In der neuen «Argovia» liest man, wie Arbeiter von BBC, Oederlin und Merker im Landesstreik 1918 die Armee auf den Plan riefen.
Der Erste Weltkrieg lag im November 1918 in seinen letzten Zügen, als die vom Krieg verschonte Schweiz in ihren Grundfesten erschüttert wurde. Der Landesstreik veränderte die politische Ordnung nachhaltig. Patrick Zehnder aus Birmenstorf hat jetzt für die neu erschienene «Argovia 2017», das Jahrbuch der Aargauischen Historischen Gesellschaft, ein besonderes Kapitel des Streiks aufgearbeitet.
Der Historiker untersucht in seinem Aufsatz mit dem Titel «Flugblätter gegen blanke Säbel» das Ringen um den öffentlichen Raum während der Geschehnisse im Aargau. Im ganzen Kanton war der Landesstreik in der Region Baden am heftigsten, nicht zuletzt wegen der Nähe zu Zürich, wo es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. Aber auch wegen der Rolle als Hauptindustrieort im Aargau mit den grossen Betrieben BBC, Oederlin und Merker.
Auch militärisch war Baden in den Streiktagen der «Gruppe Zürich» unterstellt. Dass die Stadt mit ihren Industriebetrieben trotzdem nicht so heftig vom Streik getroffen wurde wie Zürich, lag einerseits daran, dass die hiesige christlichsoziale Metallarbeitergewerkschaft sich gegen den Streik ausgesprochen hatte. Andererseits wehrte sich das städtische «Streikabwehrkabinett», in dem unter anderem Vizeammann Joseph Voser und Stadtrat Arnold Bollag sassen, mit Unterstützung des Militärs. Besondere Beachtung fand ein Kavalleriezug der Dragonerschwadron 22 unter dem Befehl von Paul Borsinger aus der Hoteldynastie Borsinger aus dem Bäderquartier.
Die ganz grosse Konfrontation zwischen den Akteuren blieb in Baden aus, wie Zehnder schreibt. Die Dragonerschwadron zog in aller Frühe des 12. November 1918 in Baden ein. Sie hinterliess einen starken Eindruck und markierte eine machtvolle Präsenz in der Stadt: «In stolzer Haltung ritt die helmbewehrte Schar, die Karabiner umgehängt, durchs Bruggertor. Stumm und ernst blickte der uralte Turm hernieder auf die grauen Reiter mit kriegerisch geformten Stahlhelmen», heisst es in einem Bericht.
Untergebracht wurden die Kavalleristen in der Reithalle der Villa Boveri am Ländliweg. Am 12. November waren die meisten Badener Betriebe bereits bestreikt. Vor den Eingängen der Firmen BBC, Merker, Oederlin und der Parkettfabrik Ciocarelli & Link standen Streikposten. Trotzdem nahmen zahlreiche Arbeiter und Angestellte ihre Arbeit auf, teilweise geschützt durch die beiden Badener Polizeikorps. Immer wieder kamen auch Streikende aus Zürich nach Baden. Am zweiten Streiktag drangen etwa 40 von ihnen bis auf das Fabrikareal der BBC vor, wo sie allerdings vor den Dragonern flüchten mussten.
Am 13. November kam es bei Ciocarelli & Link zu einem Zwischenfall: Von 20 Arbeitern waren «zwei Drittel angetreten, als im Laufe des Vormittags über 400 Bolschewiki vor der Fabrik erschienen, in dieselbe eindrangen und unter unflätigsten Beschimpfungen und Drohungen die Arbeitenden von ihren Posten verdrängen wollten».
Der 14. November sollte der letzte Streiktag sein. In der Nacht versuchten noch einmal Streikwillige aus Zürich nach Baden zu gelangen. Einige hundert erreichten die Stadt zu Fuss, wo sie sofort inhaftiert wurden. Gleichzeitig wurden die Truppen verstärkt. Die Besatzung bei BBC wurde zusätzlich zu den Maschinengewehren mit Handgranaten ausgerüstet, die Torwachen wurden verstärkt.
Bereits am Vormittag erschien ein Bulletin des «Badener Tagblatts» mit der Ankündigung vom Ende des Landesstreiks. Am 15. November war der Spuk vorbei und die Angestellten in sämtlichen Betrieben der Region Baden nahmen die Arbeit wieder auf. Die Nachwirkungen des Landesstreiks sind bis heute spürbar. Die markanteste war die Einführung der 48-Stunden-Woche 1919, als Zugeständnis an die Arbeitnehmer.