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Trotz versteckter Lage in der Neuenhofer Webermühle lockt das «Casa Colonial» Publikum aus der gesamten Region an. Stefan Bütikofer ist nun mit dem 2. Platz des Best-of-Swiss-Gastro-Award belohnt worden.
Stefan Bütikofer zündet sich eine Zigarre an, als er sich in den schwarzen Sessel seiner Neuenhofer Lounge Casa Colonial setzt. Die Zigarre glimmt während unseres ganzen Gesprächs, ab und an zieht er daran und verschwindet im Rauch. Avo Classic, «eine leichte Nachmittagszigarre», sagt er.
Eigentlich rauche er nicht am Nachmittag, er versuche, seinen Konsum gering zu halten. «Wobei ich nicht viel davon halte, Zigarren der Gesundheit wegen zu verteufeln. Genussvolle Auszeiten, wie sie bei uns zelebriert werden, sehe ich als förderlich für das seelische Wohlbefinden.» Er zählt bekannte Zigarrenraucher auf, die uralt wurden. Auch der 50-Jährige strebt mindestens die 90 an.
Es ist ein angenehmer Rauch, der in der Luft liegt. Nicht zu vergleichen mit dem Gestank kalter Zigaretten, den Bütikofer aus seinem anderen Lokal, der Raucherbar Rossini in Baden, gewöhnt ist. Diese ist aktuell ein Sorgenkind: Der Versuch, sich als Nichtraucherkneipe neu auszurichten, scheiterte im Sommer.
Und weil die Szenebeiz vom Nachtschwärmerpublikum lebt, geht aufgrund der Coronasperrstunde derzeit die Hälfte des Umsatzes drauf. Umso besser läuft es in Neuenhof: Für den heutigen Abend sei die Lounge bereits ausgebucht. Es ist Donnerstag. Auf dem Tresen steht neben einem Globus ein markantes Schweizer Kreuz aus Holz, der Best-of-Swiss-Gastro-Award:
Beim renommierten Wettbewerb erreichte das «Casa Colonial» den zweiten Platz in der Kategorie «Bar & Lounge».
Ein hartes Stück Arbeit, in Anbetracht der Startvoraussetzungen: Die Raucherlounge liegt in der Webermühle, einer Plattenbausiedlung zwischen Baden und Neuenhof. Selbst wenn es Laufkundschaft gäbe, die in einer Wohnsiedlung äusserst selten ist, würde sie das «Casa Colonial» gar nicht finden: Die Lounge befindet sich im Obergeschoss des thailändischen Restaurants Old Siam − und ist von aussen so unscheinbar, dass man sie darin gar nicht vermuten würde.
Bütikofers Vorgänger war in Konkurs gegangen. «Das Publikum hierherzubringen, war extrem schwierig, vor allem in den ersten beiden Jahren. In Baden wurde ich belächelt, als ich hier eröffnet habe. Der Badener ist halt eher Fussgänger und Neuenhof ist für ihn weit weg», erzählt er. Dabei sei die Anbindung an Bus und Bahn gut: Ein Bus hält quasi vor der Haustür und nach einem kleinen Spaziergang über die Limmat ist man in zehn Minuten am Bahnhof Wettingen.
Vor der Übernahme durch Bütikofer fand sich in den Räumlichkeiten eine sogenannte «Avo Lounge». Der Name geht zurück auf den Jazzpianisten und Zigarrenunternehmer Avo Uvezian:
Der Armenier wuchs im Libanon auf und spielte seine Musik auch am Hof des persischen Schahs. Später siedelte er in die USA um und liess sich auf Puerto Rico in der Karibik nieder. «Er verschenkte bei seinen Auftritten immer Zigarren. Irgendwann schlug ihm seine Frau auf die Finger und sagte, er soll sie lieber verkaufen», sagt Bütikofer.
So habe Avo Uvezian in den 80ern seinen Namen vermarktet. Schon bald vertrieb der Zigarrenzar Zino Davidoff seine Produkte. Die Marke wurde schnell zum Selbstläufer, vor allem in der Schweiz: In Basel entstand die AVO Session, die im Zuge des Rauchverbots in Baloise Session umbenannt wurde. Im Aargau gründete Otto Fischer, dessen Trauzeuge Uvezian war, mehrere «Avo Lounges» − unter anderem eben in Neuenhof. «Und», sagt Bütikofer noch, «Avo wurde 92 und hat acht Zigarren am Tag geraucht.»
Bei der Neukonzeption orientierte sich Bütikofer an dem Thairestaurant im Untergeschoss, das sich selbst als «Colonial Style» betitelt. Also richtete auch der «Rossini»-Wirt die Lounge im Stil eines Kolonialwarenladens ein und taufte sein zweites Standbein Casa Colonial. «Manche Leute kritisieren dieses Label. Die Kolonialzeit gehört aber, so schlimm sie war, auch zur Menschheitsgeschichte. Man muss akzeptieren, dass es den Tabakkonsum in Europa ohne die Kolonialisierung nicht gegeben hätte», findet Bütikofer. Er kennt die Geschichte der Schweizer Zigarrenindustrie sehr gut, erzählt er doch regelmässig bei den hauseigenen Zigarrenseminaren davon.
Diese Art von Events sind Bütikofers Strategie, um sich mit der Zigarrenlounge einen Namen zu machen und die Leute in die Webermühle zu locken. Tastings, bei denen Zigarren mit passendem Rum, Whiskey und Musik kombiniert werden. Seminare, um den Weg der Zigarre «From-Crop-to-Shop» nachvollziehen zu können. Und sogar Reisen in die Dominikanische Republik zum Tabak-Erntefest «Procigar Festival» mitsamt Plantagen- und Fabrikbesichtigungen.
Diesen Ideenreichtum hat sich Stefan Bütikofer beibehalten, auch um Corona beizukommen. Gemeinsam mit seinem Getränkelieferanten baut er derzeit ein Onlineangebot auf: Whiskey mit der passenden Zigarre nach Hause geliefert. Und im «Rossini» will er Take-away-Cocktails anbieten. Er sagt:
Irgendwie muss man ja mit der Situation umgehen und versuchen, positiv zu bleiben.
Dann zündet er seine Zigarre neu an, sie ist ausgegangen. «Tja, das passiert, wenn man der Zigarre zu wenig Aufmerksamkeit schenkt und zu viel redet.»
Hinweis: Das «Casa Colonial» feiert am kommenden Freitag, 4. Dezember, ab 17 Uhr sein 9-Jahr-Jubiläum.