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Was unternimmt man im Kantonsspital Baden (KSB) alles, damit Patienten das Krankenhaus nicht mit unliebsamen Souvenirs im Bauch verlassen? Das «Badener Tagblatt» hat den Ärzten vom KSB bei einer Operation über die Schulter geschaut.
Manch ein Leser dürfte bei der Kolumne von Daniel Cortellini vor knapp einem Monat leer geschluckt haben. In dieser beschrieb er, wie er seinen Freund A. im Kantonsspital Baden (KSB) besucht habe. Etwas Blutverlust im Dünndarm hätten die Ärzte mit einer kleinen Kamera abklären müssen.
«Doch leider ist diese im Dünndarm meines Freundes vergessen worden, quasi liegen geblieben. Und weil so ein Ding ja ganz ordentlich Geld kostet, wollten die Spitalmenschen nun eben ihre Kamera zurück. Weshalb sie zwei Wochen lang allerlei Mittel an ihm ausprobiert hätten», schrieb Cortellini in seiner Kolumne.
Unweigerlich kommen einem bei dieser Lektüre Horrormärchen von Wattebäuschen, Kompressen oder gar Operationsbesteck in den Sinn, die im Köper der operierten Patienten vergessen gegangen wurden. Nun, besagte Kamera ging nicht etwa vergessen, vielmehr handelt es sich um eine Kapsel, die den Körper von alleine wieder verlässt (siehe nachfolgende Textbox). Doch wie gross ist das Risiko bei einer Operation, dass der Patient das Spital mit unliebsamen Utensilien im Körper verlässt?
Seit 2002 kommen im Kantonsspital Baden (KSB) Kamerakapseln zum Einsatz. «Wir waren in der Schweiz eines der ersten Spitäler, die diese Technik einführten», sagt Franz Eigenmann, leitender Arzt Gastroenterologie am KSB. Die Kapsel mit einer Länge von zwei Zentimetern und einem Durchmesser von einem Zentimeter habe vor allem im Bereich der Dünndarm-Untersuchungen neue Möglichkeiten eröffnet. «Nachdem der Patient die Kapsel geschluckt hat, übermittelt diese alle vier Sekunden ein Foto», erklärt Eigenmann. Pro Jahr käme die Kapsel im KSB rund 50-mal zum Einsatz. Kostenpunkt: rund 900 Franken für die Kapsel plus 300 Franken für die Untersuchung. «Und vergessen kann man die Kapsel auch nicht. Diese wird nämlich am Schluss mit dem Stuhlgang wieder ganz natürlich ausgeschieden», so Franz Eigenmann. (mru)
Laut Auskunft des KSB sei das nahezu ausgeschlossen und es habe in den letzten Jahren auch keine solchen Fälle gegeben. Dies nicht zuletzt dank strenger Sicherheitsvorkehrungen und Checklisten vor, während und nach der Operation. Tatsächlich? Das «Badener Tagblatt» durfte sich selber ein Bild davon machen und einer Operation im KSB beiwohnen.
8.06 Uhr: Antonio Nocito, Chefarzt der Chirurgie, betritt den Operationssaal Nummer 5. Sein Gesicht erkennt man wegen der Haube und des Mundschutzes kaum. Alles ist bereit für die Operation. Auf dem Operationstisch liegt ein Mann. Er schläft, sein Atem ist ruhig. Überall Kabel und Monitore. Die Stille im Raum wird einzig vom regelmässigen Pulssignal durchdrungen.
Der Bauch des Patienten ist entblösst, mit einem Filzstift sind Markierungen angebracht worden. Eine Operation zweier Brüche in der Bauchdecke steht an. Das bedeutet, dass sich in der Bauchdecke ein Loch gebildet hat und Gewebe durch dieses durchgedrungen ist. «Wir werden erst das Gewebe im Bruch entfernen und dann inwendig das Loch mit einem Netz schliessen», erklärt Nocito.
Das Ganze werde eine knappe Stunde dauern. «Eigentlich ein Routineeingriff.» Doch es könne immer Unvorhergesehenes eintreten. «Wie viele andere Patienten auch, nimmt auch dieser Patient Blutverdünner zu sich, weshalb das Blutungsrisiko erhöht ist.»
8.13 Uhr: Es geht los: Neben den beiden operierenden Ärzten sind noch weitere drei Assistenten im Saal. Es geht zu und her wie beim Morgenappell in der RS. Jede Person stellt sich vor, dann werden die Identität sowie Diagnose und geplante Operation des Patienten mehrfach verifiziert. Nocito macht ein erstes Loch in das Bauchgefäss und füllt dieses mit Luft.
Anschliessend wird eine zweite Öffnung geschnitten. Die ganze Operation wird durch diese beiden kleinen Öffnungen erfolgen. Durch die eine wird die Kamera eingefügt, durch die andere die Instrumente. Das Ganze wirkt völlig surreal – zumindest für den Journalisten, der zum ersten mal bei einer Operation dabei ist (und wenig später auch auf einem Hocker Platz nehmen muss, ehe er umzukippen droht).
Hier der grosse Monitor, auf dem die Innenansicht der Bauchhöhle zu sehen ist. Da der Patient, der dank Vollnarkose friedlich schläft, obwohl zwei dünne Rohre seinen Bauch durchbohren und er eigentlich quallvolle Schmerzen ertragen müsste. Mit einem Gerät, das aussieht wie eine überlange Beisszange, wird das Gewebe abgetrennt. «Um übermässige Blutungen zu vermeiden, wird die Stelle beim Abtrennen gleich versiegelt», sagt Nocito, der die Operation mit sicherer Hand durchführt.
Rund 20 Gramm Material werden entfernt. Doch wie kommt dieses aus dem Körper? Natürlich auch durch das Rohr. Eine dünne Stange wird durch dieses eingeführt. Einmal drinnen, öffnet sich ein Metallring, an dem ein Plastikbeutel befestigt ist. Mit diesem wird das abgetrennte Gewebe aufgesammelt, ehe es durch das Rohr aus dem Körper gelangt. Dann folgt die spektakulärste Phase der Operation.
Wieder durch das Rohr wird ein feines Netz in die Bauchhöhle befördert und drinnen aufgefaltet. Doch wie gelangt dieses an die Innenwand? Ganz einfach. Schnell ein kleines Loch in den Bauch, Faden einführen, drinnen das Netz befestigen und durch das Loch an die Bauchdecke ziehen.
Danach wird das Netz mit rund 20 Agraffen regelrecht an die Bauchwand getackert. «Das Netz – bestehend aus einem Spezialkunststoff – wird mit der Zeit mit der Bauchwand zusammenwachsen», sagt Nocito. «Die Agraffen spürt der Patient am Anfang eventuell ein wenig. Doch diese lösen sich mit der Zeit auf.»
Die Operation ist reibungslos zu Ende gegangen. Bevor die Ärzte die drei Öffnungen wieder zunähen, gehen sie zusammen mit den Assistenten mit einer Checkliste sicher, dass auch ja nichts im Bauch des Patienten vergessen gegangen ist.
Jedes einzelne Utensil wird vor, während und nach der Operation protokolliert und gezählt. «Es wird nicht zugenäht, solange etwas fehlt. Gerade bei grösseren Operationen ist es auch schon vorgekommen, dass sich zum Beispiel ein Wattebausch unter einem Laken verirrt hat», so Nocito.
Er selber arbeite nun schon seit über 15 Jahren in der Chirurgie und ihm sei kein Fall bekannt, bei dem etwas im Patienten vergessen gegangen sei. Nocito betont gleichzeitig, es gebe noch viele andere wichtige Dinge zu kontrollieren: «Zum Beispiel, ob der der Patient links oder rechts operiert werden muss. Wenn hier eine Verwechslung passiert, dann ist das unter Umständen noch viel gravierender.» Um dies zu verhindern, werde immer ein «Team-Timeout» durchgeführt, bei dem vor dem Start der Operation mittels Checkliste nochmals alle geplanten Schritte überprüft würden.
9.10 Uhr: Der Patient wacht bereits langsam aus seiner Narkose auf. Die Öffnungen in seinem Bauch sind sauber zugenäht; nichts ist vergessen gegangen. Und der Journalist – nun wieder sicher auf Beinen – entledigt sich seiner OP-Kleidung mit der Gewissheit, dass hier alles getan wird, damit der Patient das Spital nicht mit einem unliebsamen Souvenir verlässt.