Analyse von BT-Autor Roman Huber zur Badenfahrt 2017.
Entgegen allen Kritiken und Kritikern sowohl im Vorfeld als auch während des Festes: Die Badenfahrt 2017 war riesig, stimmungsvoll, bombastisch und aus kultureller wie zwischenmenschlicher Perspektive bestens gelungen. Ja, auch ich habe mich ereifert, wenn ich fürs Essen mehr als 20 Minuten anstehen musste, obschon es freie Plätze hatte – doch dann huschten ein Dutzend Gäste vorbei, die eben reserviert hatten. Ja, und fast überall dieser Lärm, oft in Form eines undefinierbaren Soundbreis, dieses Gedränge, mancherorts der penetrante Geruch von Urin, die Vielzahl an Betrunkenen.
Doch Hand aufs Herz: Bleiben tun doch die schönen Stunden und Erinnerungen! Kein Mensch weint mehr den Plaketten nach und lamentiert über die Gummi-Bändeli, aus denen wegen des Ansturms gar Papier-Bändeli wurden. Wer über den Gigantismus der Raketenbeiz «universALL» wetterte, war in diesen 10 Tagen mindestens einmal dort oben und frohlockte beim Blick auf Badenfahrt-Baden hinunter. Ja: Warum muss ein so tolles, einmaliges 10-tägiges Fest immer wieder schlechtgeredet werden, wo doch das Positive, die Superlative dominieren?
Über eine Million Besucherinnen und Besucher dürfte es in diesen 10 Tagen nach Baden gezogen haben, weil eben eine Badenfahrt ihre besondere Anziehungskraft hat, ein sogenannter Brand ist. Es ist diese Faszination eines Volksfestes, das sich durch eine geballte Ladung an Kreativität und Innovation, durch eine ungeahnte Energie und den speziellen Geist, ebendiesen Badener Geist auszeichnet. Es ist nichts Elitäres, Abgehobenes, Extravagantes, denn die Hunderten von Festarbeiterinnen und -arbeitern sind Menschen wie «du und ich», alt und jung, Schweizer und Ausländer, ja sogar Asylsuchende, Arbeiter und Banker, Arme und Reiche, Sozi und SVPler. Es ist eine ganze Region mit vielen engagierten Menschen, die sich in einer unnachahmlichen Hingabe alle zehn respektive fünf Jahre dieser Mutter aller Feste erneut verschrieben haben.
Die schönsten Augenblicke der Badenfahrt:
Allein der Gang durch die neu geschaffene Stadtlandschaft – als wäre Baden ein zweites Mal erbaut worden – am Tag und vor allem des Nachts war etwas, was hierzulande sonst nirgends in dieser Form erlebbar ist. Nebst den Festbeizen, die von der Jury in die vorderen Ränge gehievt wurden, hatte es noch viele andere, die hinsichtlich Konstruktion, Dekoration, Ausstattung oder Kulinarik oder kulturelle Unterhaltung schlicht bewundernswert waren, weil sie eben mit viel Liebe und Enthusiasmus gebaut wurden.
Das kulturelle Angebot hat an der Badenfahrt seit je eine grosse Bedeutung. Viele Festbeizen haben Dutzende von Acts auf ihren eigenen Bühnen stattfinden lassen – vom Konzert über DJs bis zu Theater, Tanz, Slam-Poetry, Zauberei oder Akrobatik und mehr, vom Volkstümlichen über den Mainstream bis zum intellektuellen Inhalt. Diese ungeheure Vielfalt hatte nicht zuletzt ein Komitee ermöglicht, das mit Eliane Zgraggen als Festgestalterin dem unvergesslichen Marco Squarise folgen liess. Sie hat als Nicht-Badenerin mit ausserordentlichem Feingespür für das ästhetisch und künstlerisch Machbare gesorgt. Mit Volksnähe und ohne jegliche Abgehobenheit hat dadurch diese Badenfahrt einen Rahmen erhalten, der all das Erlebte darin in dieser Fülle erst ermöglicht hatte.
Badenfahrt – eine kulinarische Weltreise:
Zgraggen hat diesem Fest den gestalterischen Stempel aufgedrückt. Beginnen wir bei dem – zu Beginn – infrage gestellten Motto «Versus». Dann die Illumination des Stadtturms, die schlicht hinreissend war und zu Recht von Ukurbu mit dem Preis für das Künstlerische geehrt wurde. Auch Maja Hürsts Badenfahrt-Sujet, ihre bemalte Tannegg-Fassade, oder Roman Sondereggers Installationen in der Badstrasse, die sympathischer wurden, je länger das Fest dauerte, viele weitere Installationen, so auch die Leuchtbuchstaben unter der Hochbrücke.
Grandios auch, was an Unterhaltung auf die grossen Bühnen des Komitees gezaubert wurde: von Pop und Rock, wenn auch darunter Mainstream, auf der Grabenbühne, garniert mit bekanntesten Namen von Lovebugs bis Beatrice Egli, dann von Klassik bis Heavy Metal auf der alternativen Bühne beim Tränebrünneli, dem eindrücklichen Festspiel mit der herrlichen Kulisse des Kurparks, der Wettinger Beitrag auf der Schrottbodenalp im Stohlergut. Es würde zu weit führen, wollte man alle weiteren Darbietungen auch noch erwähnen.
Abgesehen von all diesen Höhepunkten gilt es in erster Linie diejenigen zu erwähnen, die diese Badenfahrt getragen und ermöglicht haben, die eine Million Menschen hineintauchen liessen, sodass sie diese 10 Tage geniessen konnten, weder zu dürsten noch zu hungern noch sich zu langweilen brauchten: ein ehrenamtlich agierendes Komitee, zusammengesetzt aus vielen initiativen Fachkräften, die einen in vielen Bereichen sehr schwierigen Job vielleicht nicht fehlerfrei, aber dennoch hervorragend machten. Die Tausenden von Helferinnen und Helfern, die vom Nagel-Einschlagen bis zum Bier-Ausschenken in irgendeiner Weise ihren Dienst leisteten, Samariter, Sanitäter, Polizei, Bus- und Postauto-Chauffeure, die Arbeiter vom Bauamt, die morgens aufräumten, die Crew der Brauerei Müller und aller Zulieferer, die täglich den Nachschub bereitstellten, und all jene, die jetzt nicht erwähnt worden sind. Ihnen gehört hier ein kräftiges Dankeschön.
Auch Aufräumen muss sein:
Es ist vorbei, fertig, aus. Eine wiederum einzigartige Badenfahrt gehört der Geschichte an. Der Abschied in dieser Nacht ist uns zwar unsagbar schwergefallen, obschon wir uns vielleicht doch ein wenig nach der Rückkehr der Normalität sehnten. Klar, es ist immer ein Haar zu finden in der Suppe, doch sparen wir die kritische Debatte für die Fazit-Sitzung auf, für die Konsequenzen, die im Hinblick auf das nächste grosse Fest gezogen werden sollen. Wenn nicht zu hundert Prozent alles, so hat doch das allermeiste gestimmt: Das Wetter, die Stimmung, für die meisten Festbeizer die Umsätze, es gab keine schweren Zwischenfälle.
Eine ganze Region und ihre Bevölkerung haben gezeigt, welch grossartige Badenfahrt sie auf die Beine gestellt und gefeiert haben. Wir werden noch lange in den Erinnerungen schwelgen, darum lassen wir uns im jetzigen Augenblick die Freude danach nicht vermiesen. Und vielleicht sind wir imstande, etwas davon in den Alltag hinüberzunehmen. Dinge, die wir in unserer Gesellschaft je länger, je mehr verlernen: Herzlichkeit, Humor, Fröhlichkeit, Gelassenheit, Empathie, Respekt, Verantwortung etc. – gehen wir hin und leben diese Qualitäten, die das Leben ausmachen, doch ein bisschen weiter.