Bezirksgericht Der 36-jährige Portugiese Tiago (alle Namen geändert) war beschuldigt, dem ein Jahr jüngeren Inder Himal einen sogenannten «Schwedenkuss» verpasst und ihm dadurch die Nase gebrochen zu haben. Da Tiago strafrechtlich kein unbeschriebenes Blatt ist, beantragte der Staatsanwalt, die einfache Körperverletzung mit einer unbedingten Freiheitsstrafe zu sanktionieren.
Als Zeugen hatte Einzelrichter Cyrill Kramer den 31-jährigen Mathias vorgeladen. Tiago sei ein Kumpel von ihm, man begegne sich oft in Bad Zurzach, «unterwägs uff dr Gass oder so». An einem lauen Juni-Abend letzten Jahres traf man einmal mehr auf einem Bänkli im Kurpark aufeinander. Nachdem sich Tiago verabschiedet habe, sei alles sehr schnell gegangen: Tiago habe bei einem anderen Bänkli angehalten – «nein, nicht aggressiv, ganz normal» – und der Mann, der dort sass, sei «wie eine Furie und mit beiden Händen vor dem Gesicht aufgesprungen». Mehr habe er nicht gesehen. Es komme, hielt Mathias zum Schluss fest, «im Kurpark immer mal wieder zu Auseinandersetzungen».
Himal war vor zwei Jahren als Flüchtling in die Schweiz gekommen und lebt in einer Asylantenunterkunft. Er redete wie ein Wasserfall – die Übersetzerin hatte viel zu tun. Bereits rund zwei Wochen vor dem Vorfall im Kurpark habe Tiago ihn verbal angegangen und am Kragen gepackt, als er sich beim «Hammer-Posten» einen Joint drehte. Im Park habe der Portugiese ihm völlig überraschend diesen heftigen Kopfstoss versetzt.
Himal hatte die Polizei gerufen – allerdings erst, nachdem er zuerst im Coop Bier gekauft und im Park getrunken hatte: Er habe zuerst überlegen müssen, was er nun tun solle, liess der Inder übersetzen. Fakt ist, dass die Polizei Himal stark alkoholisiert antraf, Tiago hingegen gar nicht, da dieser inzwischen mit dem Zug nach Hause gefahren war. Erst als Himal eine Woche später Tiago im Kurpark von Ferne wiedersah, konnte die Polizei diesen anhalten.
Himal hatte zwar keine Strafanzeige gemacht, doch vor Gericht forderte er, der Portugiese sei schuldig zu sprechen, denn er habe ihm die Nase gebrochen und grosse Schmerzen zugefügt. Ein Blick auf die Nase, die Himal kurz von der Maske befreit, lässt keinen bleibenden Schaden erkennen. Hierzu hält Richter Kramer fest, dass in den Akten lediglich «der Verdacht auf eine Nasenfraktur» dokumentiert sei. Tiago hatte von Anfang an verneint, dem Kontrahenten einen «Schwedenkuss» versetzt zu haben: «Als ich mit dem Velo langsam an ihm vorbeifuhr, hat er sich mit der flachen Hand drohend über die Kehle gestrichen. Als ich fragte, ob er ein Problem habe, ist er aufgesprungen und wir sind mit den Köpfen zusammengestossen.»
Tiago lebt seit 28 Jahren in der Schweiz, schlug sich meist als Hilfsarbeiter durchs Leben. Er lebt mit der Freundin zusammen und hat zurzeit einen ordentlichen Temporär-Job, aber 20000 Franken am Hals. Er ist wegen Betäubungsmittel-Vergehen und Einbruchdiebstählen mehrfach vorbestraft, und er hat auch schon hinter Gittern gesessen. Das Bezirksgericht Zurzach hatte ihn 2014 zu 8 Monaten Freiheitsstrafe, bedingt auf fünf Jahre, verurteilt. Da diese Frist erst fünf Monate nach dem Vorfall im Kurpark abgelaufen gewesen wäre, hatte der Staatsanwalt einen Widerruf gefordert und als Gesamtstrafe 10 Monate Freiheitsentzug.
Der Verteidiger plädierte auf Freispruch. Unbestritten sei, dass die beiden Köpfe zusammengestossen waren – die Aussagen über das Wie hingegen seien widersprüchlich. «Mein Mandant hatte als Jugendlicher einen Schädelbruch erlitten – die Narbe auf seiner Stirn ist noch immer sichtbar – und würde deshalb seinen Kopf nie als Waffe einsetzen.» Richter Kramer sprach den Portugiesen von Schuld und Strafe frei: «Es ist unklar, ob der Zusammenprall der Köpfe dumm gelaufen oder von Tiago Absicht war.» Himal habe die Polizei erst gegen 19.30 Uhr gerufen, aber ausgesagt, der Vorfall habe sich um zirka 16 Uhr ereignet gehabt. Dem Freigesprochenen gab Kramer eindringlich mit auf den Weg, nicht mit dem Feuer zu spielen, «sonst heisst es eines Tages ‹adeus Suíça›».