Das Mizmorim-Festival sucht nach den Spuren der einst aus Spanien vertriebenen jüdischen Musik.
«Mizmorim» – so heissen die biblischen Psalmen auf Hebräisch. Die 150 Gedichte werden traditionell König David zugeschrieben, sind aber wohl eine Sammlung verschiedener Texte, die im 5. und 4. vorchristlichen Jahrhundert zusammengetragen wurden. Die Psalmen sind nicht einfach nur Texte, sondern eigentlich Gesänge, was sowohl in der jüdischen wie christlichen Tradition bis heute lebendig geblieben ist.
So ist Mizmorim das perfekte Etikett für ein Festival, das der jüdischen Musik in Europas Kulturen nachspürt. Kopf und Herz dahinter ist die in Basel lebende Klarinettistin Michal Lewkowicz. 2015 widmete sie die erste Mizmorim-Ausgabe der Neuen Jüdischen Schule, einer Komponistengruppe in Russland, die sich ab dem frühen 20. Jahrhundert um Persönlichkeiten wie Michail Gnessin oder Alexander Weprik formierte.
In den folgenden Jahren spürte das Festival jüdischen Komponisten in Amerika, Osteuropa oder im Wien um 1900 nach, beleuchtete aber auch das schillernde Leben des Librettisten Lorenzo Da Ponte. Dabei geht es Lewkowicz allein um die jüdischen Einflüsse in der Musikgeschichte. Politik hält sie explizit fern von ihrem Festival.
Dieses Jahr nun, nach dem pandemiebedingten Onlinefestival 2021, blickt Mizmorim wieder vor Publikum auf die Iberische Halbinsel, wo die Juden unter maurischer Herrschaft friedlich toleriert, nach der christlichen Eroberung durch die spanische Inquisition aber weitgehend vertrieben wurden. Diese sephardischen Juden zerstreuten sich in Nordafrika und im Osmanischen Reich, einige flüchteten nach Frankreich oder Deutschland. «Diáspora Sefardí» heisst das Festivalmotto – und keiner wäre besser geeignet, unter diesem Etikett aufzutreten, als Jordi Savall.
Der katalanische Gamben-Virtuose und Ensembleleiter beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit der Musik des Mittelmeerraums im Mittelalter und der frühen Neuzeit. Er hat in mittlerweile zahlreichen CD-Büchern auch gezeigt, dass die kulturellen Verbindungen zwischen Völkern und Religionen sehr viel enger und vielschichtiger waren, als man vermuten könnte.
«Folías, Romanescas & Canarios» heisst sein Programm, in dem sich auch die Leidenschaft für die Klänge des Volkes spiegelt: «Wir wollten nicht nur erforschen, wie die Musik an den Höfen und in den Kirchen geklungen hat, sondern wir wollten auch wissen, welche Tänze auf den Festen gespielt wurden oder was die Pilger auf dem Jakobsweg für Musik gehört haben.»
Wiederum ist das Gringolts Quartett bei Mizmorim zu Gast. Es spielt unter anderem Werke von Ravel, der zeitlebens von spanischen und baskischen Klängen fasziniert war. Oder von Boccherini, der in seinem überwiegend in Spanien verbrachten Komponistenleben sehr wach auf die Klänge der Strassen Madrids und die Rhythmen der Volkstänze gehört hat.
Genuin sephardische Lieder haben sich im Werk einiger Komponisten niedergeschlagen: bei Joaquín Rodrigo zum Beispiel, den man unfairerweise nur für sein episches Gitarrenkonzert kennt; beim Rumänen Léon Algazi oder dem in der Türkei geborenen Alberto Hemsi. Selbst aus den berühmten «Siete canciones» von Manuel de Falla lassen sich – vielleicht? – jüdische Spuren destillieren.
Als Gastkomponisten hat das Festival Jonathan Keren eingeladen. Der 1978 in Israel geborene Komponist bringt auch eine Uraufführung ans Festival mit: «Four Spanish Homages» ist wie ein klassisches Klarinettentrio besetzt. Bloss spielt statt des Klaviers eine Gitarre. Flamenco lässt grüssen in diesen Hommagen an Lorca, Cervantes oder Picasso.
Der Flamenco, diese unentwirrbare kulturelle Melange aus Europas äusserstem Südwesten, beeinflusste auch Mauricio Sotelo, einen der wichtigen zeitgenössischen Komponisten aus Spanien. Er leitet selbst sein von andalusischem Licht durchflutetes Stück «Escultura de roja luz interna», eine Tänzerin unterstreicht dazu die Wurzeln dieser Musik.
Tradition beim Mizmorim-Festival hat das Jazzkonzert mit dem Vein Trio, das diesmal über sephardische Melodien improvisiert. Und für die Kinder erzählt das Ensemble Zefirino vom Ritter Don Quijote.
«Mizmorim – Diáspora Sefardí». Kammermusik-Festival Basel,
20.–23. Januar 2022, www.mizmorim.com