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Das Kantonsgericht heisst eine Beschwerde des türkischen Kulturvereins gegen den Nichteintretens-Entscheid der Regierung teilweise gut. Der Anwalt des Vereins sieht sich im Urteil bestätigt und redet jetzt Klartext.
Yetkin Geçer spricht Klartext: «Das Urteil ist eine Ohrfeige für den Regierungsrat Basellands.» Der Anwalt des türkischen Kulturvereins, dessen Veranstaltung in Reinach vergangenen März kurzfristig von der Kantonspolizei verboten wurde, sieht sich im Urteil des Kantonsgerichts voll bestätigt. Tatsächlich entschieden die fünf Richter um Präsidentin Franziska Preiswerk einstimmig gegen die Vorinstanz, die Baselbieter Regierung.
Was sie damit aber explizit nicht sagen, ist, ob das Verbot rechtens war. Das Kantonsgericht urteilte nur, ob der Entscheid der Regierung von vergangenem Sommer, auf die Beschwerde des Kulturvereins erst gar nicht einzutreten, korrekt war. Das war er nicht. Die Regierung muss nun auch materiell beurteilen, ob das ausgesprochene Verbot rechtens war. Auch die Gerichtskosten gehen zulasten des Staates. Offiziell lautet das Urteil «teilweise Gutheissung der Beschwerde»; dies aber nur, da das Gericht nebensächlichere Punkte nicht anerkannte.
Am 18. März 2017 hatte der türkische Kulturverein, die Schweizerisch-türkische Föderation, in einem privaten Vereinslokal in Reinach die alljährliche Feier zum Gedenken an gefallene Soldaten des Ersten Weltkriegs durchführen wollen. Eingeladen war auch Cemal Cetin, der Präsident der europäischen Dachorganisation der «Idealisten», der Grauen Wölfe. Diese gelten als ultranationalistische Anhänger des türkischen Ministerpräsidenten Recep Erdogan. Dies machte die bz publik. Doch nur einen Tag davor sprach die Kantonspolizei Baselland ein umfassendes Verbot aus.
Begründet wurde es damit, dass aufgrund der aufgeheizten Stimmung zwischen Türken und Kurden rund um die bevorstehende Abstimmung zur Verfassungsreform Erdogans damit gerechnet werden müsste, dass «militante Personen versuchen würden, die Veranstaltung im Hazal-Saal zu stören und zu verhindern». Linksautonome Radikale hatten kurz zuvor angekündigt, die Veranstaltung der «offen faschistischen Gruppierung» zu verhindern. (MN)
Geçer erwartet von der Regierung nun vor allem eines, wie er der bz sagt: «Einen apolitischen Entscheid ohne Einmischung der in das Verbot verwickelten Sicherheitsdirektion.» Der Anwalt wirft der Kantonsregierung vor, dass ihr früheres Nicht-Eintreten politisch motiviert gewesen sei statt juristisch fundiert. Im Klartext: Hätte die Polizei das Verbot wieder aufgehoben, hätte sie das Gesicht verloren. So war das Nicht-Eintreten ein eleganter Ausweg für den Regierungsrat.
Diesen Vorwurf lässt der Rechtsdienst der Regierung, der den Nicht-Eintretens-Entscheid verfasste, nicht unwidersprochen: «Der Entscheid war in keiner Art und Weise politisch motiviert», hält Leiter Hans Jakob Speich auf Anfrage fest. Auch heute noch würde der Rechtsdienst einen gleichlautenden Antrag stellen. Mit dem Kantonsgerichtsurteil sei das freilich hinfällig. Inhaltlich möchten sich Speich, aber auch die Sicherheitsdirektion, erst dazu äussern, wenn das schriftliche Urteil vorliegt. Dies dürfte in rund zwei Monaten geschehen.
Der neue Regierungsentscheid wird laut Speich frühestens vor den Sommerferien vorliegen.
Doch schon die mündliche Argumentation von Referent Stefan Schulthess, der sich die anderen Richter anschlossen, ist eindeutig: Die Begründung der Regierung, wonach das aktuelle Rechtsschutzinteresse für eine materielle Behandlung der Beschwerde fehle, greife in diesem Fall nicht.
Zwar sei der Termin der verbotenen Veranstaltung am 18. März verstrichen, doch stimme es nicht, dass sich dieselbe Situation nicht wiederholen könnte, wie die Regierung argumentiert hatte. Der Verein führe die Gedenkfeier schliesslich jedes Jahr durch – auch 2018 wieder – und, so Preiswerk, «leider sind Konflikte zwischen Türken und Kurden auch künftig nicht auszuschliessen».
Dazu komme, dass die Veranstalter gar nicht schneller hätten reagieren können, da das Verbot erst am Tag vor dem Anlass erlassen wurde, sagt Schulthess. Auch das Bundesgericht habe in solchen Fällen jeweils das Argument des fehlenden aktuellen Rechtsschutzinteresses entkräftet. «Die Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit wurde mit dem Verbot beschnitten», fügt Richter Claude Jeanneret an, «könnte man dies ohne materielle Begründung tun, würde Willkür Tür und Tor geöffnet.»
Anwalt Geçer will in solchen richterlichen Voten durchaus eine inhaltliche Tendenz gegen das Verbot verstanden haben. Auch Preiswerks Aussage, dass «die Hürden für ein Verbot besonders hoch sein müssen, wenn es um eine private Veranstaltung auf privatem Grund geht», könnte diesen Schluss zulassen. Stärkt die Regierung der Polizei weiter den Rücken, so ist für Geçer klar: «Dann ziehen wir wieder vors Kantonsgericht.»