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Die Badener Autorin Julia Haenni hat ihr Theaterstück «Frau im Wald» auf der offenen Bühne in Baden vorgestellt. Unsere Redaktorin ist begeistert.
Die Publikumsreihen vor der offenen Bühne des Theatersaales im Nordportal in Baden sind am Mittwochabend bis auf den letzten Platz gefüllt. Es folgen 75 Minuten, die von fünf Frauen und raffinierter Technik so dicht umspielt werden, dass mein Sitznachbar zu murmeln beginnt: «Ich glaube, das dauert ewig, und wir kommen nie mehr raus aus dieser bedrohlichen Geschichte.»
Die Aufführung beginnt sanft. Die Autorin Julia Haenni und drei weitere Schauspielerinnen summen – im Publikum verteilt – das Kinderlied: «Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm». Sie gesellen sich später zur Erzählerin, die ihren Tag wie jeden anderen beginnen möchte. Aber dann läuft alles quer, wild und durcheinander: So findet Frau Meier weder den Autoschlüssel auf der Kommode noch den Hasen Max im Käfig. Ausserdem plagen sie heftige Zahnschmerzen, aber niemand nimmt sie ernst. Sie erwartet einen Handwerker und möchte für ihn und sich vier Brötchen beim Bäcker holen. Doch nun plagen sie Stimmen und Gedanken, Zweifel und Ängste.
Sie fühlt sich bedroht, als es an der Türe läutet, und will schliesslich aus dem Kellerfenster klettern. Auch ihr Auto ist plötzlich weg. Unterwegs zur Bäckerei verfolgen sie immer mehr Frauen, steigen ins gleiche Tram, rauben ihr die Luft zum Atmen, bedrängen und prügeln, schlagen und beissen einander. Nur knapp kann sie sich wieder nach Hause retten, wo das Chaos neu beginnt – bis zur Auflösung von Sinn, Zweck und Struktur der Geschichte, der Überblendung von Fantasie und Wirklichkeit.
Eine weitere Flucht führt sie in den Wald, wo sie sich mit ihren Stimmfiguren versöhnt und Ruhe in der Stille findet. Aber nur kurze Zeit, und schon lässt sie sich ins nächste Unglück treiben. Sie fühlt sich umzingelt und zugemauert, fährt mit dem Auto los und gegen eine Frauengestalt, die sie verfolgt und bedroht, sieht diese liegen und bluten. «Aua, hau ab, überall Blut, Scheisse, los weg, ich muss hier raus, nach Hause!»
Längst sind die beklemmenden Gedanken zur Folter geworden, die sie immer wieder jagen. Denn sie werden grösser und kraftvoller, verwandeln sich in Stimmen und Frauenfiguren. Legen sich auf die Tramgeleise und Strassen, winden sich um die Bäume und klettern zum Kellerfenster hinein in ihr Haus.
Als wären die fünf Spielerinnen nicht schon präsent und stark genug, werden sie noch unterstützt durch Bilder, die auf den Requisiten aufleuchten, oder Videos, die sich wie von selbst einspielen und die verstörende Geschichte zusätzlich verwirren. Regisseur Olivier Keller gibt zu: «Es war nicht einfach, aber spannend, die vielen Ideen der Autorin und ihrer Schauspielkolleginnen zu verbinden, denn immer wieder tauchten neue Assoziationen auf, mussten gesammelt, ausprobiert und gewichtet werden. Doch endlich erdet sich die Geschichte wieder im alltäglichen fast übertriebenen Rhythmus der Regeln und Rituale, damit Ruhe einkehrt.»
Und Lara Albanesi, Leiterin des «Kurtheater AusserHaus» – weil das Kurtheater während rund eines Jahres umgebaut wird – ergänzt: «Vieles ging mir durch den Kopf: Burn- out, Panik, Verfolgungswahn. Zum Glück bietet das Stück immer wieder mal einige Sekunden Zeit zum Durch- atmen.»
Die Badener Autorin und Performerin Julia Haenni entwickelte ihr Stück im Rahmen des Dramenprozessors 2017. Die Inszenierung «Frau im Wald» vom Theater Marie – zusammen mit den Darstellerinnen Judith Cuénod, Silke Geertz, Barbara Heynen und Sandra Utzinger – wurde 2018 ans Theaterfestival in Mexico City und 2019 an den Heidelberger Stückemarkt 2019 eingeladen. Vor der Aufführung am Mittwoch gab es die Gelegenheit, mit Haenni zu diskutieren. Rund 30 Interessierte packten die Gelegenheit.
Die Kulturredaktion wird in einem Porträt ergänzend über die Person und das Schaffen von Julia Haenni berichten.