Im Alter von 76 Jahren ist Anfang März in Biel der Architekt Walter Zürcher gestorben. Er lebte und wirkte während vieler Jahre in Baden. Der Bahnhofplatz von 1972 ist auch sein Werk.
Als Mitarbeiter der Stadtplanung gehörte Walter Zürcher zu den eigenwilligsten, originellsten, aber auch provokantesten Figuren, die je bei der Badener Stadtverwaltung beschäftigt waren. Er war kein Ur-Badener. Aber als er Ende der sechziger Jahre in die Stadt kam, herrschte ein Aufbruchklima, das wie geschaffen war für einen, der die Welt mit ziemlich nonkonformistischen Augen sah. Architektur und Kunstgeschichte hatte sich Walter Zürcher, der in der Ostschweiz und in Chur in Heimen und Internaten aufgewachsen war, in erster Linie autodidaktisch angeeignet.
Er hatte – weil ein Lehrer seine intellektuellen und musischen Begabungen erkannte – immerhin eine Lehrerausbildung absolvieren können. Doch zum Dorfschullehrer, der seinen Schülerinnen und Schülern auch im Lebenswandel Vorbild sein sollte, eignete er sich nicht.
Er flüchtete aus der Deutschschweiz ins Tessin, liess sich vom Büro des bekannten Architekten Beppo Brivio anstellen, las Bücher über Kunst- und Architekturgeschichte, bildete sich über Architekturtheorie weiter und zeichnete – bis er selbst Architekt war. In Baden gehörte Zürcher zu den ersten Mitarbeitern der damals neuen Abteilung Stadtplanung. Die Neugestaltung des Bahnhofplatzes wurde zu seinem Masterpiece.
Heute ist allerdings nicht mehr alles sichtbar, was Walter Zürcher Anfang der Siebzigerjahre gestaltete. Die Sitzrondellen, die er eigentlich mit riesigen Sonnenschirmen überdachen wollte, sind verschwunden. Ebenso die Bodenmosaike und die Kandelaber mit den Kugellampen. Geblieben aber ist die Auskragung über der Ölrainstrasse.
Walter Zürcher hat sie wie Logen ausgeformt, deren Geländer in immer gleichen Winkeln auf den Platz weisen. Der Springbrunnen hat gleichfalls die Zeit überdauert. Zürcher hätte ihn zwar gerne à Niveau mit dem Platz gehabt (wie heute auf dem Bundesplatz in Bern).
Doch dann versah man den Brunnen mit einem Sockel. Immerhin: «Er ist begehbar wie ein Trottoir, im Sommer watscheln die Kinder barfuss ins Wasser, manchmal auch mit den Schuhen ..., quasi ein Brunnen gegen pädagogischen Moralismus», schrieb er dazu.
Nach seinem Engagement bei der Stadtplanung arbeitete Zürcher für verschiedene Architekten und Architekturbüros (das «Haus zum Sodeck» des Büros Diener & Diener in Basel trägt Zürchers Handschrift), erhielt eine Assistenzstelle an der ETH Zürich und beteiligte sich als selbstständiger Architekt an zahlreichen Wettbewerben. Nicht immer stiessen seine Entwürfe, die er oft mit einem reichhaltigen philosophisch-theoretischen Beiwerk versah, auf Verständnis. Es war kennzeichnend für sein Atelier, dass es mehr wie eine Bibliothek aussah als wie ein Architekturbüro.
Bis zur Jahrtausendwende blieb die Stadt Baden Zürchers Lebensmittelpunkt, auch wenn er oft reiste und sich mit fremden Kulturen beschäftigte. So wurde er zu einem Spezialisten für byzantinische (Bau-)Kunst und Geschichte. Mit dem Maghreb verband ihn eine besondere Liebe – zeitweise lebte er in Marokko. Seine Beziehung zu Baden und einigen Weggefährten ist nie ganz abgebrochen – auch wenn er die letzten Jahre in Biel verbrachte. Dort hat er sich mehr und mehr von der Architektur verabschiedet und sich dem Schreiben zugewandt. Es würde nicht wundern, fände sich in seinem Nachlass noch die eine oder andere schriftstellerische Überraschung.