Ein Automobilist bestritt zwischen Bad Zurzach und Rümikon anderen Fahrzeugen zu nahe gekommen sein. Das Bezirksgericht sah dies anders.
«Ich bin schon etwas erschrocken ob der Vorladung», meinte der Zeuge. «So verrückt war das ja nun auch nicht, dass eine solche Sache vor Gericht kommen müsste.» Bei dieser «Sache» ging es um Überholmanöver, die sich vor einem Jahr auf der Rheintalstrasse zwischen Bad Zurzach und Rümikon abgespielt hatten.
Der Fahrer eines SUV war Richtung Kaiserstuhl unterwegs. Dabei hatte er gemäss Anklage auf einer Strecke von mehreren hundert Metern bei einer Geschwindigkeit von ca. 80 km/h mehrfach so nah auf ein Auto aufgeschlossen, dass «keine Fahrzeuglänge Abstand» bestanden habe. Nachdem er dieses Auto überholt habe, sei er wiederum so nah auf ein Auto aufgeschlossen, dass «teilweise keine Fahrzeuglänge Abstand» blieb.
Der Vorfall war von zwei Polizisten beobachtet worden, die in einem Polizeiauto zufällig hinter dem SUV gefahren waren. Nach dem zweiten Überholmanöver hatten sie sich mit Blaulicht bemerkbar gemacht und alle drei Fahrzeuge angehalten. In der Folge war dem Fahrer des SUV, einem Schweizer Mitte vierzig, ein Strafbefehl wegen mehrfacher grober Verletzung der Verkehrsregeln eröffnet worden.
Die Staatsanwaltschaft beantragte eine bedingte Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 90 Franken sowie eine Busse von 600 Franken. Weil der Beschuldigte Einsprache erhob, hatte sich Bezirksgerichtspräsident Cyrill Kramer als Einzelrichter mit dem Vorfall zu befassen.
Vor Gericht wollte sich der Zeuge, der das Auto gelenkt hatte, das vom Beschuldigten zuerst überholt worden war, nicht mehr so recht an seine Aussagen bei der Einvernahme durch die Polizei erinnern. «Ich habe das nicht mehr so gut im Kopf», meinte er.
Gut im Kopf, sozusagen, hatte den Vorfall dagegen der zweite Zeuge, einer der Polizeibeamten, die hinter dem Beschuldigten gefahren waren. Zur Bemerkung des Verteidigers, der von einem «fantasievollen Bericht» der Polizei sprach, betonte der Polizist: «Es war regelwidrig, was wir festgestellt hatten. Der Abstand war zu klein.»
Der Beschuldigte, der schon bei den ersten Einvernahmen die Aussagen verweigert hatte, wollte auch auf Fragen des Richters keine Antwort geben. Aus einem detailreichen Exposé las er jedoch vor, wie er die Sache erlebt hatte. Er betonte, dass er seit mehr als 27 Jahren als unbescholtener Automobilist unfallfrei Auto fahre. Als er angehalten worden sei, habe sich der Polizist, der vermummt gewesen sei, aufbrausend verhalten.
Man habe ihm jedoch nicht sagen können, wie schnell er gefahren sei. Dann habe man ihm das Überholen vorgeworfen und schliesslich zu nahes Auffahren. Man habe ihm aber nicht sagen können, wie nah er aufgefahren sei. Die Polizei habe dem Zeugen unwahre Aussagen entlockt, machte der Beschuldigte geltend.
Dann liess er sich über das Wesen der Lüge aus, die, wie er sagte, «untrennbar mit dem menschlichen Leben verbunden» sei und spekulierte über Gründe, weshalb ein Polizist gelogen haben könnte. Schliesslich erklärte er: «Die Gründe zu ermitteln, weshalb gelogen worden ist, wäre Aufgabe der Staatsanwaltschaft gewesen.»
Die Einsprache richte sich grundsätzlich gegen das Verhalten der Polizeibeamten, so der Verteidiger. Er stellte eine «verhärtete Haltung» gegenüber seinem Mandanten fest. Es gäbe keine objektiven Beweise für ein Fehlverhalten. «Es steht Aussage gegen Aussage», sagte er und beantragte, dass der Strafbefehl aufzuheben und sein Mandant von Schuld und Strafe freizusprechen sei.
Die Kosten seien auf die Staatskasse zu nehmen. Der Beschuldigte erklärte in seinem letzten Wort, dass sich der Sachverhalt nicht so zugetragen habe, wie ihm vorgeworfen werde. Auch würde ihn ein Ausweisentzug in der beruflichen Existenz massiv beeinträchtigen.
Der Gerichtspräsident sprach den Autofahrer jedoch im Sinne der Anklage der mehrfachen groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und verurteilte ihn gemäss Antrag des Strafbefehls zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 90 Franken sowie zu einer Busse von 600 Franken. Für die Geldstrafe wurde dem Beschuldigten der bedingte Vollzug gewährt, bei einer Probezeit von zwei Jahren. Schliesslich hat der Beschuldigte die Verfahrenskosten von rund 2500 Franken zu tragen.