Jazzfestival Basel
Offbeat-Gründer Urs Blindenbacher: «Ich habe extreme Vorstellungen»

Urs Blindenbacher feiert dieses Jahr mit dem Jazzfestival Basel und der Offbeat-Konzertreihe ein doppeltes Jubiläum.

Stefan Strittmatter
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«Nicht alles lässt sich breitenwirksam umsetzen.»

«Nicht alles lässt sich breitenwirksam umsetzen.»

Nicole Nars-Zimmer (niz)

Seit 45 Jahren gibt es die Konzertreihe Offbeat, seit 30 Jahren das Jazzfestival Basel. Hinter beidem steht Urs Blindenbacher (66) als treibende Kraft voller Fachwissen und Enthusiasmus. Was spornt ihn an?

Das Saison-Programm, das Sie heute vorgestellt haben, ist breit gefächert. Da stellt sich die grundlegende Frage: Was ist Jazz?

Urs Blindenbacher: Strengere Definitionen verlangen nach Swing, Improvisation und Wurzeln in der afro- oder lateinamerikanischen Musik. Längst ist der Jazz aber breiter gefächert. Diese Öffnung hat Miles Davis mit «Bitches Brew» angestossen.

Das stilprägende Album ist vor 50 Jahren erschienen, stösst aber noch heute nicht nur auf Gegenliebe.

Das sind dann Puritaner, die den Jazz museal verstehen.

Wie verstehen Sie ihn?

Als Privatperson oder als Veranstalter?

Da gibt es Unterschiede?

Durchaus. Es ist eine Frage der Radikalität. Persönlich habe ich sehr extreme Vorstellungen von Musik. Aber nicht alles davon lässt sich breitenwirksam umsetzen.

Also machen Sie Zugeständnisse an den Geschmack des Publikums?

Am Schluss ist es immer eine Rechnung aus Kosten, Ertrag und Subventionen. Aber selbst wenn ich nicht aufs Geld schauen müsste, macht ein Konzert ohne Zuschauer keinen Sinn.

Sie wollen den Besuchern Neues näher bringen?

Ich muss natürlich schauen, dass ich nicht nur 20 Nasen an einem Konzert habe. Dennoch verfolge ich stets die Trends, die für mich spannend sind.

Ist im Jazz denn nicht längst alles gemacht worden?

Neue Formen von Musik entstehen heute in den Synthesen, in den Mischformen. Grabenkriege gehören der Vergangenheit an, ebenso «reine» Jazzformen wie Bebop oder Hardbop. Ich bin überzeugt, dass sich Musik weiter entwickeln muss.

Sie beweihräuchern also keine Legenden?

Die haben Grosses geleistet, aber mit alten Heroen kann man die Musikszene nicht am Leben erhalten. Unser Motto ist: lieber voraus- als hinterherrennen.

Klingt einfacher, als es ist.

Man entwickelt einen Spürsinn. So holten wir Buena Vista Social Club in den Jahren 1998 und 1999 nach Basel – bevor der Film erschien und die Gagen sich vervielfachten.

Mit Neuentdeckungen gehen Sie auch Risiken ein.

Letztes Jahr haben wir es mit GoGo Penguin versucht, was bestens geklappt hat. Dafür hatten wir in der gleichen Saison eher Pech mit Kamaal Williams. In London und Hamburg zieht dieser Künstler Tausende Menschen an, bei uns kamen keine 400.

Ein thematischer Schwerpunkt für 2019/20, heisst «Women as Leaders». Ist es nicht erschreckend, dass man hier von einem neuen Trend sprechen muss?

Durchaus. Die Musikszene ist männlich dominiert. Da finde ich es spannend, dieses Bild zu sprengen mit einer Frau am Schlagzeug oder am Bass. Kinga Glyk etwa, die polnische E-Bassistin, ist eine Wucht. Oder das Julia Hülsmann Women Octett – schlicht gigantisch. Und eben nicht nur, weil es Frauen sind.

Beim Open Air Basel standen dieses Jahr erstmals mehrheitlich Frauen auf der Bühne. Wäre das auch ein Ziel für Offbeat?

Ich glaube nicht an Quoten, ich glaube an Talente. Die Förderung beginnt bereits früher, bei Produzenten und Labelbossen. Hier ist auffällig, dass es in Skandinavien viel mehr Musikerinnen mit Plattenverträgen gibt als etwa in Italien oder Spanien.

Fast schon ein Widerspruch zum Frauen-Schwerpunkt ist Ihr diesjähriger Orient- Fokus. Hier dürfte man kaum Frauen in den Besetzungen finden, oder?

Das ist wohl so. Aber die Musik ist dennoch spannend ...

Worin liegt der Reiz?

Zum einen hat der Orient andere Harmonien, was zu wunderbaren Reibungspunkten führt. Und dann natürlich der starke Fokus auf den Rhythmus. Mich fasziniert, dass hier auch ungerade Metren sehr rund klingen.

Wie aufgeschlossen ist der westeuropäische Jazzhörer?

Sehr. Ich spüre da fast so etwas wie einen Exoten-Bonus. Und man muss ja auch sagen: Die Musik mag fremd sein, aber sie ist sehr emotional und zuweilen gar meditativ. Bei Anouar Brahem, den ich unlängst in Berlin erleben durfte, hatte ich Gänsehaut.

Was war Ihr persönlicher Höhepunkt in 45 Jahren als Jazz-Veranstalter?

Der verrückteste Moment war ganz am Anfang, als wir ohne Sponsorengelder plötzlich 500 Besucher in die Safranzunft locken konnten. Und dann 1977 der Einzug ins Theater Basel.

Sie selber waren damals wohlgemerkt noch Student.

Ganz am Anfang sogar Schüler. Das ganze OK bestand aus Altersgenossen. Ich bin Jahrgang 1953. Wir haben 1975 begonnen, ich habe aber vorher schon im Jazzclub am Totentanz zwei Jahre gearbeitet.

Welche Konzerte werden Sie nie vergessen?

Sicherlich Chet Baker und Astor Piazzolla, die in den Achtzigern ihr letztes Schweizer Konzert bei uns gaben. Geblieben ist mir aber auch John Zorn, der 2002 im Foyer dermassen laut war, dass der Opernchef vorbeikam und sich beschwerte, weil man uns auf der grossen Bühne hörte.

Sprechen wir über Tiefpunkte. 2012 geriet das Festival in finanzielle Schieflage.

Man läuft als Veranstalter Gefahr, alles zu positiv zu sehen. Dann kann es brenzlig werden. Bei McCoy Tyner und Michael Brecker etwa lief am gleichen Abend ein Spiel der Fussball-EM. Das hat uns 25 000 Franken gekostet. Seither schaue ich mehr auf die Sport-Agenda.

Man kennt sie als euphorischen Fan. Sind Sie ab und zu auch enttäuscht?

Das gab es auch schon, ja. Diana Krall war im Stadtcasino in schlechter Verfassung, das Konzert war todlangweilig. Und Dave Brubeck war schlicht zu alt, als er zu uns kam. Für mich war der Auftritt zu grossen Teilen schauerlich schlecht.

Apropos Alter: Sie sind seit kurzem Pensionär. Wie lange bleiben sie Offbeat und dem Jazzfestival erhalten?

Eine Verjüngung inhaltlicher und personeller Art wird derzeit intern diskutiert. Zuerst müsste man aber jemanden finden, der sich den Job antun will. Zum anderen mache ich es vorerst noch so gerne, dass ich nicht ans Aufhören denke.