Zum traditionellen Kerzenziehen zugunsten behinderter Menschen gehört auch eine gut frequentierte Cafeteria - und gute Laune.
Die Nase im Glas, fehlen einem oft die richtigen Worte, um den Duft des darin befindlichen Weins zu beschreiben. Und wie stehts mit heissem Glühwein und heissem Bienenwachs? Riecht beides süss oder eher herb? Geheimnisvoll? Verführerisch? Im «Chalet» auf dem Badener Bahnhofplatz ist einem zweifellos wohlig zumute. Aber kann etwas «wohlig» riechen?
Warum nicht? Und überhaupt – es ist nicht der Duft allein, der die Atmosphäre beim traditionellen Kerzenziehen zugunsten von Menschen mit einer Behinderung prägt.
Wenns draussen so richtig hudelt, gelandete Schneeflocken sich blitzartig in grauen Matsch verwandeln, Finger klamm, Wangen rot und Lippen blau sind, dann locken Düfte und Wärme hinein zu literweise flüssigem Bienenwachs, verschieden dicken Dochten und in die Kaffeestube.
Servieren als Leidenschaft
Die Bedeutung der Letzteren ist nicht zu unterschätzen. Denn was eine rechte Kerze werden soll, erfordert Geduld und viel Zeit. Eintauchen, rausziehen, abkühlen und das Ganze von vorne – immer und immer wieder. Gut Ding will Weile haben.
Für eine schöne Bienenwachskerze bedeutet das drei, vier Stunden. Da hilft keine Hexerei und selbst ein Versuch mit Goethes Zauberspruch ist vergebliche Liebesmüh.
Bei so viel Zeitaufwand melden sich nicht selten Hunger und Durst und so lädt denn ein Teil vom «Chalet» zur Erholung bei Speis und Trank. Hier wirkt seit eh und je eine bunt zusammengewürfelte Schar von Frauen als Hobby-Beizerinnen.
Weil es einerseits höchstens alle fünf Jahre eine Badenfahrt und damit auch ein «Bistro de la Presse» gibt, ich mich andererseits mega gerne als Serviertochter – Pardon – Servicemitarbeiterin betätige, war der Entschluss rasch gefasst.
Und, schwupp, schon war ich mittendrin im «Bistro des bougies». So heisst die Kaffeestube zwar nicht, aber es tönt doch nett. Und nett ist es auch, dort zu arbeiten, vor allem, weil die Gäste sehr nett sind. Und Gott sei Dank nicht über Gebühr anspruchsvoll.
Fragen über Fragen
Denn die Tätigkeit in der Kaffeestube hat sich rasch als multifunktional herausgestellt: Servieren und Kassieren ist nur eine kleine Aufgabe, zu der sich Abwaschen gesellt – industriell, was schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig ist.
Dazwischen Mineralwasser einschenken, Glühwein erhitzen, Parisettes, Wienerli und Ketchup (wahlweise Senf oder Mayonnaise) in Hotdogs verwandeln, selbst gemachte Kuchen in den ihnen gebührenden höchsten Tönen anpreisen. Parallel zu zwei Kafi Crème und einer heisse Ovo «bitte nicht allzu heiss» wird ein «Kafi Luz» bestellt.
Uuiii – mein erster «Luz» sieht schampar dünn aus. «Nein, der ist so genau richtig», tröstet der Gast, «man muss durch ihn hindurch die Zeitung lesen können.» Ein Stein fällt von meinem Hobby-Beizerinnen-Herz.
Die Kanne mit Sirup ist leer und zwei Binggisse haben Riesendurst. Wie lange muss ein Schinken-Käse-Toast bräunen? Wie viel Orangenpunsch kommt ins Glas, bevor es mit heissem Wasser aufgefüllt wird? Wo ist der Servietten-Nachschub? Fragen über Fragen, auf die sich – früher oder später – eine Antwort findet.
Hier, beim Kerzenziehen, auf dieser Insel der Ruhe in der Hektik des Alltags, haben alle Zeit. Und auch wenns in «Küche» und «Office» der Cafeteria bisweilen ein bisschen chaotisch zu geht, so macht es doch mega Spass.