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Pflegefachfrau Enza Mazzurco erlebt in ihrem Alltag vieles – auch der Tod gehört dazu. Ein Tag unterwegs im Regionalen Pflegezentrum Baden. Mazzurco gibt Einblick in ihren «Traumberuf»
Heute ist der internationale Tag der Pflege. Aus diesem Anlass hat die «Nordwestschweiz» Enza Mazzurco, Pflegefachfrau und Leiterin einer Pflegeabteilung, einen Morgen lang bei ihrer Arbeit im Regionalen Pflegezentrum Baden (RPB) begleitet und einiges über die Freuden und Herausforderungen ihres Berufes erfahren.
7.00: Schichtbeginn für Enza Mazzurco. Mit ihrem Team trifft sie sich auf der Abteilung 4b. Hier sind hauptsächlich multimorbide Bewohner zu Hause: Menschen, die von mehreren Krankheitsbildern gleichzeitig betroffen sind. Mazzurco kontrolliert Betäubungsmittel, beantwortet Fragen des Teams, nimmt das Telefon ab. Dabei behält sie immer den Überblick. Nach zehn Minuten ist sie allein im Abteilungsbüro. Die anderen Pflegenden haben sich auf die Bewohnerzimmer verteilt.
7.30: In Windeseile sucht sich Mazzurco einige Materialien zusammen, stellt sie auf ein fahrbares Wägelchen, im Fachjargon «Boy» genannt, und betritt das hinterste Zimmer der Station. Die alte Dame im Bett grüsst fröhlich. Die diplomierte Pflegefachfrau bittet ihre Bewohnerin, sich auf die Seite zu drehen. Routiniert wechselt sie ihr den Verband am Steissbein.
7.45: Im sonnigen Frühstücksraum trudeln die ersten Bewohnenden ein, Enza Mazzurco verteilt Medikamente. «Guten Morgen!», ruft sie einer Frau zu, die mit dem Rollstuhl hereinrollt, indem sie ihn mit den Beinen angibt. «Wie geht es heute?», «Ich bin noch etwas dusselig», kichert die Dame und rollt schnurstraks zum Frühstücksbuffet.
8.00: Mazzurco beugt sich über Herrn Keller (Name geändert). Er hat die Augen nur halb geöffnet, das Nachthemd hat er sich abgestreift. Herr Keller atmet angestrengt, bei jedem Atemzug erklingt ein Karcheln. Mazzurco verlässt das Zimmer wieder und kehrt mit einem Becherchen Flüssigkeit zurück. «Das ist Hydromorphon, ein starkes Schmerzmittel», sagt sie. Opioide wie dieses helfen nicht nur gegen Schmerzen. Auch Atemnot könne durch solche Medikamente gelindert werden. Mazzurco schiebt ihre Arme unter den Körper des alten Mannes und rutscht ihn routiniert einige Zentimeter nach oben. Dann stellt sie das Kopfteil des Bettes hoch und flösst Herrn Keller die Flüssigkeit ein. Auf die Fragen der Pflegefachfrau mag er kaum noch antworten.
8.15: Während sie Herrn Keller hilft, einige Löffel Müesli zu essen, sagt Mazzurco leise: «Bei Herrn Keller haben wir eine palliative Situation. Das heisst, dass wir nur noch versuchen, seine Symptome zu lindern.» Auch essen möge er kaum noch etwas. So auch heute: Nach drei Löffeln schiebt Herr Keller die Hand der Pflegefachfrau entschieden weg. «Nümme», sagt er. «Fertig.» Mazzurco räumt das Essen beiseite und beginnt, Waschutensilien bereitzustellen. Dabei erzählt sie von ihrem Beruf. Schon seit über 25 Jahren arbeite sie im RPB; hier habe es ihr immer gefallen sagt sie. «Ich mag es auch, dass immer etwas los ist», sagt sie und lacht. «An einem ruhigeren Arbeitsort wäre ich wohl nicht glücklich.»
8.45: Enza Mazzurco eilt einen Stock tiefer zum Briefing. Abteilungsleitende, Therapie, Bewohnerdienst, Arztdienst und die Pflegedienstleitung treffen sich und besprechen den Tag. Mazzurco berichtet über den Zustand von Herrn Keller und bittet den Arztdienst, später vorbeizuschauen. Sie möchte die Dosierung des Schmerzmittels von Herr Keller erhöhen.
9.00: 15 Minuten Pause; Zeit um etwas zu essen und einen Kaffee zu trinken. Pflegedienstleiter Ermin Hirkic erläutert dabei die aktuellen Herausforderungen des RPB: «Schwierig sind für uns dieselben Dinge, wie für andere Langzeit-Institutionen auch. In der Schweiz wird zu wenig diplomiertes Pflegepersonal ausgebildet. Das macht es schwieriger für uns, selbiges zu rekrutieren.»
9.45: Mazzurco befindet sich im Zimmer von Frau Seiler (Name geändert). Frau Seiler leidet an Parkinson. Die Krankheit ist bei ihr ausgeprägt – ihre Arme und Beine zittern unentwegt. Nachdem Mazzurco ihr den Oberkörper gewaschen hat, pflegt sie auch Frau Seilers Intimbereich. Ihre Inkontinenz-Einlage hat ihren Zweck erfüllt: Eine grosse Portion Stuhlgang und Urin lässt sich problemlos entfernen. Um Frau Seiler in ihren Rollstuhl zu setzen, benutzt Mazzurco zusammen mit einer Kollegin einen Passivlift: Die Bewohnerin wird im Bett in ein Netz gelegt, das anschliessend am Lift befestigt wird. Damit wird Frau Seiler hochgehoben und dann sanft in ihren Rollstuhl befördert.
10.30: Auf der Abteilung herrscht reger Betrieb. Klienten werden zur Toilette gebracht, im Abteilungsbüro wird dokumentiert. Mazzurco spricht über die Veränderungen, die sie während den letzten Jahren in der Pflege erlebt hat: «Der administrative Aufwand ist heute grösser als früher», sagt sie. «Wir Diplomierte verbringen deutlich mehr Zeit im Büro.»
11.30: Die zuständige Ärztin ist auf der Abteilung angekommen. Mazzurco bespricht mit ihr die Situation von Herrn Keller. «Sein Zustand hat sich verschlechtert», rapportiert sie. «Er hat bereits Aussetzer.» Das bedeutet, dass Herr Keller für kurze Zeit mit dem Atmen aufhört.
Bei all dem Leben auf der Abteilung gehört bisweilen auch der Kontakt mit dem Ende des Lebens dazu. Für Enza Mazzurco jedoch bleibt ihre Arbeit trotz aller Belastungen ein Traumberuf. «Ich würde mich immer wieder dafür entscheiden», sagt sie und lächelt. «Für mich gibt es nichts Schöneres, als mit Menschen zu arbeiten.»