Verwaltungsgericht
Der Eigenmietwert muss erhöht werden – Aargauer Besteuerung widerspricht Bundesvorgaben

Das Verwaltungsgericht kommt zum Schluss, dass das Aargauer Gesetz weit davon entfernt ist, die Vorgaben der Verfassung zu wahren. Der Kanton muss nun nachbessern.

Noemi Lea Landolt
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Die Besteuerung der Eigenmietwerte im Kanton Aargau ist nicht verfassungskonform geregelt. Zu diesem Urteil kommt das Aargauer Verwaltungsgericht. (Symbolbild)

Die Besteuerung der Eigenmietwerte im Kanton Aargau ist nicht verfassungskonform geregelt. Zu diesem Urteil kommt das Aargauer Verwaltungsgericht. (Symbolbild)

KEYSTONE/WALTER BIERI

Der Aargauische Mieterinnen- und Mieterverband ist der Ansicht, dass Mieter und Hauseigentümerinnen ungleich behandelt werden, weil die aktuellen Eigenmietwerte zu tief angesetzt seien. Der Mieterverband hat deshalb den entsprechenden Paragrafen im Steuergesetz und das Dekret über die Anpassung der Eigenmietwerte angefochten. Das Verwaltungsgericht hat das Normenkontrollbegehren gutgeheissen, wie die Gerichte des Kantons Aargau mitteilen. Die Richterinnen und Richter kommen zum Schluss, dass die Besteuerung der Eigenmietwerte im Aargau nicht verfassungskonform geregelt ist.

Gemäss Rechtsprechung des Bundesgerichts müssen Eigenmietwerte auf kantonaler Ebene mindestens 60 Prozent des Marktmietwerts betragen. Im kantonalen Steuergesetz sind die Eigenmietwerte entsprechend auf 60 Prozent der Marktmiete festgelegt. Sobald die Marktpreise mehr als 65 Prozent oder weniger als 55 Prozent der Marktmiete betragen, muss die Regierung einen Antrag auf Anpassung des Eigenmietwerts an den Grossen Rat stellen.

Die 60 Prozent dürfen nicht unterschritten werden

Der Mieterverband argumentiert, dass der Eigenmietwert in keinem Fall unter die 60-Prozent-Marke fallen dürfe. Das Verwaltungsgericht kommt zum gleichen Schluss. Im Urteil verweisen die Richterinnen und Richter auf einen Bundesgerichtsentscheid, der festhält, dass die Untergrenze von 60 Prozent «in jedem Einzelfall und nicht nur im Durchschnitt zu beachten ist».

Für das Verwaltungsgericht ist deshalb klar, dass die Eigenmietwertbesteuerung im Aargau nicht nur auf einer Norm basiert, die es zulässt, dass eine Anpassung erst erfolgt, wenn die verfassungsmässig vorgegebene Grenze um fünf Prozent unterschritten wird; vielmehr führe auch die konkrete Umsetzung «in verstärkender Art und Weise zu einem Ergebnis, welches weit davon entfernt ist, die Vorgaben der Verfassung zu wahren». Daran ändere auch nichts, dass die Normen demokratisch legitimiert seien, also vom Grossen Rat als Gesetzgeber beschlossen wurden. «Auch der Gesetzgeber ist an die verfassungsmässigen Schranken gebunden», heisst es im Urteil.

Das Verwaltungsgericht hat den Paragrafen im Steuergesetz und das Dekret aufgehoben. Das Dekret gilt allerdings im Sinne einer Übergangsregelung noch so lange, bis rechtliche Grundlagen geschaffen worden sind, die der Bundesverfassung genügen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts ist endgültig und kann nicht an das Bundesgericht weitergezogen werden. Entsprechend ist der Gesetzgeber in der Pflicht, für eine verfassungskonforme Eigenmietwertbesteuerung zu sorgen.

«Harter Schlag gegen Hauseigentümer»

Das kantonale Steueramt werde das Urteil «eingehend analysieren und dessen Umsetzung in die Wege leiten», teilt das Departement Finanzen und Ressourcen mit. Dabei werde zu berücksichtigen sein, dass auf Bundesebene ein Gesetzgebungsverfahren zur Abschaffung der Eigenmietwerte im Gange sei und dass im Aargau zurzeit eine Strategie zur Vereinfachung der Wohneigentumsbesteuerung erarbeitet werde.

Der Hauseigentümerverband Aargau spricht in seiner Mitteilung von einem «harten Schlag gegen Hauseigentümer». In Coronazeiten sei «eine Zügelung des Fiskalhungers» angebracht. An der Steuerschraube zu drehen, bevor sich überhaupt eine Beruhigung der Lage abzeichne, komme angesichts der umfangreichen staatlichen Hilfsprogramme «einem wenig freundlichen Akt» gegenüber Hauseigentümern gleich.

Dennoch müsse der Hauseigentümerverband das Urteil des Verwaltungsgerichts entgegennehmen. «Der Verband torpediert keine Entscheide, deren Zustandekommen auf rechtsstaatlicher Basis erfolgt», heisst es in der Mitteilung. Aber er fordert, dass die 60-Prozent-Marke «keinesfalls überschritten wird», und behält sich vor, Marktmieten allenfalls überprüfen zu lassen.

Regierungsrat hat Problem schon lange erkannt

Der Regierungsrat war sich der Problematik beim Eigenmietwert schon länger bewusst. In der regierungsrätlichen Botschaft aus dem Jahr 1998 zur Totalrevision des Steuergesetzes hielt er fest: «Werden die Eigenmietwerte auf dem tiefstmöglichen Niveau von 60 Prozent der Marktmietwerte festgelegt und erfolgt die Anpassung frühestens nach einer Veränderung von mehr als fünf Prozentpunkten, bestehen während längerer Zeit verfassungswidrige Zustände.» Für das Gericht zeigt dies, dass bereits 1998 ein politischer Entscheid getroffen wurde, «der einen Verstoss gegen die Verfassung geradezu in Kauf nahm».

SVP und FDP waren gegen Erhöhung

Zuletzt angepasst wurden die Eigenmietwerte per 1. Januar 2016. Der Grosse Rat hatte damals einer Erhöhung äusserst knapp mit 68 zu 64 Stimmen zugestimmt. Die SVP-Fraktion und eine grosse Mehrheit der FDP-Fraktion stimmte gegen eine Erhöhung. Die SVP rief damals im Grossratssaal dazu auf, sich nicht «hinter irgendwelchen formalistischen Vorschriften» zu verstecken, sondern die Hauseigentümer zu vertreten. Und zu dieser Bestrafung der Eigentümer Nein zu sagen.