen von Rosa und Raat, sich der führende Raat, sogleich als Rosa selbst führen und nach hinten sinken lässt.
Die Satire auf das Spiessertum und die Doppelmoral der Bürger dieser Zeit bringt Ranisch denn im Spielen der Doppelrollen, dem Theater als Scheinwelt, in ihrer immanenten Doppelbödigkeit, selbstreflexiv aufs Parkett. Das Mosaik von cineastischen Teilen und gekonnter Inszenierung der Rollen und Geschichte zum theatralischen Gesamtkunstwerk ist mithilfe von Regisseurin Mareike Bloch realisiert worden. Volker Ranischs Rollen führen ihn durch den gesamten deutschsprachigen Raum, vom Berliner Palais bis zum Schauspielhaus Zürich.