Startseite
Aargau
Freiamt
Das würde der eigenwilligen Frau Bräm gefallen, wenn sie es sehen könnte: Auf der Fläche der alten Gärtnerei in Dietwil können Urs und Silvia Birrer eine grosse Remise für ihr eigenes Gartenbaugeschäft realisieren.
Bis es so weit war, brauchte es allerdings viel Durchhaltewillen und Geld von Birrers, die nach dem Tod von Maira Bräm im Mai 2008 die Liegenschaft auf Wunsch der Verstorbenen übernehmen konnten – konkret zehn Jahre. «Bis Ende Januar», schätzt Birrer, «ist die Ruine weg». Die Ruine, das ist das ehemalige Wohnhaus von Maira und Hans Bräm, die hier jahrzehntelang freiwillig ohne Strom und Heizung lebten.
Die Idee, auf dem Gelände der ehemaligen alten Gärtnerei seinen Firmensitz mit den entsprechenden Gebäulichkeiten und einer Wohnung zu realisieren, musste Urs Birrer aufgeben. Die Liegenschaft liegt in der Landwirtschaftlichen Intensivzone. Die Abteilung für Baugesuche beschied ihm 2010, dass die alte Gärtnerei zwar einmal auch ein Wohnhaus beinhaltete, der neue Besitzer aber keine Besitzstandswahrung auf diesem Wohnraum geltend machen könne.
Das wäre nur möglich, wenn zwei Drittel des Gebäudes noch vorhanden und grundsätzlich bewohnbar wären. Das war nach Ansicht des Kantons nicht mehr der Fall – auch nicht, als Maira und Hans Bräm noch ganz gemütlich bei Kerzenlicht und herumhuschenden Mäusen darin hausten.
Bräms hatten zum ehemals sogar denkmalgeschützten über 200-jährigen Haus, das auch einmal eine Ziegelei und zur Zeit der Pferdepost ein Gasthaus war, schon lange nicht mehr geschaut. «Ich kompostiere das Haus», hatte Frau Bräm ihren eigenwilligen Lebensstil umrissen.
Das Wohnhaus ist längst weitgehend in sich zusammengefallen, kaputte Gewächshäuser schreien nach Erneuerung. «Die Bewilligung für den Bau der Remise ist jetzt für uns wie Weihnachten», sagen Urs und Silvia Birrer, «und sicher auch im Sinne von Bräms.»
Der Weg bis zur Baubewilligung war steinig für die Inhaber des Gartenbau- und Baugeschäfts, das zehn Leute, darunter zwei Lehrlinge, beschäftigt. «Die Hürden waren sehr hoch.» Allerdings wollen sich Urs und Silvia Birrer nicht weiter darüber auslassen, sondern freuen sich auf die neue Remise, zumal ihre beiden Kinder Remo und Marina in eineinhalb Jahren den elterlichen Betrieb übernehmen wollen.
Das neue Gebäude, auf einem Betonsockel in Holz erstellt, wird eine Fläche von 25 mal 12,5 Meter und eine maximale Höhe von 9,5 Metern aufweisen. Hier kann der Gartenbauer Pflanzen, Material und Gerätschaften einstellen und sie auch im Sommer vor Umwelteinflüssen schützen.
Auf dem gut 15 000 Quadratmeter grossen Gelände haben Maira und Hans Bräm ihre letzte Ruhe gefunden. «Daran wird sich mit dem Neubau nichts ändern», unterstreichen Birrers, die viele Jahre ein gutes Verhältnis mit den eigenwilligen Bewohnern der alten Gärtnerei pflegten.
In den letzten zehn Jahren haben sie das Gelände für ihre Pflanzen zwar genutzt, aber vieles bis heute unverändert gelassen – nicht zuletzt aus Respekt gegenüber den Vorbesitzern und im Andenken an Bräms. «Wenn ich auf der Hauptstrasse an der Ruine vorbeifahre, sehe ich noch immer das Kerzenlicht, zu dem Maira Bräm in ihrem Zimmer las», erklärt etwa Silvia Birrer.
Und ihr Mann zeigt auf ein Mäuerchen, das er vor 18 Jahren auf Wunsch von Frau Bräm erstellt hat, damit der Zugang zum baufälligen Haus gewährleistet blieb. Das abzubrechen, sagt Urs Birrer, «macht öppis met eim». Er ist deshalb froh und sicher, dass die weitere Nutzung der Liegenschaft den Vorstellungen von Frau Bräm entspricht. «Ich habe es ihr auch so versprochen.»
Frau Bräm, die selbst die Auseinandersetzung mit Behörden und Amtsstellen nicht scheute, hätte Birrers Hartnäckigkeit wiederum sehr gefallen: Wer das Privileg hatte, sie kennen zu lernen, sieht vor seinem geistigen Auge ihr verschmitztes Schmunzeln.
Und so kommt neues Leben in die alte Gärtnerei. Was aus der Sicht von Frau Bräm nichts weiter als logisch ist: Sie war überzeugt, dass wir alle nicht von dieser Welt verschwinden, wenn wir sterben. «Energie geht nicht verloren», sagte sie, «sie wird immer umgewandelt.» Maira und Hans Bräm sind also immer noch in der alten Gärtnerei in Dietwil, die jetzt endlich in die Zukunft geführt werden kann.
Mit der Artikelserie «Ein Winter mit Frau Bräm» in der AZ gewährte Maira Bräm über vier Monate hinweg Einblick in ihr ziemlich schräges Leben, wie sie mit ihrem Mann Hans ohne Strom und Heizung lebte und immer wieder in den Clinch mit der Obrigkeit kam. Gelegenheit, nochmals in unveröffentlichten Aufzeichnungen zu kramen.
Frau Bräm hatte die Angewohnheit, Notizen zum Tag zu machen.
Am 30. Dezember 2002, 02.38 Uhr, schrieb sie: «Aus Sicht der Eltern war ich ein schrecklicher Goof, und das bin ich mit Wonne heute noch (mit 66 Jahren)». Und am 6. Oktober 2002: «Wenn wir Gäste haben, ist unser Service wie bei einem Fünf-Sterne-Clochard: Plastik-Geschirr und Gläser, kein Komfort, gutes Essen, eventuell auf einem Stein oder feuchten Holzbalken sitzend, mitten im Regen oder bei Temperaturen unter Null. Das Komische dabei ist, dass das den Leuten gefällt und sie wieder kommen wollen, obwohl wir sie mit unserer Methode davon abhalten möchten».
Gemütlich war es in ihrem zerfallenden Haus tatsächlich nicht und im Winter vor allem bitterkalt. Frau Bräm aber hatte eine andere Sicht der Dinge: «Reiche Leute, die sich keine glitzernden Eisblumen an den Fenstern leisten können, brauchen als Ersatz funkelnde Diamanten», hielt sie am 9. Januar 2003 um 7.20 Uhr fest.
Frau Bräm hatte Krebs. «Ich bin im Prinzip nicht traurig, ich muss nur in diesem Moment weinen». Maira Bräm starb am 4. Mai 2008 mit 72 Jahren. (es)