Im Zurzibiet gibt es über 200 Landwirtschaftsbetriebe. Fünf davon werden von Ammännern aus dem Bezirk geführt. Sie warnen vor den Folgen, sollten die Agrar-Initiativen am 13. Juni angenommen werden.
Die Kinder von Adrian Baumgartner strotzen vor Tatendrang. Sie sind gerade daran, die Schafe auf der Wiese zum Scheren einzufangen. Die Stimmung auf dem Hof des Schneisinger Ammanns ist heiter und unbeschwert. Ob das auch in Zukunft so bleiben wird, dürfte nicht zuletzt vom Entscheid des Schweizer Stimmvolks am 13. Juni abhängen.
Gleich neben dem Gehege steht ein Plakat, an dem es momentan landauf, landab kaum ein Vorbeikommen gibt. Dessen Inhalt bereitet Baumgartner und der überwiegenden Mehrheit der Landwirte grosse Sorgen: Es geht um die beiden Agrar-Vorlagen «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und die «Trinkwasser-Initiative». Die Annahme und deren Umsetzungen, ist Baumgartner überzeugt, hätte für ihn und viele seiner Berufskollegen aus dem Zurzibiet einschneidende Konsequenzen.
Adrian Baumgartner ist einer von fünf Ammännern im Zurzibiet, neben Heiri Rohner (Wislikofen), Stefan Schuhmacher (Siglistorf), Rolf Laube (Mellikon) und Hanspeter Erne (Leibstadt), die ihr Einkommen mit der Landwirtschaft verdienen. «Die Initiativen gehen eindeutig zu weit, sie sind zu radikal und wären auch kaum umsetzbar», sagt der Schneisinger, der den Hof von seinem Vater übernommen hat und ihn seit bald zwanzig Jahren führt.
Ein Ja würde viele Existenzen gefährden. «Sowohl in der Landwirtschaft als auch in vor- und nachgelagerten Branchen», sagt Baumgartner. Zum gleichen Befund kommen auch Hanspeter Erne, der einen landwirtschaftlichen Lohnbetrieb führt, und Rolf Laube. «Mich stört, dass gegen aussen der Eindruck erweckt wird, wir
würden einfach sorglos Gift einsetzen», so Laube. Gerade im Zurzibiet sei in den vergangenen Jahren sehr viel passiert, es sei inzwischen ein grosses Bewusstsein vorhanden.
Der Bezirk Zurzach nimmt im Agrar-Kanton Aargau eine bedeutende Stellung ein. Von den heute noch über 3000 tätigen Betrieben befinden sich 230 im Zurzibiet. Wie in der ganzen Schweiz sind auch im nördlichsten Teil des Kantons die Zahlen seit Jahren rückläufig. Die Hauptgründe sind strukturell bedingt: «Oft gibt es keine Nachfolgeregelung», sagt Viktor Mühlebach, Zurzibieter Bezirkspräsident des Aargauer Bauernverbandes. «Was zur Folge hat, dass der Betriebsleiter einem anderen Beruf nachgeht und seinen landwirtschaftlichen Betrieb nur noch nebenbei führt», sagt Mühlebach, der in Tegerfelden seinen Hof bewirtschaftet.
Die Initiativen seien zusätzliches Gift. Mühlebach malt bei einem Ja ein düsteres Bild:
«Für einige Betriebe würde die Annahme das sichere Aus bedeuten. Insbesondere für jene, die im Nebenerwerb geführt werden, oder für kleinere Betriebe.»
Viele Tierhaltungsbetriebe, sei es im Bereich Geflügel, würden auf die für viele überlebenswichtigen Direktzahlungen verzichten oder den Betrieb aufteilen. Das Gleiche gilt auch in spezialisierten Unternehmen im Obst-, Reb- und Gemüse- oder Zuckerrübenanbau.
Gegen ein Ja der Initiativen kämpft auch Heiri Rohner, der seit einem halben Jahrhundert in Wislikofen Landwirtschaft betreibt: «In der heutigen Form könnten wir den Betrieb nicht mehr weiterführen.» Wenn die Vorlagen so umgesetzt würden, wie es der Text verlangt, müsste man das wichtigste Standbein, die Legehennenhaltung, aufgeben. «Die Rindviehmast wäre ebenfalls gefährdet», vermutet Rohner. Auch Rolf Laube rechnet bei einer Annahme künftig mit einem Mehraufwand von 30 Prozent. Um auf die Problematik hinzuweisen, haben die beiden zusammen mit Stefan Schuhmacher einen Flyer verfasst, der in den kommenden Tagen in die Briefkästen flattert – unterzeichnet von mehreren Dutzend Landwirtschaftsfamilien aus der Region.
Adrian Baumgartner hat sich ebenfalls mit dem Worst-Case-Szenario befasst. Er sieht für seinen Betrieb drei Möglichkeiten: «Erstens: ganz aufhören.» Zweitens eine neue Plantage erstellen und diese ohne Direktzahlungen vom Betrieb auslagern, damit er seinen Kunden weiterhin gesundes Obst zu günstigem Preis anbieten kann. «Oder dann eine neue Plantage erstellen und diese nach den neuen Richtlinien behandeln – ohne synthetische Pestizide.» Mit der Konsequenz, dass er je nach Witterung ein Vielfaches an Spritzungen vornehmen müsste als heute und der Preis am Markt sich in etwa verdoppeln würde. «Ob die Kunden das bereit wären, zu zahlen, weiss ich nicht», so Baumgartner.
Viktor Mühlebach bringt in der hitzig geführten Debatte einen pragmatischen Ansatz ein:
«Die grösste Chance hätten wir schon jetzt alle, wenn mehr nachhaltig produzierte Lebensmittel eingekauft würden.»
Letztlich würden so die Konsumentinnen und Konsumenten, der Landwirt, die Natur und auch das Wasser gleichermassen davon profitieren.