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Der Skandal um eine Basler Pfarrerin zieht weitere Kreise. Kirchenratspräsident Lukas Kundert ist in der Defensive.
Mehrere Mails kursieren unter den führenden Kräften der Evangelisch-Reformierten Kirche Basel-Stadt (ERK). Sie könnten deutlicher kaum sein: «Nach dem heute publizierten Interview in der bz ist unbestreitbar, dass Frau Dietrich im mörderischen rechtsextremen Milieu als Pfarrsfrau mitwirkt, dem auch der Massenmörder B. (Anders Breivik, Anm. d. Red.) in Norwegen angehört», ist so ein Satz. Oder: «Die Wahlvorbereitungskommission hat die Wahlbehörde getäuscht!» Und: «Ich kann’s nicht fassen, dass die Interviewpartnerin in meiner Kirche ein geistliches Führungsamt bekleidet. Mit ihrer Wahl ist kürzlich in der Synode ein verhängnisvoller Irrtum geschehen.»
Der Absender dieser Zeilen heisst Markus Ritter, langjähriger Präsident der Offenen Kirche Elisabethen, ERK-Mitglied und ehemaliger Grossratspräsident. Er ist bestürzt über die jüngsten Enthüllungen um Christine Dietrich. Die Basler Synode hat die Kleinhüninger Pfarrerin vor einigen Wochen in den Kirchenrat gewählt, das höchste Gremium der Basler Reformierten. Dies offenbar im Unwissen, dass sich Dietrich jahrelang im rechtsextremen Dunstkreis bewegt hatte und – das zeigen Recherchen dieser Zeitung – entgegen ihren Beteuerungen sich nicht vollumfänglich davon distanziert hat.
Am Montag ist in dieser Zeitung ein doppelseitiges Interview erschienen, um das Dietrich gebeten hatte. Für Ritter ist klar: «Es ist so schlimm wie im ersten Artikel dargelegt.» Christine Dietrich bestätige das von ihr gezeichnete Bild. «Für die Kirche stellt sie ein schweres Problem dar», folgert Ritter. Der vorbereitenden Wahlkommission wirft er vor, die Synode getäuscht zu haben, und er verlangt eine Wiederholung der Wahl. Die angeschriebene Leiterin der Wahlkommission war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.
Schon vor rund drei Wochen, als der Fall Dietrich publik wurde, hat Ritter in die Tasten gegriffen. Seither mehren sich die Stimmen, die ihm recht geben. Die bz weiss aus zwei unabhängigen Quellen, dass Dietrich inzwischen selbst im Kirchenrat Kritiker hat. Gestern hat sich zudem SP-Politiker und Synodenmitglied Tobit Schäfer zu Dietrich verlauten lassen. In seiner bz-Kolumne schrieb er über den «braunen Sumpf», in welchem sich Dietrich bewegt habe, und schloss: «Wie gut ihre Vergangenheit zu einer Kirchenrätin passt, müssen die beurteilen, die sie gewählt haben.»
Doch auch Dietrich findet Zuspruch, nicht nur auf sozialen Medien und in Kommentarspalten. Zu Dietrichs Unterstützern zählt Luzius Müller, Theologe und Unipfarrer. Er sagt: «Ich hatte verschiedentlich zu tun mit Christine Dietrich. Dabei ist mir nie aufgefallen, dass sie mit jenen Positionen liebäugelt, die sie vor einigen Jahren hatte.» Ihm sei bereits im Vorfeld der Wahl klar gewesen, dass die Medien Dietrichs Vergangenheit aufgreifen werden. Auf die Frage, ob er an Dietrichs Abkehr von jenem Umfeld glaube, als sie auf einer Plattform «gegen die Islamisierung Europas» publizierte, antwortet er leicht kryptisch: «Christine Dietrich gab mir keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass sie sich nicht von den damaligen Positionen distanziert hätte.»
Während die Affäre Dietrich die Mitglieder der Reformierten Kirche in zwei Lager teilt, hält sich Kirchenratspräsident Lukas Kundert mit klärenden Worten zurück. Auf einen detaillierten Fragekatalog der bz geht er nicht ein. Stattdessen lässt Kundert über seinen Sprecher Matthias Zehnder Auszüge aus der Verfassung der Kirche sowie eines Strategiepapiers versenden. Nicht ohne den Hinweis: «Grundsätzlich hat der Kirchenratspräsident zur Wahl einer Gemeindepfarrperson nichts zu sagen, das ist Sache der jeweiligen Gemeinde. Dasselbe gilt für die Wahl eines Kirchenrats/einer Kirchenrätin, das ist Sache der Synode.»
In ihrer ersten Stellungnahme zur Verteidigung von Christine Dietrich hatte die ERK noch auf Dietrichs Predigten verwiesen, welche «nie Anlass für Beschwerden» gegeben hätten. Nachdem die bz auch in diesen pauschalisierende Aussagen zum Islam nachgewiesen hatte, heisst es nun: «Auf der Kanzel gilt (innerhalb der geltenden Schweizer Gesetze) Redefreiheit. In der Evangelisch-reformierten Kirche gibt es keine Instanz, welche die Predigt einer Pfarrperson überprüft.»