Startseite
Aargau
Baden
Lena-Andrea Arnet liess sich fast vom Schwingen abhalten. Heute trainiert die Spreitenbacherin zweimal pro Woche.
Lena-Andrea Arnet kommt direkt aus der Schule zum Interviewtermin. «Dieses Edelweisshemd ist von meinem Bruder», sagt sie und blickt auf das traditionelle Schweizerhemd. Mit ihrem jüngsten Bruder teilt die 15-jährige Spreitenbacherin nicht nur das urchige Hemd, sondern auch die Begeisterung für das Schwingen, den Schweizer Nationalsport.
Lenas Bruder hat vor drei Jahren mit Schwingen angefangen. Seine vier Jahre ältere Schwester begleitete ihn immer wieder und sah sich das Treiben während des Trainings und an den Schwingfesten an. Schliesslich probierte sie die Sportart selbst aus. Doch bereits nach wenigen Trainingsstunden hörte sie auf. Nicht zuletzt die Kommentare von Familien und Freunden hielten sie ab, weiterzumachen. «Sie sagten, das ist doch nichts für ein Mädchen», sagt Lena.
So habe sie sich voll dem Reitsport zugewandt. Das Schwingen liess sie trotzdem nicht ganz los. Als dann auch noch ein Freund ihr sagte, sie solle es nochmals probieren, stieg sie Anfang Jahr erneut in die Schwingerhosen. «Es macht mir Spass», sagt sie. Normalerweise trainiert Lena zweimal pro Woche mit den Aargauer Schwingerinnen in Brugg. «Nach dem Training bin ich jeweils zufrieden, aber absolut ausgepowert.»
Die Kommentare, die sie jetzt zu hören bekommt, sind mehrheitlich interessiert und bewundernd. Hin und wieder wird sie für ihr Hobby belächelt. Doch das lässt sie nun kalt: «Diese Leute haben doch keine Ahnung.» Beim Schwingen gehe es nicht nur um Stärke, sondern auch um Kondition und Geschicklichkeit.
Der Eidgenössische Frauenschwingverband (EFSV) kennt das Problem der Stigmatisierung. Momentan sind rund 170 Schwingerinnen im Verband, das ist ein Bruchteil der über 5800 Männer, die als Schwinger registriert sind. «In den letzten Jahren hatten wir aber ein jährliches Wachstum von rund 10 bis 15 Mitgliedern pro Jahr zu verzeichnen», sagt Mediensprecherin Natalie Siffert. Das sei auch dem wachsenden Medien- und Gesellschaftsinteresse am Schwingen zu verdanken.
Das Training verläuft bei Mädchen und Buben ähnlich. Bis sie zwölf Jahre alt sind, seien sie kräftemässig sowieso vergleichbar, sagt Siffert. Danach sei es für die Mädchen und Frauen nicht mehr möglich, mit der Schnellkraft der Buben und Männer mitzuhalten. Das ist mit ein Grund, weshalb auch Schwingfeste geschlechtergetrennt ablaufen. So findet etwa das Eidgenössische Schwingfest dieses Wochenende in Zug ohne Frauen im Sägemehl statt. Zu hoch ist der Aufwand, die verschiedenen Kategorien unterzubringen, und zu tief die Motivation, auf beiden Seiten Kompromisse einzugehen.
In der Freizeit schwingt Arnet immer wieder gegen ihren jüngeren Bruder. Manchmal verliere sie, aber auch er sei schon auf den Schulterblättern gelandet. Um ihre Siegeschancen zu erhöhen, geht sie besonders motiviert ins Training. «Am meisten trainieren wir die Nacken- und Rückenmuskulatur sowie die Handgelenke», sagt Lena. Sie lernt, vom Kopfstand direkt in die Brücke zu gehen und sich danach so abzurollen, dass sie den Boden nicht berührt.
«Ich mag Schwingen viel lieber als Aikido.» Diese japanische Kampfkunst trainierte Lena vor dem Schwingen. Zurück will sie nicht mehr. Um ihre Gegnerinnen regelmässig aufs Kreuz zu legen, muss sie noch einige Trainingsstunden hinter sich bringen. «Meine Kondition ist noch nicht besonders gut», sagt sie.
Die Schwünge und die Benotung der Schwingerinnen sind ähnlich wie bei den Männern. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern liege in der Schnellkraft. «Doch das ist ja bei allen Sportarten der Fall», sagt Siffert. Auch der Modus ist anders: «Die Frauen haben jedes Jahr eine Schwingerkönigin. Sie wird nicht wie bei den Männern an einem Tag bestimmt, sondern mit der addierten Punktzahl, die die Schwingerin während des ganzen Jahres erzielt», sagt Siffert.
Wenn die Schwingerinnen und Schwinger ihre Gegner bodigen, warten Applaus und Preise auf sie. «Wobei diese für die Frauen aufgrund der fehlenden Sponsoren wesentlich kleiner ausfallen als bei den Männern», sagt Siffert. Statt eines Munis, wie bei den Männern, springe da vielleicht mal ein Rind als Belohnung heraus. Doch bereits die Auszeichnung mit einem Zweig und später einem Kranz ist für Jungschwingerinnen wie Lena verlockend. «Ich würde mich sehr freuen, eines Tages einen Kranz zu gewinnen», sagt sie. Diesen würde sie auf alle Fälle in ihrem Zimmer ausstellen.