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Peter Siegenthaler importiert das edle Gebräu aus Schottland. Von den Verhandlungen im britischen Unterhaus ist der Aargauer direkt betroffen.
2,8 Milliarden Franken beträgt der Wert der Güter, die 2018 aus Grossbritannien in den Kanton Aargau importiert wurden. Zum grössten Teil sind das laut eidgenössischer Zollverwaltung chemisch-pharmazeutische Produkte, dann folgen Fahrzeuge und Maschinen.
Von allen importierten Produkten macht schottischer Whisky zwar im grossen Ganzen betrachtet nur einen Bruchteil aus, dieser aber bestimmt das Leben des Badeners Peter Siegenthaler, 63. Er vertreibt mit seiner Firma «Cadenhead’s» für die Schweiz das gesamte Sortiment von Schottlands ältestem unabhängigen Abfüller.
Siegenthaler ist Importeur und mit seinem Laden «Cadenhead’s Whisky & more» seit zehn Jahren auch Dienstleister. Dem Importeur raubte das Brexit-Hickhack in den letzten Wochen und Monaten so manches Mal den Schlaf: «Ich sitze hier an der Mittleren Gasse und bin unmittelbar davon betroffen, was im britischen Unterhaus abgeht», sagt er und muss darüber lachen, so surreal erscheint ihm das.
Bereits Ende März sass er auf heissen Kohlen, als der Austritt von Grossbritannien aus der EU zum ersten Mal angekündigt war. Noch viel grösser war der Druck aber die letzten Wochen, als die Möglichkeit eines «harten» Brexits auf Ende Oktober bevorstand. «Es wäre für mich eine Katastrophe gewesen, wenn der Brexit um diese Zeit gekommen wäre. Mein Weihnachtsgeschäft wäre völlig eingebrochen», ist er sich sicher. Das schottische Mutterhaus habe – obwohl die EU bereits Tage zuvor in eine weitere Aufschiebung des Brexits eingewilligt hatte – bis letzten Freitag sämtliche internationalen Aufträge zurückbehalten.
Trotzdem musste Siegenthaler alles so aufgleisen, als ob eine Lieferung kommen würde. «Man kann sich gar nicht vorstellen, welchen Rattenschwanz das alles nach sich zieht», sagt er. Die Importe müsse er immer zwei Monate im Voraus planen. Administration und Organisation von Helfern, die ihm beim Verlad der Ware unter die Arme greifen, hätten dabei noch zu den verschmerzbaren Vorarbeiten gehört, wenn der Brexit Realität geworden wäre.
Viel mehr Sorgen machten ihm die Abnehmer seiner schottischen Whiskys, grössere und kleinere Läden in der ganzen Schweiz, die mit einer zeitigen Lieferung rechnen. Vor allem in der jetzigen Zeit: Es stehen Messen und viele Firmenanlässe bevor, an denen sein Angebot gewünscht ist. Denn: «November und Dezember sind Schnäpslerzeit», sagt er mit einem Augenzwinkern. Für ihn bedeutet diese Zeit zwar regelmässige 6- bis 7-Tage-Wochen, aber vor allem auch ein sehr lukratives Geschäft.
Wäre der «harte» Brexit Realität geworden, hätte es an britischen Häfen ein heilloses Puff von Tausenden von Ladungen an Produkten gegeben, sagt er. «Und den kleinen Siegenthaler mit seinen Whiskys hätte es auch getroffen. Keine Ware, kein Geschäft.» Und dies, obwohl mit der Schweiz bereits ein Handelsabkommen besteht, das auch bei einem Brexit den Import aufrechterhalten hätte. «Die Schweiz war das erste Land, das ein solches Abkommen mit Grossbritannien aufgesetzt hat. Das finde ich sehr bemerkenswert», sagt er.
Er habe die Informationen zu diesem Abkommen auch an das schottische Cadenhead-Mutterhaus weitergeleitet, um die dortigen Verantwortlichen zu beruhigen. Doch das half nichts, es wurden trotzdem keine Aufträge mehr an Transporteure vergeben, die den Whisky übers Meer verschifft hätten. «Die Angst war zu gross, dass auf einmal alle bisherigen Verträge hinfällig geworden wären und das ein Riesenchaos ausgelöst hätte.»
Als Nicht-EU-Importeur sei er sich die extra Zollgebühren gewohnt, aber die Verträge mit Importeuren aus EU-Ländern, die auf einen Schlag hinfällig geworden wären, liessen das Mutterhaus zögern. Zu viel war unklar. «Dort gehen richtige Dramen ab, das kann man sich von hier aus gar nicht vorstellen», sagt Siegenthaler.
Am Freitag letzte Woche gab dann das Mutterhaus endlich grünes Licht für die Wiederaufnahme der Exporte: «Ich bin fast auf die Knie gefallen vor Freude», sagt Siegenthaler. Die nächste Möglichkeit eines Brexits Ende Januar 2020 bereitet ihm etwas weniger Bauchweh: «Dann ist ja auch das Weihnachtsgeschäft vorüber», meint er lachend. Ihm wäre es aber trotzdem am liebsten, der Brexit käme gar nicht. Dieser käme ihm nur in einem Fall entgegen: «Der Aufwand wegen der Zollgebühren würde wegfallen, weil die Schweiz auch nicht in der EU ist.»
Nun hofft er auf die Wahlen im britischen Unterhaus im Dezember und dass es danach eine neue Abstimmung über einen Austritt aus der EU geben wird. Jetzt heisst es für Siegenthaler aber ganz nach schottischer Art erst einmal: «Abwarten und Whisky trinken.»