Eine Immobilienfirma aus dem Kanton Schwyz hat den Gasthof Winkelried gekauft. Während die neuen Besitzer klären, was mit dem Areal in Wettingen geschehen soll, fällt im Innern bald der Vorhang.
Das «Winkelried» an der Wettinger Landstrasse geniesst Kultstatus. Das Lokal verkörpert, was man gemeinhin Beiz oder Spunten nennt. Von aussen wirkt es geschlossen, innen ist die Zeit irgendwie stehengeblieben: Da ist ein grosser Saal mit traditioneller Guckkastenbühne, ein Sääli voller Vitrinen mit alten Pokalen, Zinnbechern und Fahnen, eine Kegelbahn und ein Stübli.
Das Restaurant ist für viele, auch für das längst pensionierte Wirtepaar, ein Stück Heimat. Alleine die Zukunft ist ungewiss. Das «Winkelried»-Areal neben dem Kino Elite wurde von einer Immobilienfirma mit Sitz in Wollerau SZ gekauft, wie die AZ in Erfahrung gebracht hat. Ein Baugesuch liegt noch nicht auf. Die Eigentümerschaft, die nicht namentlich genannt werden will, bestätigt auf Anfrage, dass sie am Abklären sei, wie das Areal in Zukunft überbaut oder genutzt werden soll.
Noch arbeiten und wohnen die vormaligen Besitzer, das Wirtepaar Johanna und Josef Willi, im «Winkelried». Wie lange noch, das wissen sie nicht. «Solange auf dem Areal nichts passiert, machen wir weiter», sagt Johanna Willi. Die Gartenbeiz sei offen.
Auf das nahende Ende der «Winkelried»-Ära ist auch der Theaterverein Winkelritt aufmerksam geworden. Er will den Gasthof mit einem eigens geschriebenen Theaterstück würdigen. Die Bühne: das «Winkelried» selbst. Initiantin Gisela Aeschbach sagt:
«Mit dem absehbaren Abriss verschwindet einmal mehr ein Stück Schweizer Beizenkultur.»
Aeschbach und ihr Mann sind vor zwei Jahren aus dem Zurzibiet nach Wettingen gezogen. Das Theater begleitet sie schon ein Leben lang, nun wollen sie mit dem neu gegründeten Verein auch in Wettingen die Kulturszene beleben. «Wir möchten in allen erdenklichen Wettinger Winkeln Theater spielen, auch in Winkeln, die nicht gleich mit Theater in Verbindung gebracht werden», sagt Gisela Aeschbach.
Spannende, überraschende Orte sollen es sein. Das «Winkelried» sei so ein Ort. Da sind die wunderlichen und tragischen Geschichten der Stammgäste, die abenteuerlichen Schicksale der Saisonniers und natürlich die legendären Veranstaltungen im grossen Saal: wilde Fasnachten, legendäre Rockkonzerte, Modeschauen oder Gold-Lotto-Abende mit Glücksuchenden aus der ganzen Schweiz.
Unzählig sind die Geschichten und Anekdoten, die sich um das legendäre «Winkelried» ranken. «Ich habe das Theaterstück zwar noch nicht gesehen, aber es ist eine besondere Ehre für uns», sagt Johanna Willi. Der Inhalt des Stücks sei frei erfunden, betont Gisela Aeschbach, «aber vieles ist von den Geschichten des ‹Winkelrieds› inspiriert».
Vom 10. September bis 1. Oktober 2021 sind zwölf Aufführungen vorgesehen. Trotz Pandemie will der Verein an seinem Fahrplan festhalten. Die Zusicherung, dass das altehrwürdige Gebäude dann noch steht, habe man erhalten.
Der Verein Winkelritt versteht sich als modernes Volkstheater. Das Publikum wird sich in Gruppen auf eine Abenteuerreise begeben durch die verschiedenen Räume des Gasthofs. Gespielt wird im grossen Saal und im Nebensääli, in der Wirtsstube, in der Gartenbeiz und auf der Kegelbahn.
Um ein hohes künstlerisches Niveau zu erreichen, liegen Leitung, Kostüme, Bühnenbild und Musik in den Händen von Profis. Jens Nielsen ist der Autor, Martha Zürcher führt Regie. Alle Mitwirkenden auf der Bühne sind Laien aus Wettingen und Umgebung. «Wir sind in kleinen Gruppen am Proben, aber vieles ist noch am Entstehen», sagt Gisela Aeschbach. Noch bleiben wenige Monate, dann fällt im «Winkelried» der Vorhang - zumindest auf der Bühne.