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Glühwein, Punsch, dazu der Samichlaus und Schmutzli und für die Kinder gratis Eselreiten: Dies soll am Wochenende vom 3. und 4. Dezember Besucher aus Mellingen und der ganzen Region in die schweizweit bekannte Wohnsiedlung Neugrüen locken.
Dann findet in der Siedlung, die es nicht aus den Negativschlagzeilen schaffen will, «zum ersten Mal überhaupt» das «Winterfäscht» statt, wie es in der Medienmitteilung der PR Agentur PRfact AG heisst.
Von der Immobilienbewirtschafterin Wincasa, die das «Neugrüen» betreut, ist allerdings zu erfahren, dies sei bereits das zweite Winterfest, zudem habe man im Frühjahr auch ein Frühlingsfest veranstaltet. Das «Winterfäscht» solle den Einwohnern von Mellingen die Überbauung Neugrüen in einem ungezwungenen, festlichen Rahmen näher bringen, so die Wincasa.
Doch auch interessierte Wohnungssuchende werden auf homegate.ch auf das «Winterfäscht» hingewiesen. Die Besucher seien auch eingeladen, Wohnungen zu besichtigen. Ob das Fest das negative Image der Siedlung aufzupolieren vermag, wird sich zeigen. Fakt ist: Laut Einwohnerkontrolle Mellingen steht in der Siedlung aktuell ein Drittel der 198 Wohneinheiten leer.
Nicht nur das: Seit Sommer hat Mellingen mit 327 leeren Wohneinheiten den höchsten Aargauer Leerwohnungsbestand und sogar schweizweit hält das 5400-Seelen-Dorf beinahe den Rekord. Der «Blick» titelte am Wochenende: «Hier platzt die Immobilienblase.» 13 Prozent der Mellinger Wohneinheiten standen im Sommer leer. Schweizweit sind es 1,3 Prozent.
Herhalten musste als Negativbeispiel auch im «Blick» einmal mehr das «Neugrüen». Die Gründe sind längst erkannt. Den Mietern sind die Preise trotz des hohen Ausbaustandards zu hoch. Kommt hinzu, dass die Auswahl auf dem Wohnungsmarkt derzeit gross ist. Deshalb glaubt der Mellinger Gemeindeammann Bruno Gretener (FDP) nicht so recht daran, dass nun das «Winterfäscht» mehr Mieter bringt. «Aber dem Image der Siedlung wird es sicher ein Stück weit helfen», sagt Gretener.
Und wie steht es um das Mellinger Image? «Wir haben kein Problem mit leeren Wohnungen», sagt Gretener – auch wenn die Zahlen im Sommer sicherlich hoch gewesen seien. Laut aktuellem Stand der Einwohnerkontrolle stehen 260 Wohnungen leer. «Zieht man jene vom ‹Neugrüen› ab, sind es noch 193», sagt er.
Auch wenn sich die Situation seit Sommer leicht entschärft hat und man das «Neugrüen» aussen vor lässt: 193 leere Wohnungen sind im Kantonsvergleich immer noch sehr viele. So zählten im Sommer lediglich Rheinfelden (300), Oftringen (281) und Buchs (285) deutlich mehr leere Wohnungen. Gränichen mit 197 und Neuenhof mit 193 lagen praktisch gleichauf. Gretener relativiert, man müsse auch sehen, dass in Mellingen in den letzten vier Jahren rund 400 neue Wohnungen allein in den grösseren Überbauungen entstanden seien.
Impressionen aus der Neugrüen-Überbauung in Mellingen und wie es sich die Investoren vorstellten:
Die Mellinger Bevölkerung ist von 4765 Einwohnern im Jahr 2012 auf aktuell rund 5400 gewachsen. Das sei ein enormer Zuwachs, hält Gretener fest. Neue Überbauungen wie etwa das Giardino mit 90 Wohnungen seien gut ausgelastet. «Im Giardino stehen derzeit nur 6 Wohnungen leer.» Er weisst darauf hin, dass die Leerwohnungszahlen immer mit Vorsicht zu geniessen seien. «Sie werden nur an einem Stichtag ermittelt, können aber stark schwanken.»
Ungeachtet dessen kämpfen die Gemeinde und die Immobilienanlagegruppe CSA Real Estate Switzerland als Eigentümerin mit einem ziemlich leeren «Neugrüen», das nun schon seit drei Jahren fertiggestellt ist. «Die Siedlung hatte vor allem bei den Mellingern von Anfang an einen schweren Stand», sagt Gretener.
Schnell hatte die Bevölkerung ihre Übernamen für die Siedlung gefunden: Kartonsiedlung, Kasernenbau, Hasenställe, Gefangenenlager oder Neugrau. Die Namen sind selbsterklärend. Doch Bewohner betonten gegenüber dem «Badener Tagblatt», wie grossartig es sei, dass Kinder draussen viel Platz zum Spielen haben, dass Haustiere erlaubt seien und einige schätzen, was andere kritisieren: Wenig Platz bedeute eben auch weniger zum Putzen.
Auch der Gemeindeammann bestätigt: «Von Neuzuzügern höre ich viel Positives.» Lässig und wohnlich sei es dort. Doch letztlich entscheiden sich viele Wohnungssuchende für eine günstigere Bleibe. Und so greift die Wincasa wie andere Immobilienanbieter zum bewährten Geschenke-Trick: Für Neumieter gibt es Migros-Gutscheine, mietfreie Monate und andere Antrittsgeschenke.
Sie seien bei Mietern sehr beliebt, teilt die Wincasa mit. Allerdings: Bis sich die Leere im «Neugrüen» gänzlich mit Leben füllt, wird es wohl – wie bei der Umfahrung Mellingen – sehr viel Geduld brauchen.