Ballett
Den Himmel weggedrückt: Das Ballett des Theater Basel berührt mit Weltschmerz

Das Ballettensemble des Theater Basel zeigt anhand zweier Werke, wie Menschen zusammenhalten – und sich wieder verlieren.

Mélanie Honegger
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Eine Wucht: «Salt Womb» von Sharon Eyal.

Eine Wucht: «Salt Womb» von Sharon Eyal.

zvg/Ingo Höhn

Im Knäuel tanzt es sich besser. Wie gut, das zeigte die pulsierende Menschenmaschine, die sich am Sonntag im Basler Schauspielhaus in Bewegung setzte. Eine gute halbe Stunde lang bebte sie ohne Unterlass, die vorderen Zuschauerreihen mittendrin im Sog, Teil dieses wie ein Kriegsritual anmutenden Tanzes.

«Salt Womb» heisst das Stück der in Jerusalem geborenen Choreografin Sharon Eyal, und es liefert eine Kraft, die das Publikum überwältigt. Die 21 Tänzerinnen und Tänzer des Basler Ballettensembles treten in perfekter Synchronität auf, gehen ein ums andere Mal scheinbar locker in die Knie, die Beine voll angespannt, bis ihnen der Schweiss über die nackten Oberkörper rinnt.

Diese Gruppe aus Individuen ist ein einziger lebendiger Organismus ohne wirkliche Ausreisser, ein Körper im Sprint. Erst noch langsam bebend, gewinnt die Choreografie an Dynamik, baut sich auf am bebenden Bass, der dröhnt wie der Techno im Nachtclub. Wer noch nie zeitgenössischen Tanz gesehen hat, sollte die Gelegenheit nutzen und sich von der Wucht des Kollektivs erschlagen lassen.

Ein Ballettabend, der in seiner Aktualität wehtut

Wie vielfältig Tanz inszeniert werden kann, wird am Kontrast zum zweiten Stück des Abends ersichtlich. Der spanische Choreograf Marcos Morau, selbst kein Tänzer, setzt in «Forest Fires» auch Licht, Sprache, Bühnenbild und Songtexte ein, um ein Gesamtkunstwerk zu kreieren. Zu Songs des australischen Musikers Nick Cave lässt er Menschen aufeinandertreffen und Nähe aufbauen, die sich schon bald wieder verflüchtigt.

Morau zeigt die Darstellenden auf der rastlosen Suche nach Halt, eine Ode an die Melancholie des Individuums. «I’m just waiting now for my time to come», singt Cave, denn so richtig glücklich ist hier niemand. Damit schlägt das Stück – ursprünglich wohl unbeabsichtigt – eine Brücke zur Gegenwart, die in ihrer schmerzhaften Fülle an Auseinandersetzungen viele Menschen überfordert.

Tänzerin Mikaela Kelly in «Forest Fires».

Tänzerin Mikaela Kelly in «Forest Fires».

zvg/Ingo Höhn

Zum Schluss des Abends hängt über der Bühne des Schauspielhauses für kurze Zeit ein Vorhang, auf dem ein Zugfenster zu sehen ist, dazu zwei Streifen in Blau und Gelb. Eine Abschiedsszene in der Ukraine? «You’ve got to keep on pushing the sky away» – das gesamte Ensemble singt die Worte.

Doch der Klang bleibt schwach, Hoffnung schwingt nur leise mit. Ein bewegender Moment, der das Publikum trifft. Ergreifend ist schliesslich auch der Applaus, ähnlich einem langen, gleichmässigen Rausch, beinahe so, als ertrage niemand im Saal die Stille, die danach kommt.

Nachdenkliches Publikum nach langem Applaus

Viele Tänzerinnen und Tänzer waren denn auch den Tränen nahe – ob es die Wärme des Publikums war, das ihnen damit seine Wertschätzung aussprach? Die Freude, nach langer Pause wieder vor vollen Rängen zu auftreten zu dürfen? Oder doch die politische Gegenwart, die auch in der Kunst ihre Spuren hinterlässt?

Das Klatschen hörte erst auf, als Ballettdirektor Richard Wherlock auf die Bühne trat und die Hand hob. Die abrupte Stille gab seiner Ansprache Raum, und Wherlock nutzte sie, um zu Spenden fürs Kiewer Ballett aufzurufen. Das Publikum folgte seinem Aufruf, zeigte sich bei der Kollekte grosszügig – und verliess den Saal nachdenklicher, als es ihn betreten hatte.

«Sharon Eyal / Marcos Morau»
Theater Basel, Schauspielhaus. Bis 26.6.
www.theater-basel.ch