Die Jubiläumsausstellung «un-heilig» im Museum Eduard Spörri hinterfragt kritisch und humorvoll die menschliche Vorstellung von «Heiligkeit».
Mitten im Eingangsbereich des Wettinger Museums steht ein Einhorn. Eigentlich ist es ein ausgestopfter Schimmel mit anmontiertem Antilopenhorn aus der Sammlung von Tierpräparator Walter Benz, der in einer Gewerbeliegenschaft in Würenlos einen ganzen Zoo für museale und wissenschaftliche Zwecke beherbergt.
«Das Einhorn war im mittelalterlichen Marienkult das Symbol von Treue und Keuschheit», erklärt Kurator Marc Philip Seidel. Einhornpulver und -tränen galten aber auch als magische Zaubermittel. Die Verkaufsversprechen werden bis heute weitertradiert. Es gibt Unicorn-Tears-Gin und sogar vegane Einhorn-Kondome.
Wo liegt der Unterschied zwischen Sakralem und Profanem? Und wer entscheidet, was heilig oder unheilig ist? In welchen Bereich gehören magische Kulte und Rituale? Ist jemand auch gläubig, wenn er an nichts glaubt? Ist der Kosmos eine göttliche Schöpfung oder ein zufälliges naturwissenschaftliches Ereignis?
Diesen lebensphilosophischen Themen widmet sich die neue Ausstellung im Museum Eduard Spörri bis zum 20. November 2022. Sie findet im Rahmen des 15-Jahr-Jubiläums der Stiftung Eduard Spörri statt. Auf zwei Etagen stehen klassische Heiligenfiguren, Grabmalskizzen und -studien, Kruzifixe und Madonnen-Figuren der Bildhauer Eduard Spörri, Walter Huser und Erwin Rehmann frischen, jungen und teilweise provokanten Arbeiten zeitgenössischer Kunstschaffender gegenüber.
Zum Beispiel den biomorphen Gebilden von Micha Aregger, der die Logik der Natur streng mathematisch weiterentwickelt. Unter seinen Händen entstehen dadurch riesige blumenkohl- und himbeerartige wulstige Gebilde, die einem Science-Fiction-Film entsprungen zu sein scheinen und doch naturalistisch wirken.
Zur Erklärung der verschiedenen Exponate gibt es an den Wänden kurze Texte, die Zusammenhänge der Werke von damals und heute und die verschiedenen Aspekte des Ausstellungsthemas «un-heilig» aufgreifen.
Fotograf Livio Piatti zeigt auf verschiedenen Fotos eine Vielzahl von Heiligenfiguren, wie sie in jedem Touristenshop nahe sakraler Pilgerstätten erworben werden können. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass auf jedem Bild eine Figur aus der Reihe tanzt. Was hat beispielsweise die Hulatänzerin neben der Christusfigur zu suchen? Hier stellen sich für den Betrachter weitere Fragen: Sind Devotionalien aus Kunststoff, die bei einer Andacht genutzt werden, auch heilig?
An einer Wand hängt eine goldene Rettungsfolie. Künstlerin Kathrin Severin hat darauf die Menschenrechtscharta auf Englisch und Arabisch niedergeschrieben. Damit will sie die aktuelle Flüchtlingsthematik ins Spiel bringen. Was ist ein Menschleben wert? Ist es heilig? Oder wird es mit Füssen getreten? Ihr Kunstwerk steht zum Verkauf. Den Erlös spendet sie auf das Konto von «Save the Children».
Absolute Eyecatcher sind die Collagen von Beat Breitenstein. Sie bestehen aus vergoldeten, übereinandergeschichteten Eichenblättern und sind von bestechender Schönheit. «In allen Kulturen und Religionen sind Bäume wichtige Bedeutungsträger profaner wie auch sakrales Symbolik», bekundet Seidel.
«Die Gestalt des Baumes von der Wurzel bis zur Blätterkrone macht ihn zu einem universalen Sinnbild für das Leben.» Die Eiche im Speziellen gilt in der deutschen Mythologie auch als «Elfentür» zu einer anderen Welt.
Zwei Engelsflügelpaare sind so an der Wand montiert, dass Besucherinnen und Besucher davor ein Selfie machen können. Jeder kann sich selber entscheiden, ob er sich vor die schwarzen Federgebilde stellt, die als Symbolik für das Dämonische gelten; oder vor die weissen, die an den heiligen Geist, Unschuld und Reinheit erinnern.
Die zahlreichen Besucherinnen und Besucher der Vernissage zeigten sich von der Ausstellung tief berührt. Sie stand diesmal allerdings unter besonderen Herausforderungen. Kurz zuvor kam es im Museum Eduard Spörri durch ein Heizungsleck zu einem enormen Wasserschaden.
«Wenige Tage vor der Eröffnung waren noch die Plattenleger und die Maler da. 10 Minuten bevor das Publikum kam, haben wir den letzten Nagel eingeschlagen», erzählt Stiftungspräsident René Bosshard.
Seidel findet zum Schluss: «Das reichhaltige Themenfeld rund um die Heiligkeit könnte aktueller nicht sein bei der Fülle von irritierenden Ereignissen im Weltgeschehen.» Für den Kurator sollen Kunst und Religion immer wieder durch neue Formen und Impulse konstruktiv-kritisch beleuchtet werden. «Sonst wirkt das Ganze starr und tot.»
Jubiläumsausstellung «un-heilig» im Museum Eduard Spörri, Bifangstrasse 17a in Wettingen: Bis 20. November 2022, Öffnungszeiten: Sa. und So., 14 bis 17 Uhr.