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Patrick Hauser ist einer von rund 70 Arbeitern, die auf der Baustelle am Schulhausplatz in Baden im Einsatz sind. Das Badener Tagblatt hat sich einen Tag lang an seine Fersen geheftet - und sich die Füsse wund gelaufen.
Wo bis vor kurzem gebaggert, gehämmert und betoniert wurde, herrscht gespenstische Ruhe. Kein Wunder, es ist 18 Uhr, die Bauarbeiter geniessen ihren Feierabend. Mit Ausnahme von Patrick Hauser: Der gelernte Strassenbauer dreht einen letzten Kontrollgang durch die Baustelle am Schulhausplatz in Baden. Sind die Container verschlossen, die Kranen gesichert? Stehen die Elektrogeräte an ihrem Platz? Der 35-Jährige drückt vor der «Kiste» das Tor zur neuen Fuss- und Veloebene zu und macht sich auf den Weg Richtung Containerdorf beim Bezirksgebäude. «Jetzt kommt der schönste Moment im Tag», sagt er müde, aber mit einem Lächeln im Gesicht: «Wenn ich das Magazin schliessen kann.» Hauser öffnet die Tür des Containers, zieht seinen Helm aus und legt diesen in ein Fach. «So, nun heisst es auch für mich: Feierabend.»
Hausers Arbeitstag geht dort zu Ende, wo er vor rund zwölf Stunden begonnen hat. Rückblende: Es ist 6.30 Uhr, das Containerdorf füllt sich mit Leben – «guten Morgen», «ciao», «olá», ertönt es. Hauser geht zum Magazin und tritt hinein. «Das Erste, was ich jeweils mache, ist warten, bis alle ihr Material abgeholt haben», sagt er. Nach und nach verteilt er Handschuhe, aber auch Schutzbrillen und Gehörschütze. Eine Viertelstunde später sind die Bauarbeiter an ihren Plätzen – Hauser setzt zum Kontrollgang durch die Baustelle an. Mit forschem Schritt läuft er zur Abwasseranlage, wo er die Elektronik prüft. «Das Ganze muss reibungslos funktionieren. Denn hier läuft sämtliches Abwasser zusammen und wird gereinigt», erklärt Hauser. So würden alleine nur beim Jetten, wenn mittels Höchstdruck-Wasserstrahlen Beton abgetragen wird, rund 250 Liter Wasser pro Minute verbraucht.
Danach peilt Hauser «die Höhle des Löwen an», wie er zu sagen pflegt – den Bereich beim Schlossbergtunnel. Es ist laut, das künstliche Licht wirft grosse Schatten. Hauser mahnt zur Vorsicht: «An den Wochenenden wird der Strom abgestellt und man sieht hier rein gar nichts mehr.» Deshalb sei es gefährlich, wenn sich jemand unbefugt Zugang zur Baustelle verschaffen würde. «Viele sind sich den Risiken nicht bewusst. Doch wenn man nicht aufpasst, ist schnell etwas passiert.» So ist der erfahrene Bauarbeiter selber einmal gegen ein Armierungseisen gelaufen. Die Narbe trägt er noch heute am Schienbein.
Seit 15 Jahren arbeitet Patrick Hauser für die Baufirma Granella, die im Dezember 2016 mit der Umbricht AG zur Aarvia Gruppe fusioniert ist. «Mir gefällt die Arbeit einfach. Jeder Tag ist anders. Ich kann draussen sein und habe viel Bewegung», sagt er. Gemäss Schrittzähler absolviere er zwischen 40 und 50 Kilometer täglich. «Und nicht nur das. Als Bauarbeiter kann ich mir eine ‹Zigi› anzünden, wann immer ich will. Im Büro ist das nicht möglich», fügt er mit einem Schmunzeln an. Normalerweise ist er bei Bauprojekten als Strassenbauer im Einsatz, doch am Schulhausplatz hat er eine besondere Rolle inne: Er ist der «Papi» der Baustelle, wie die Kollegen ihn nennen – oder wie Hauser lieber sagt: «Mädchen für alles». So ist er beispielsweise für das Material verantwortlich, er plant und nimmt Anlieferungen entgehen, flickt Werkzeuge und ist zur Stelle, wenn Hilfe benötigt wird.
Nachdem Hauser in der Tunnelgarage die Elektronik geprüft hat, macht er sich auf den Weg an die Neuenhoferstrasse. «Das ist einer der beiden Lagerplätze», sagt er. Vor Mittag wird hier eine grosse Lieferung erwartet. Hauser steigt in den Gabelstapler und schafft den nötigen Platz. Es mache ihn besonders stolz, dass er am Schulhausplatz mitwirken darf. «Ich bin hier aufgewachsen, ich wohne hier, hier liegen meine Wurzeln. Mitansehen dürfen, wie ein Projekt Formen annimmt, ist das Schönste an meiner Arbeit», sagt er und karrt derweil Rohre in eine Ecke.
Es ist 9.30 Uhr. Hauser macht einen Abstecher ins Containerdorf und schnappt sich das Einkaufswägeli. «Auch das gehört zu meinen Aufgaben», sagt er mit einem Lachen und steuert den Denner beim Falkengebäude an. Mit Mineralwasser, Rahm und Kaffee kehrt er wenig später zurück. Hausers Telefon klingelt – wie so oft an diesem Tag – und er eilt zum Lagerplatz, wo der Lieferwagen eingetroffen ist. Nachdem die Betonelemente abgeladen sind und er die Kranen kontrolliert hat, geht er zurück ins Containerdorf. Seine nächste Mission: den Grill anwerfen. «Egal zu welcher Jahreszeit – mittwochs und freitags wird grilliert.» Seine Kollegen zufriedenstellen und für ein gutes Arbeitsklima sorgen, auch dafür sei er zuständig, sagt er. Überhaupt sei ihm das Team wichtig. «Klar, der Umgangston ist rau, doch wir können es im Grossen und Ganzen sehr gut miteinander.»
Nach und nach treffen die Bauarbeiter ein, Hauser nimmt die Zange und platziert jedem Fleisch auf den Pappteller: Würstchen, Entrecôtes, Spiesse, Steaks. Er selber nimmt sich ein Schweinssteak. An den Tischen wird Deutsch, Spanisch, Italienisch und Portugiesisch gesprochen. «Mittlerweile verstehe ich fast alles», sagt Hauser und fügt mit einem Augenzwinkern an: «Die Fluchwörter habe ich als erstes gelernt, danach die baustellenspezifischen Ausdrücke.»
Um 13 Uhr sind die Teller entsorgt, die Bäuche voll. Für Hauser geht es nun hoch zu Kranführer Giuseppe Rondinelli. Obwohl es in 70 Metern Höhe schwankt wie auf See bei starkem Wellengang, bleiben die beiden ruhig. Angst habe er nicht, sagt Rondinelli. Schliesslich sei er bereits seit drei Jahrzehnten Kranführer. Auch Hauser bleibt cool: «Von hier oben kann man schön beobachten, wie das Kind langsam wächst.» Einmal zurück am Boden wird er erneut zum Lagerplatz gerufen: Die nächste Lieferung ist da.
Ob es denn wirklich nichts gibt, das ihn an seinem Job stört? Hauser überlegt kurz und sagt, dass bei 40 Grad im Sommer mit Sonneneinstrahlung arbeiten manchmal nicht so angenehm sei. «Doch man gewöhnt sich daran», sagt er und zuckt mit den Schultern. Ein paar Mal sei es vorgekommen, dass Passanten Eis vorbeigebracht haben oder Kuchen. «Das sind jeweils sehr schöne Momente», sagt Hauser rückblickend. Auch dass man wenig Platz in der Baugrube habe, sei eine Herausforderung. «Dass sich auf so engem Raum noch kein grösserer Unfall ereignet hat, ist erstaunlich», sagt er. Dies habe unter anderem mit gezielten Schulungen zu tun, dem eingespielten Team und den Anweisungen, an denen man sich zu halten habe.
Die Zeit vergeht am Nachmittag wie im Flug: Hauser eilt von Ecke zu Ecke, hält kurz mal im Büro inne, um Bestellungen aufzugeben, ehe er wieder in die Baugrube gerufen wird. Sein Weg führt zudem zu den angrenzenden Liegenschaften. Dort verteilt er Gehörschütze. «Die Anwohner werden extrem in Mitleidenschaft gezogen», sagt er. Klar, es gebe immer wieder Reklamationen, doch man versuche, die Lärmemissionen soweit es geht gering zu halten. «Auch für die Equipen, die im Bereich Schlossbergtunnel arbeiten, ist der Lärm nicht angenehm.» Selber trage man Gehörschutz: einer, bei dem die lauten Geräusche gedämpft werden, die leisen wie beispielsweise das Klingeln des Telefons, der Funk oder die Menschenstimmen aber zu hören sind.
Mittlerweile ist es 17.15 Uhr. Die Baustelle beginnt sich zu leeren, die Stille gewinnt nach und nach Überhand. Bald ist nur noch das Geräusch der vorbeirollenden Fahrzeuge zu hören. Es ist der Moment, in dem Hauser zum letzten Kontrollgang des Tages einsetzt. Sein Schritt ist langsamer geworden, der Schweiss und die Anstrengung sind ihm ins Gesicht geschrieben. Eine Stunde später steht Patrick Hauser in seiner Freizeitkleidung vor dem Containerdorf, er schliesst dieses ab und macht sich auf den Weg zum Fussgängerstreifen bei der Hochbrücke. «Jetzt freue ich mich auf die Dusche und aufs Abschalten.» Dann sei für ihn fertig – bis zum nächsten Tag, wenn es wieder von Neuem losgeht.