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Ein neues Buch über 115 Jahre altes Wunderwerk der Technik – eine Gruppe um den Ex-ABB-Chef Somm will sie zum Trafoplatz bringen.
Helmut Mühlhäuser gehört zu jener Generation von BBC-Mitarbeitern, deren Leben für immer untrennbar mit der Badener Firma verbunden sein wird. Fast vier Jahrzehnte lang arbeitete er als Maschinen-Ingenieur im Dampfkraftbereich, und auch nach der Pensionierung hat ihn die Faszination speziell der Dampfturbinen nie losgelassen.
Die vergangenen fünf Jahre hat er jede freie Minute damit verbracht, für sein Buch zu recherchieren, das soeben erschienen ist. Es trägt den Titel «Aus der Pionierzeit der Dampfturbine» und zeichnet unter anderem den Weg der ersten auf dem europäischen Festland erbauten mehrstufigen Dampfturbine nach: der legendären BBC-Urturbine, die vor 115 Jahren in Baden gebaut wurde. Sie trägt die Bestellnummer DT2; das heisst, sie war die zweite Dampfturbine, die bei der BBC bestellt wurde – aber die erste, die in Betrieb ging.
Hergestellt wurde sie im Mai 1901 in den noch improvisierten Werkstätten der BBC auf dem Haselfeld. In Auftrag gegeben hatten sie die Schweizer Industriellen Wild und Abegg für ihre Baumwollspinnerei im Piemont.
Die Turbine erbrachte eine Leistung von 250 kW und ersetzte in Norditalien zusammen mit einem BBC-Generator eine altersschwache Dampfmaschine. Die «Turbogruppe» fand nur zwei Jahre später ein neues Zuhause: Die italienische Baumwollspinnerei gab sie wieder zurück, weil sie eine noch leistungsstärkere Maschine benötigte.
«Aus der Pionierzeit der Dampfturbine» umfasst über 200 Seiten Text, garniert mit mehr als 160 Abbildungen. Das Buch gibt Auskunft über die ersten Dampfturbinen, deren Erfinder, ihre Firmen und Lizenznehmer. Nach Jahren vergeblicher Versuche, brauchbare Turbinen zu bauen, gelang dem Schweden Gustaf de Laval und dem Engländer Charles Parsons 1883/84 der Durchbruch. 10 bis 15 Jahre danach folgte der Turbinenbau in anderen Ländern, so unter anderem bei der BBC in Baden. Buchbestellungen beim Autor für 30 Franken plus 5 Franken Porto: Helmut Mühlhäuser, Schulstr. 1A, 5430 Wettingen, oder per Mail: h.muehlhaeuser@hispeed.ch
So wurde die DT2 im Jahre 1903 an die Grossherzogliche Technische Hochschule in Darmstadt geliefert. Sie erzeugte Strom für das Beleuchtungssystem sämtlicher Hochschulgebäude und ermöglichte Studenten ihre Laborversuche.
Mehrere Jahrzehnte erfüllte sie ihre Aufgaben, zuletzt im Reservebetrieb. Wie durch ein Wunder überstand sie die Bombennacht vom 11. auf den 12. September 1944, als 234 Flugzeuge der Royal Air Force die Darmstädter Altstadt in Schutt und Asche legten, zu grossen Teilen auch die Technische Hochschule. Die Turbine fristete danach in einer dunklen Ecke der TH ein Dasein als kaum beachtetes Anschauungsobjekt und täte dies ohne den Autor des neuen Buches vielleicht noch heute.
Als junger Student der Technischen Hochschule in den 1950er-Jahren begutachtete Helmut Mühlhäuser die Turbine gelegentlich im Vorbeigehen, ohne dass sie allerdings grosse Emotionen weckte.
Das Schicksal wollte es, dass er eine Stelle bei der BBC in Baden erhielt. Nachdem er bereits 13 Jahre hier gearbeitet hatte, fiel ihm ein altes, handgeschriebenes Bestellbuch in die Hände, in dem der Verkauf der Urturbine nach Darmstadt vermerkt war.
Erst da wurde er sich bewusst, dass es sich beim Objekt, das er als Student sah, um etwas ganz Besonderes handelte. In Baden war die Urturbine längst in Vergessenheit geraten, doch nachdem Mühlhäuser seine Chefs über die Wiederentdeckung informierte, wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um sie zurück in die Schweiz zu holen.
Nach Feilschen um den Preis – der zuständige Professor gab vor, demnächst ein eigenes Museum mit der Urturbine einrichten zu wollen – und einigem bürokratischem Aufwand, fand sie den Weg nach Birr. Sie stand ab 1973 rund zwanzig Jahre lang im Foyer des Bürohauses B vor dem Kinoraum.
Mitte der 90er-Jahre wurde sie in einen Kellerraum verlegt, weil ein Kunde aus Afrika die kritische Bemerkung fallen liess, er wolle lieber neue als alte Turbinen sehen. «Vielleicht war das ein respektloser Akt, aber immerhin wurde sie so vor der Verschrottung gerettet», sagt Mühlhäuser. «Ein Happy End ist das aber noch nicht.»
Dafür soll eine Gruppe sorgen, der unter anderem Edwin Somm angehört, der ehemalige Chef von ABB Schweiz, sowie ehemalige BBC-Ingenieure und Vertreter von Stadt und Kanton. Sie wollen historisch bedeutende Objekte der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Somm: «Dazu gehört auch die BBC-Urturbine. Wir suchen mit der Stadt eine Lösung auf dem Trafoplatz.»
Die Entstehung, die Geschichte, die Funktion und die Entwicklung der betreffenden Maschinen soll mit modernen audiovisuellen Mitteln präsentiert werden. «Als Zielpublikum konzentrieren wir uns auf die Jugend», erklärt Somm.
Im Fall der Dampfturbinen sei dies besonders interessant: Die BBC-Technik, die von ABB und Alstom weiterentwickelt wurde, sei von General Electric in ihr eigenes Produktportfolio übernommen worden. «Was 1901 in Baden begann, lebt heute unter dem amerikanischen Grosskonzern General Electric weiter.»