Simon Morgenthaler besucht in seiner Kolumne «Ortsunkunde» die «Schweiz am Wochenende» frei assoziierend und fabulierend Baselbieter Orte mit prägnanten Namen. Dabei macht er sich viele falsche Freunde und begibt sich zielstrebig auf Irrwege.
Kein jugendlicher Leichtsinn treibt mich von Rickenbach den Farnsberg hoch, eher gleicht mein Gang einem schwerfälligen Kampf gegen das Altern. Der Schweiss strömt über mein Gesicht. Die Tränen, die man grosszügig über die Welt und geizig über die eigene Vergänglichkeit zu vergiessen jeden Grund hätte, wären nicht einmal erkennbar. Die Sonne scheint, blauer Himmel: Misanthropenwetter.
Oben angekommen, ist mir weinerlich zumute, aber der Atem fehlt, um zu lamentieren. Immerhin geht es nicht mehr aufwärts. Flach weiter, dann folge ich widerstandslos einem gelben Pfeil das Bord hinunter in die Flanke des Hügels. Eine Stufe im steilen Gelände, eine blaue Sitzbank auf einem Vorsprung, Blick auf Ormalingen: das ‹Heimwehbänkli›. Ich setze mich, aber irgendwie ist es unbequem. Auch der Boden bröckelt unweit der ausgestreckten Füsse langsam weg, nur Schotter und Erde, knapp zusammengehalten von Wurzelwerk.
Es zieht mich davon, nicht aus Fernweh, eher der inneren und äusseren Wehwehchen wegen, gegen die ich relativ verzweifelt mit meinen Wanderstiefeln anzuschreiten meine. Diese Vorstellung von Gesundheit krankt allerdings daran, dass ich ein Stechen im linken Fussgelenk verspüre und sich meine Gedanken verdüstern. Zerrüttet fühle ich mich und ausgezehrt, fiebrig irgendwie. Mich packt die Angst, sind es doch Symptome der ‹Schweizerkrankheit›, jener tödlichen Form des Heimwehs, wie sie anno 1700 schlag mich tot oder früher bei Schweizer Söldnern diagnostiziert wurde. Gerade wenn sie fernab ihr Chüe-Reihen sangen, womöglich dort, wo’s keine Kühe gab, erkrankten sie, wie man sagte, ein gefährliches Leiden, heilbar nur mit der Rückkehr ins Geburtsland. Heimweh ist also militärischen Ursprungs, denke ich, was mich freilich nicht beruhigt. Ich gehe immer schneller.
Auf der Wiese oberhalb der Farnsburg nerven mich Männer und Kinder mit Metalldetektoren, die alles suchen ausser einem Sinn. Schon fast in Hemmiken ärgere ich mich, dass ich beim Hof oben keinen Landjäger gekauft habe. Auf dem Wischberg kratze ich mich und fürchte die Zecken. Runter durch den Wald, ein Holzverschlag, Scherben und Stummel als Zeugen einer pubertären Orgie, mir graut vor früher. An einer zerfetzten Taube vorbei auf das Feld: ‹Ängste› heisst die Flur. Das Licht ist mir zu hell. Ich hadere. Auf einmal wird mir klar, was der ‹Morbus helveticus› wirklich ist: in den Ängsten vor allem Möglichen larmoyant auf der Wiese der Heimat hocken.